Christian Milkus

Der Schatten in mir


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Knappe lernt am meisten, wenn er mit einem Ritter unterwegs ist. Das kann ich ihm nicht bieten, schließlich bin ich seit dem Sturz meines Königs nicht mehr im Dienst. Sollte es zu einer Rebellion kommen, würde ich natürlich in der vordersten Reihe kämpfen, aber daran glaube ich nicht.«

      Grau-weiße Flammen stiegen in den Himmel, begleitet von grau-weißem Rauch. Die Farbe war nicht perfekt, aber sie erinnerte mich immerhin an Metall. Bloß mit der Form hatte Kolosan noch zu kämpfen. Bislang hatte keiner einen Schild erkennen können.

      »Aber muss man schon mit zwölf Jahren anheuern?«, fragte ich Sir Caster.

      Er lächelte. »Darum geht es Euch also.«

      Ich nickte.

      »Dies ist keine Sache des Zwangs«, sagte er. »Euer Sohn muss gar nichts.«

      »Aber er sollte.«

      Sir Caster schaute mich an wie ein Kleinkind, dem man alles dreimal erklären muss. »Muss ich mich wiederholen?«

      Ich seufzte. »Nein, müsst Ihr nicht. Ich frage mich nur, ob zwei Jahre von Bedeutung sind. Vielleicht macht es nicht viel aus, wenn er erst mit vierzehn Jahren die Ausbildung beginnt.«

      »Es macht viel aus, Kolen. Es gibt Kinder, die bereits im Alter von sechs Jahren einem Ritter übergeben werden.«

      »Mit sechs Jahren?«

      »Früh geschliffen, tief geschnitten – alter Ritterspruch.«

      Derweil warf Kolosan den Feuerstab auf den Boden, beschimpfte seine Kumpane als dumme Esel und ging stampfend nach Hause. Niemand hatte seinen Schild erkannt, und seine Mannschaft drohte zu verlieren. Sir Caster lachte laut auf, ich zwang mich zu einem schwachen Lächeln.

      Ich wollte dem Ritter weitere Fragen stellen, aber mir fielen keine ein. Er hatte mir die rohe Wahrheit vor die Füße geworfen, und seine Meinung war so klar wie das Wasser Schwarzbachs: Kolosan sollte lieber heute als morgen aufbrechen. Ich dachte an meinen Jungen, ich dachte an Myla und drehte meinen Kopf zur Mitte des Dorfes, wo direkt neben meinem Wohn- und Wirtshaus die Statue meines Vorfahren stand. Sofort fing sie meinen Blick auf. Im Dunkeln wirkte sie wie ein Riese, der über unser Dorf wachte. Wie immer schaute der Riese zu mir, starrte mich an, verfolgte jede meiner Bewegungen. Ich drehte meinen Kopf zurück zum Feuer, doch der Blick der Statue blieb auf meinem Rücken haften, und ich wusste, er würde den ganzen Abend lang dort bleiben.

      Nach dem Spiel schickten wir die Kinder ins Bett, aber von den Erwachsenen blieben noch einige am Feuer sitzen. Jorden stritt sich mit Salya – mal wieder. Warum tat er sich das immer und immer wieder an?

      Tarlow versuchte währenddessen, eine Frau aus dem Feuer zu formen. »Früher hat mir das Feuer gehorcht wie der Lakai dem König, ich schwöre es euch!«

      Keiner sagte etwas dazu. Eine längliche Form nahm das Feuer zwar an, aber eine Frau konnte man auch mit großer Anstrengung nicht erkennen.

      »Wieso werden die Flammen denn jetzt gelb?«, brüllte er. »Verdammte Axt!«

      »Weil du zu dumm dafür bist«, sagte Ronja. »Lass den Stab ruhen und belästige uns nicht mit deinen kläglichen Versuchen! Du hast versagt, jetzt scher dich vom Feuer!«

      Tarlow schmiss den Feuerstab auf den Boden. »Früher hab ich das mit nur einer Hand geschafft«, murrte er.

      Jack fuhr sich über seine Glatze, danach wanderte seine Hand zurück zum Bart. Ich erwartete einen albernen Witz, doch ich wurde enttäuscht.

      Wir wärmten uns an den Flammen, während die Kälte uns gegen den Rücken drückte. Der Wind zerrte und rüttelte am Feuer, doch es sträubte sich und rauschte und knisterte munter weiter. Gesprochen wurde kaum noch. Ich bewegte mich in meinen Gedanken bereits durch den nächsten Tag, dann durch die nächste Woche und durch den kommenden Winter. Erst als jemand zum Feuer gerannt kam, wurden meine Gedanken jäh unterbrochen.

      »Habt ihr Tomas gesehen?«, fragte Sara. Ihren Augen waren weit aufgerissen, und ihr Oberkörper bewegte sich auf und ab, während sie nach Atem rang. Normalerweise war sie eine ruhige, fast unverwüstliche Frau. Was war mit ihrem Mann geschehen?

      »Nein, er war den ganzen Abend nicht hier«, sagte ich.

      »Er hätte schon längst zurück sein müssen, vielleicht ist ihm etwas passiert!«

      »Wo ist er hin, und was hatte er vor?«

      »Er ist vorhin in den Wald gegangen, genau dort«, sagte Sara und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle in der Nähe von Jacks Haus. »Ich weiß nicht, was er vorhatte.«

      »Er wird schon noch kommen«, sagte Ronja.

      Sara schüttelte den Kopf. »Niemals würde er so spät erst nach Hause kommen.«

      »Dann sollten wir ihn suchen gehen«, schlug ich vor.

      Wir teilten uns in mehrere Gruppen auf, um den Rand des Waldes abzusuchen.

      »Nehmt euch vor den Wölfen in Acht«, sagte ich zu den anderen, bevor wir losgingen.

      »Für jeden Wolf habe ich eine Faust zu verteilen«, antwortete Ronja und grinste.

      Ich ging zusammen mit Tarlow und Jack. Jack nahm eine Öllampe mit, damit wir zumindest sehen konnten, wo wir hintraten.

      »Mögen wir verdammt sein, wenn wir ihn nicht finden«, sagte Tarlow.

      Wir schauten hinter jeden Baum und suchten jeden Fleck des Bodens ab. Nicht weit von uns hörten wir die anderen Gruppen durch den Wald marschieren und Tomasʼ Namen rufen. Bisher hatte keiner eine Spur gefunden.

      »Wir sollten nicht zu tief in den Wald hineingehen«, mahnte ich, als das Dorf hinter den Bäumen kaum noch zu sehen war.

      »Der Wolf scheut den Menschen«, sagte Tarlow. »So schnell greifen sie einen nicht an.«

      »Dem Söldner haben sie gestern auch aufgelauert«, warf Jack ein.

      »Er war allein unterwegs, und als er seinen Stahl zückte, zogen sie sich zurück.«

      »Stahl tragen wir nicht an uns. Aber ich kann mit meiner Öllampe nach ihnen werfen, har!«

      »Wir sind zu dritt, die Wölfe werden sich hüten«, sagte Tarlow.

      Doch mit jedem Schritt in den Wald hinein wurden meine Knie weicher. »Wir sollten wirklich nicht zu tief vordringen«, sagte ich erneut.

      Jack rieb sich mit der Hand über den Kopf. »Ich denke auch, wir sollten umkehren. In der Dunkelheit finden wir niemanden.«

      »Ist dir kalt?«, fragte ich ihn.

      »Mein Bart mag sprießen wie Unkraut, auf dem kahlen Kopf hilft mir das allerdings wenig, har!«

      »Wir können nicht aufhören zu suchen, nur weil uns kalt ist«, sagte Tarlow.

      Plötzlich raschelte es vor uns. Sofort blieben wir stehen. Jack streckte seinen Arm aus, um mit der Lampe zu leuchten. Nichts war zu sehen. Es raschelte wieder, diesmal an zwei verschiedenen Stellen.

      »Lasst uns verschwinden!«, sagte ich, doch in dem Moment leuchteten vor uns neben dem Baum zwei Augen auf, gelb, mit roten Farbflecken, die über die glimmende Iris tanzten wie Feuer. Die Augen blinzelten, dann kamen sie näher – ein Wolf! Ich ballte meine Fäuste. Plötzlich erschien Jacks Bemerkung mit der Öllampe nicht mehr als Witz. Bedächtig setzte der Wolf eine Pfote vor die andere, sein schwarzes Fell machte ihn in der Dunkelheit fast unsichtbar. Hinter und neben ihm erschienen zwei weitere Wölfe. Die Dunkelheit hatte eine Decke über sie gelegt, und jetzt krochen sie darunter hervor.

      »Keine schnelle Bewegung«, sagte Tarlow langsam und ruhig.

      »Sollen wir nach den anderen rufen?«, fragte Jack.

      Ich wisperte: »Nein, auf keinen Fall laut werden!«

      Doch was