Christian Milkus

Der Schatten in mir


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ich Königsblut anderen Händen anvertrauen. Er ist das Kostbarste, das ich besitze.«

      »Ich dachte, Euer Schwert sei das Kostbarste.«

      Er lachte. »Gut gespielt, Kolen, aber das ist nicht zu vergleichen. Ein Mann und sein Pferd haben eine ganz besondere Beziehung zueinander. Ich fühle wie Königsblut, und Königsblut fühlt wie ich. Wir teilen eine gemeinsame Seele, und wenn ich auf ihm durch die Gefilde reite, sind wir eins. Wenn Ihr niemals ein Pferd besessen habt, könnt Ihr das nicht verstehen.«

      Er hatte recht, ich verstand es nicht, aber ich sprach es nicht aus. Ich sagte gar nichts mehr – die Hoffnung hatte mich endgültig verlassen. Sir Caster würde bei seiner Meinung bleiben, ganz gleich, wie sehr der Sturm wüten mochte.

      Ich drehte mich um und ging zurück zu meinem Haus. Mein Blick blieb auf den Boden gerichtet, ich beobachtete das Gras, wie es von meinen Schuhen platt getreten wurde. Aufschauen wollte und konnte ich nicht. Ich hatte versagt.

      Heftige Windstöße begleiteten mich auf meinem Weg. Sie wehten das Laub gegen das Wirtshaus, und das Türschild klapperte wie die Zähne eines Frierenden. Das Geräusch störte mich nicht, es gehörte zum Wirtshaus wie der Sattel aufs Pferd.

      Noch während ich den Schlüssel drehte, kam Jack herbeigelaufen – wie ein Hund, der einem den ganzen Tag hinterherläuft.

      »Entweder kannst du riechen, wenn ich das Wirtshaus öffne, oder du hast verdammt gute Ohren«, sagte ich.

      »Weder noch«, sagte er, »bloß eine trockene Kehle, har!«

      Jack machte den ganzen Abend über seine Späße, und es war ihm gleich, ob wir darüber lachten oder nicht. Jorden war mal wieder in seiner eigenen Welt, und auch ich behielt meine Gedanken heute für mich. Von meinen Sorgen rund um das Dorf mussten meine Gäste nichts wissen. Sie waren bereits verunsichert wegen des Mädchens, das hier aufgetaucht war, und Ronja schürte diese Ängste mit ihrem unnötigen Gerede von dunklen Mächten und Waffengewalt.

      Um zurück zu ihrer guten Laune zu finden, brauchten die Dorfbewohner ihren Alltag – er war die beste Medizin gegen Angst und Kummer. Und wie konnten sie diesen Alltag besser auskosten als bei einem Bier im ›Gerupften Huhn‹?

      »Sein Schwert war doppelt so lang wie meins und sein Schild aus massivem Holz mit feinstem Stahlbeschlag«, erzählte Tarlow. Die Geschichte hatte er bereits hundertmal erzählt, jedes Mal mit anderen Feinheiten ausgeschmückt. »Seine Augen waren die ganze Zeit auf mich gerichtet.«

      »Damals hattest du sicher noch ein hübsches Gesicht, har!«, warf Jack ein.

      »Das war nicht der Grund«, sagte Tarlow, als hätte Jack seine Worte ernst gemeint. »Er hat gesehen, wie unaufhaltsam ich durch ihre Reihen gewütet bin. Ich muss ihn an Toralf den Büffelmenschen erinnert haben.«

      »An wen?« Das war neu.

      Tarlow schaute uns nacheinander entsetzt an. »Ihr kennt nicht den Büffelmenschen? Toralf Kalaston, ehemaliger Lord des Nordens?«

      Jack und ich tauschten Blicke aus und zuckten mit den Achseln.

      Tarlow hob den Zeigefinger und schwang ihn durch die Luft. »Halb Mensch, halb Büffel. Man sagt, er sei so stark gewesen, er habe mit bloßen Händen gegen Bären gekämpft und Wagen gezogen wie zwei ausgewachsene Ochsen. Und sein Schwert sei so lang gewesen, dass er drei Männer zweiteilen konnte, als die noch fünf Schritte von ihm entfernt standen.«

      »Wieso sollst du dann gekämpft haben wie er?«, fragte Jack. »Dein Schwert ist kaum länger als dein Unterarm, har!«

      »Darauf kam es nicht an, du Narr! Ich war der gefährlichste Mann in unserer Vorhut. Er hat das gesehen und suchte das Duell mit mir.«

      Tarlow machte eine kurze Pause. Er wollte, dass wir ihm Fragen stellten, doch als er einsah, dass wir ihm den Gefallen nicht taten, sprach er weiter: »Der Kampf war nach drei Hieben beendet. Drei Hiebe, mehr habe ich nicht gebraucht.« Er trank einen großen Schluck Bier und donnerte seinen Krug auf den Tisch. »Bei Othos, war ich damals stark! In vier Schlachten habe ich gekämpft.«

      »Und dabei zwei Dutzend Männer getötet«, soufflierte Jack.

      »So ist es, aber das ist nicht der wahre Triumph. Ich habe all die Schlachten überlebt, ohne eine Verletzung zu erleiden. Und dafür habe ich keine dämliche Rüstung tragen müssen wie die Ritter, die sich hinter uns versteckt haben.«

      »Du wolltest selbst ein Ritter mit dämlicher Rüstung werden«, sagte Jack.

      »Jeder Junge will das. Und ich hätte einer werden können, aber die Heimat hat nach mir gerufen.«

      Den Rest der Geschichte brauchte er nicht zu erzählen. Seine Eltern waren gestorben, und er war zurück nach Schwarzbach gekommen, um sie zu begraben. Danach zog es ihn nie wieder hinaus ins ferne Königreich.

      »Kolosan will auch ein Ritter mit dämlicher Rüstung werden«, sagte ich. »Schon nächstes Jahr will er als Knappe anheuern.«

      »Du siehst nicht glücklich darüber aus«, sagte Jack.

      Ich schüttelte den Kopf. »Myla auch nicht, aber ich habe es Kolosan versprochen.«

      »Je früher er die Kunst des Rittertums lernt, desto besser«, sagte Tarlow. »Glaub mir, er wird viel schneller einen hohen Rang erreichen, als ich jemals die Möglichkeit dazu hatte. Hab mich damals viel zu spät bei Lord Hyde gemeldet. Sie haben mir ein altes Schwert in die Hand gedrückt und mich zusammen mit den Bauern in die Vorhut gesteckt. Ohne Rüstung, ohne Schild, nicht mal ein Kettenhemd war ich ihnen wert. Das war für die feinen Ritter vorgesehen und nicht für lausiges Fußvolk wie mich.«

      Ich nickte.

      »Hat mich trotzdem nicht unter die Erde befördert«, fuhr Tarlow fort. »Schau mich an, ich sitze immer noch hier, lebendig und mit starkem Geist.«

      »Allerdings schon fast vierzig Jahre alt und statt Schwert einen Bierkrug in der Hand, har!«, rief Jack in einem unangenehm lauten Ton.

      »Diesen Bierkrug habe ich mir redlich verdient«, sagte Tarlow. »Nach all den Diensten, die ich geleistet habe, muss es mir erlaubt sein, faul im Wirtshaus zu hocken und Bier zu schwenken.«

      Ich schaute zu Jorden. »Was sagst du dazu?«, fragte ich ihn.

      Ich wollte ihn in das Gespräch miteinbeziehen, aber er zuckte bloß mit den Schultern. Das war nicht ungewöhnlich für ihn, so kannten wir ihn, und so mochten wir ihn. Doch heute war etwas anders: wachsame Augen, angestrengter Blick. Er dachte nicht nur nach, er dachte intensiv nach. War in seinen Gedanken nicht auf Reisen, sondern blieb auf der Stelle. Er schien nur an eine Sache zu denken, und diese Sache schien ihn nicht loszulassen.

      »Was ist los, Jorden?«, fragte ich ihn.

      Kurz schaute er hoch, doch er wandte den Blick sofort wieder von mir. »Nichts«, sagte er leise.

      »Du machst dir Sorgen, das sehe ich dir an.«

      Er starrte in seinen Krug. »Es ist wegen Salya«, sagte er. »Wir haben uns gestritten.«

      »Schon wieder?«, fragte ich. Darauf antwortete er nicht. Es war eine dumme Frage, musste ich zugeben. »Worüber habt ihr euch gestritten?«

      »Ich habe etwas über ihre Mutter gesagt. Das hat sie wütend gemacht.«

      »Was hast du gesagt?«

      »Nicht so wichtig.«

      »Ich möchte ehrlich zu dir sein, schließlich hast du eine ehrliche Antwort verdient. Du bist groß, gut aussehend und hast eine reine Seele. Du findest sicher ein anderes hübsches Mädchen.«

      »Ein hübsches Mädchen mit breiten Hüften, har!«, sagte Jack.

      Jorden presste die Augenbrauen zusammen. »Ich will aber kein anderes Mädchen!«

      »Salya ist ein nettes Mädchen, und man kann sicher