Gabriele Schillinger

Vertrauensbruch mit Folgen


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Mittagessen gab es Gemüse und Fleisch, welches bereits in Stücke geschnitten war. Danach durften die Patienten wieder in ihre Zimmer. Einer nach dem anderen wurde von einem Wachebeamten abgeholt. Thomas winkte Maria zu, als er den Saal verließ.

      Da ein Mittagsschlaf gehalten werden musste, legte sie sich gleich ins Bett. Das Gesicht vergrub sich in dem Polster und begann zu weinen. Warum und wie war sie blos hier gelandet?

      Erneut öffnete sich die Türe, welche nur von außen geöffnet werden konnte. Erneut wurden Medikamente gebracht. Auf die Frage, um welche es sich hierbei handelte, bekam sie lediglich die Antwort, dass sie ihr guttun würden.

      Als sie brav ihre Tabletten geschluckt hatte, stand sie auf und ging zum Fenster. Die Landschaft war zum Greifen nah, wäre da nicht das Gitter, welches verhinderte die Glasscheiben zu berühren. Zudem war das Fenster mit einem dicken Schloss versehen, falls man es doch schaffte, das Gitter zu zerstörten, was ohne Werkzeug sowieso nicht möglich war. Hier gab es kein Entkommen.

      Am nächsten Nachmittag wurde Maria abgeholt. Sie lag im Bett, weil sie dachte, einen Mittagsschlaf abhalten zu müssen. Der Wärter forderte Maria auf, ihn zu folgen.

      Sie hoffte nicht schon wieder in den Aufenthaltsraum zu müssen.

      Man brachte sie in einen Behandlungsraum. Dort wartete bereits ein bärtiger Mann und bat ihr freundlich einen Sitzplatz auf einem Sofa an.

      Er stellte sich als Dr. Schuh vor. Es war Marias Psychiater, den sie ab jetzt öfter zu Gesicht bekommen würde. Zuerst fragte er nach ihrem Befinden, doch was sollte Maria da antworten. Wie fühlte man sich in einer psychiatrischen Einrichtung, aus der man nicht einfach hinausspazieren durfte?

      Dann fragte er, ob sie sich an irgendetwas erinnern konnte. Nein, konnte sie nicht. Auch die Frage, was sie glaubte, weshalb sie sich in dieser Einrichtung befand, konnte Maria nicht beantworten.

      Der Psychiater lehnte sich in seinem Sessel zurück und schaute Maria durchdringend an. Sie hasste es, wenn sie jemand so anschaute. Nach einer kurzen Stille im Raum begannen seine eigentlichen Fragen:

      „Was ist das Letzte an das Sie sich erinnern?“

      „Ich öffnete meine Augen und lag im Krankenhaus. Dort sagte man mir, dass ich verletzt liegend am Waldrand neben Zugschienen gefunden wurde.“

      „Haben sie eine Ahnung wie sie dorthin gekommen sind?“

      „Nein.“

      „Warum waren sie verletzt?“

      „Ich weiß es nicht.“

      Dr. Schuh schaute schon wieder durchdringend in Marias Richtung, was sie sehr nervös machte.

      Sein Bierbauch drückte gegen die Hemdknöpfe, die bedrohlich einem Geschoss ähnelten, die kurz davor waren, Maria zu treffen. Der Bart des Arztes war schon ein wenig ergraut, aber ansonsten sah er noch nicht alt aus. Eigentlich machte er einen gemütlichen Eindruck. Vielleicht war er ja auch sympathisch? Maria wollte es einmal auf sie zukommen lassen. Aber wenn er nicht immer so durchdringend schauen würde …

      „Wie heißen Sie?“

      „Im Krankenhaus meinte man, ich heiße Maria.“

      „Und was glauben Sie?“

      „Keine Ahnung.“

      „Fühlt sich der Name Maria für Sie in Ordnung an?“

      „Ich glaube schon.“

      „Die Sanitäter erzählten. Sie hätten im Rettungswagen gesagt, Maria zu heißen.“

      „Kann sein. Ich weiß nichts mehr von der Zeit im Rettungswagen.“

      „Nehmen Sie regelmäßig ihre Medikamente?“

      „Ich hab ja keine andere Wahl.“

      „Möchten Sie sich wieder an Vergangenes erinnern?“

      „Natürlich. Glauben Sie, es macht Spaß nicht zu wissen wer Sie sind, oder wie Sie bisher gelebt haben?“

      „Nein, ich glaube nicht, dass es Spaß macht.

       Sie müssen regelmäßig ihre Tabletten nehmen, damit wir mit der richtigen Behandlung beginnen können. Gestern wurden in ihrem Zimmer einige gefunden, die Sie wieder ausgespuckt haben. Das ist nicht förderlich.“

      „Wie genau wirken die Medikamente und was bedeutet die richtige Behandlung?“

      „Die Medikamente wirken beruhigend und geben den Weg frei, damit ihr Unterbewusstsein Informationen bereitstellt, die sie zur Erinnerung brauchen.“

      „Und die richtige Behandlung? Was ist das?“

      „Wenn sie so weit sind und die Erinnerung nicht von alleine zutage kommt, arbeiten wir mit Hypnose.“

      „Warum warten? Wir könnten doch gleich damit beginnen.“

      „Nein. Sie sind noch nicht soweit.“

      „Woher wollen Sie das wissen?“

      „Vertrauen Sie mir.“

      Maria stieß unbeabsichtigt ein lautes Zischen von sich. Dr. Schuh schaute sie, ohne die Miene zu verziehen, an. Er nahm sich einen Schreibblock und einen Stift zur Hand.

      „Sie heißen also Maria?“

      „Hab ich doch schon gesagt.“

      „Also wissen Sie, dass Sie Maria heißen?“

      „Wirklich? Das hatten wir doch schon. Man sagte mir, ich hieße so.“

      „Sind Sie aufgeregt?“

      „Natürlich. Sie stellen mir die gleichen Fragen wie zuvor.“

      „Was regt Sie daran auf? Wir haben keinen Zeitdruck.“

      „Aber die Zeit könnte sinnvoller verwendet werden. Wie soll ich mich an was erinnern, wenn Sie mir immer die gleichen Fragen stellen?“

      „Sehen Sie, genau das ist das Problem. Sie vertrauen mir nicht und deswegen können wir auch noch nicht mit der Hypnose beginnen.“

      „Ok, ok. Ich vertraue Ihnen. Können wir jetzt beginnen?“

      Dr., Schuh lächelte kurz. Er stand auf und holte einen Pfleger, der Maria wieder auf ihr Zimmer bringen sollte.

      „Wir sehen uns morgen wieder. Nehmen Sie Ihre Tabletten.“

      „Das war’s?“

      „Ja, für heute schon.“

      Maria wusste nicht recht, was sie mit diesem Gespräch anfangen sollte. Der Psychiater machte sich mit seiner Fragetechnik nicht sonderlich beliebt bei ihr. Eigentlich war er Maria nach diesem Gespräch sogar sehr unsympathisch.

      Erneut schaute sie aus dem Fenster.

      Die Tage waren, wenn man nichts zu tun hatte, sehr lange. Immerfort kreisten Gedanken im Kopf herum, die sich zu seltsamen Geschichten formten. Es wurde zunehmend schwieriger für Maria zu erkennen, ob es nur Hirngespinste waren, oder sich ein Stück Erinnerung darin befand.

      Es war nun eine Woche vergangen, und die Gespräche mit dem Arzt waren noch immer enttäuschende Erlebnisse. Jeden Tag musste sie nun diesen Dr. Schuh sehen. Warum stellte er ihr ständig dieselben Fragen? Sollte nicht die Polizei recherchieren wer sie war? Vermisste sie überhaupt niemand?

      Das Grundstück der Anstalt schien groß zu sein. Es war mit einem hohen Zaun abgegrenzt und bestand vorwiegend aus einer großen Wiesenfläche. Vereinzelt ragten hohe Bäume in den Himmel, darunter befand sich jeweils eine Bank zum