Gabriele Schillinger

Vertrauensbruch mit Folgen


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die Chance, seiner kurzen Aufmerksamkeit und begrüßte ihn, aber er schaute sie nur seltsam an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.

      Das Frühstück wurde serviert. Eine mit Butter und Marmelade bestrichene Semmel, ein Brot, Schinken und Käse. Zum Trinken gab es dünnen Orangensaft und einen extrem hellen, koffeinfreien Kaffee. Maria stellte fest, dass ihr Frühstück am Zimmer etwas geschmackvoller war, als dieses im Speisesaal.

      Nachdem die leeren Teller abgeräumt wurden, setzte sich kurzer Hand Thomas an den Tisch von Maria.

      „Hallo junge Frau, kennen wir uns?“

      Maria schaute ihn ein wenig erstaunt an.

      „Ja, wir haben uns letztes Mal unterhalten. Du bist doch Thomas.“

      „Oh, Sie müssen sich irren. Mein Name ist Rudolf.“

      „Sie sehen aber aus wie Thomas.“

      „Man hat mir schon öfter gesagt, ich hätte hier einen Doppelgänger. Leider bin ich ihm noch nie begegnet.“

      „Aha.“

      „Wie komme ich zu der Ehre, dass sich eine so hübsche junge Frau mit mir unterhalten möchte?“

      Maria schaute ihn misstrauisch an. Wollte sie Thomas nur auf den Arm nehmen? Erlaubte er sich einen Scherz mit ihr? Er schien doch um einiges jünger als sie selbst zu sein. Gut, spielte sie halt mit.

      „Oh mein Herr, das Alter spielt doch keine Rolle bei einem netten Gespräch.“

      „Wie wahr. Was verschlägt Sie in diese wunderbare Ferienanlage? Ich habe Sie zuvor noch nie hier gesehen, obwohl ich jedes Jahr hier urlaube.“

      „Ein guter Freund hat mir die Anlage empfohlen. Es ist wirklich nett hier, doch das Frühstück könnte besser sein.“

      „Das stimmt. Für eine junge Frau wie Sie ist dies wahrhaftig zu wenig.“

      Er lachte.

      Noch bevor Maria ihre Rolle weiterspielen konnte, wurde sie von einem der Wärter abgeholt und ins Zimmer gebracht. Beim Entlanggehen des Flurs erzählte ihr der kräftig gebaute Mann, dass sie sich nicht über Markus wundern sollte. Er litt an mehreren Persönlichkeitsspaltungen und hatte viele Namen. Also hieß er weder Thomas noch Rudolf, sondern Markus.

      Neue Therapie

      Im Zimmer zurück entging ihr nicht, dass man ihre Sachen durchsucht hatte.

      Ein wenig verärgert darüber, wie eine Gefangene behandelt zu werden, ließ sie sich auf dem Stuhl neben dem kleinen Tisch nieder. Da jedoch niemand hier war, um ihre beleidigten Gesichtszüge zu sehen, stand sie bald wieder mit einem Ruck auf und schaute beim Fenster hinaus.

      Ein kleiner Bagger grub mitten im Garten ein Loch. Was er wohl vorhatte?

      Eine Zeit lange beobachtete sie das Geschehen, bis erneut die Türe zu ihren Zimmer aufging und ein Wärter Maria bat, ihm zu folgen.

      Ein wenig verwirrt über das erneute Interesse an ihr ging sie ihm brav hinterher.

      Sie stoppten bei Dr. Schuh. Maria seufzte, erneut musste sie sich seinen seltsamen Fragen stellen.

      Der Psychiater erwartete sie bereits. Er bot ihr einen Platz auf dem Sofa an und leerte Limonade in zwei Gläser. Was Maria jedoch nicht sehen konnte, war, dass er in ihrem Glas ein paar Tropfen eines kleinen Fläschchens hinzufügte.

      Dr. Schuh stellte ihr das Glas Limonade hin und er selbst trank aus dem anderen Glas, sodass Maria unbewusst auch das ihre nahm und daraus trank. Nachdem er mit seinem Notizblock in der Hand gegenüber Platz nahm, begann das Gespräch.

      „Wie geht es Ihnen heute?“

      „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“

      „Hat Ihnen das Frühstück geschmeckt?“

      „Das am Zimmer ist besser.“

      „Ich möchte heute mit Ihnen darüber reden, was in der Nacht geschehen ist, in der Sie gefunden wurden.“

      „Das hatten wir doch schon.“

      „Ist Ihnen noch etwas dazu eingefallen?“

      „Nein.“

      „Was halten Sie von Markus“?

      „Erzählt man Ihnen eigentlich auch, wie oft die Leute hier zur Toilette gehen?“

      Dr. Schuh lächelte.

      „Ja, wenn es für eine Diagnose wichtig wäre, bekäme ich auch diese Information.

       Also, was halten Sie von Markus?“

      „Sie sind hartnäckig. Ich finde ihn nett, aber er tut mir leid.“

      „Warum?“

      „Es muss doch anstrengend sein, immer jemand anderer zu sein. So viele Personen, von denen er sich das Erlebte merken muss. Ich wäre schon froh, wenn ich mich an ein Leben erinnern könnte. Andererseits, da mein jetziges erst im Krankenhaus beginnt, wäre ich wahrscheinlich überfordert mit den vielen Geschichten meiner Vergangenheit.“

      „Mit welcher Geschichte genau wären Sie überfordert?“

      „Keine Ahnung. Ich weiß ja keine mehr.“

      Maria spürte ihren trockenen Mund und nahm einen Schluck Limonade. Gleichzeitig wurde sie immer müder.

      „Sind Sie müde?“

      „Ja, ein wenig.“

      „Legen Sie sich doch hin und entspannen Sie sich ein bisschen.“

      „Nein danke. … Oder vielleicht doch kurz.“

      Dr. Schuh wartete noch einen Moment ab. Nachdem Marias Augen schwer wurden, bat er sie diese zu schließen.

      „Liegen Sie gut?“

      „Ja.“

      „Erzählen Sie mir, was Sie sehen.“

      „Es ist finster.“

      „Schauen Sie in sich hinein.“

      „Ein Kind spielt auf einer Wiese.“

      „Erzählen Sie mir mehr. Ist es ein Mädchen oder ein Junge?“

      „Es ist ein Mädchen. Wahrscheinlich so vier Jahre alt.

       Sie hat eine Puppe in der Hand und spielt mit ihr.“

      „Wie schaut der Ort aus, an dem sie sich aufhält?“

      „Sie sitzt auf einem Stück Wiese. Rundherum sollte auch Gras sein, aber es schaut trockene Erde hindurch.

       Da sind ein großer Baum und dahinter ein altes Haus in schlechtem Zustand.

       Eine Frau steht im Eingang und beobachtet das Mädchen. Vom hausinneren ertönt eine laute Männerstimme. Die Frau zuckt zusammen und läuft hinein.

       Die Stimmen werden lauter und das Mädchen schaut ängstlich. Vorsichtig nähert sie sich der Haustüre und beobachtet, wie der Mann die Frau schlägt.“

      Maria begann zu zittern. Eine Träne lief ihr die Wange hinunter.

      „Warum schlägt er die Frau?“

      „Es gibt keinen Grund. Er ist wütend.“

      „Auf