Gabriele Schillinger

Vertrauensbruch mit Folgen


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      „Das Mädchen ist also seine Tochter?“

      „Ja.“

      „Schlägt er auch sie?“

      „Ja.“

      „Was denkt sich das Mädchen in so einer Situation?“

      „Sie hofft, bald größer zu sein. Wenn sie größer ist und über mehr Kraft verfügt, will sie ihn töten.“

      „Kennen sie das Mädchen?“

      „Nein.“

      „Aber sie wissen, was sie denkt.“

      „Oh ja.“

      „Warum kennen sie ihre Gedanken?

      „Sie wird ihn töten und Freude dabei empfinden.“

      „Wie wird sie ihm das Leben nehmen?“

      „Sie weiß es noch nicht, aber sie wird ihn langsam töten.“

      „Hat das Mädchen noch Geschwister?“

      „Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen?“

      Dr. Schuh bemerkte, dass die Droge bereits ihre Wirkung verlor. Er wünschte sich, sie hätte mehr davon getrunken, aber vielleicht beim nächsten Mal.

      „Möchten Sie sich wieder aufsetzen?“

      „Ja, ich glaube es geht mir wieder besser. Was wollten Sie mich fragen?“

      „Ach, ich glaube, wir machen für heute Schluss. Ruhen Sie sich aus und wir sehen uns morgen wieder.“

      „Das war’s? Für das haben Sie mich hierhergeholt?“

      Dr. Schuh stand auf, nahm seinen Notizblock und verabschiedete sich hinter seinen Schreibtisch. Der Wärter kam hinein und führte Maria in ihr Zimmer zurück.

      Etwas benommen nahm sie auf ihrem Sessel im Raum Platz. Was war mit ihr? Maria fühlte sich durcheinander, ein Schleier hing zwischen den Gegenständen und ihren Augen. Brauchte sie eine Brille?

      Maria war zu benommen, um zu wissen, was gerade passiert war. Sie befand sich in einer Art Kurznarkose, so wie bei einer Gastroskopie, bei der man im Nachhinein nicht mehr genau wusste, was geschehen war. Eine Narkose, die einem ein Zeitloch ins Gedächtnis brannte. Alles was man in diesem Zeitabschnitt gesagt hat, taucht lediglich in einem Nebel auf.

      Dr. Schuh verwendete oft diese Tropfen. Die Patienten erzählten aus ihrem Unterbewusstsein, ohne diese mit bewussten Gedanken zu verfälschen. Natürlich gab es auch einen Haken dabei. Die Erzählungen waren oft wie Träume, die lediglich aus Gefühlen zusammenstellt wurden und nicht immer ganz der Realität entsprachen. Dennoch waren es reale Emotionen, die aus der Tiefe kamen. So entstanden dann Geschichten, die einen Mix aus Gefühlen, Erinnerungen, oder einer bestimmten Sicht sein konnten. Um das gut zu bewerten und zuzuordnen, brauchte man viel Erfahrung und die dementsprechende Ausbildung, so wie Dr. Schuh beides hatte.

      Je mehr solcher Sitzungen abgehalten wurden, desto besser konnte der Arzt alles zusammenfügen und herausfiltern. Übrig blieb die Erinnerung.

      Maria schaute wie weit der Gartenarbeiter mit seinem Loch im Park war. Er buddelte noch immer. Eine Weile beobachtete sie, wie die Schaufel des Baggers die Erde aus der Grube hob und sie in einen Container daneben hineinfallen ließ. Zunehmend kam auch wieder ihre Sehkraft zurück. Allerdings huschten stetig Gedanken über ein trauriges Mädchen in ihrem Kopf herum. Warum dachte sie andauernd an dieses fremde Mädchen? Ein Kind, welches sie nicht beschreiben konnte, sondern immer nur ihr verbittertes Gesicht vor Augen hatte. Maria sah, nein, eigentlich fühlte sie den Schmerz dieses Mädchens. Letztendlich begann sie selbst zu weinen und wusste nicht warum.

      Der Gartenarbeiter beendete seine Tätigkeit und schloss den Bagger ab. Die Sonne war kurz davor hinterm Horizont zu verschwinden. Ein Wärter stellte das Abendessen auf den Tisch.

      Maria hatte keinen Hunger, irgendetwas schnürte ihr den Magen zu. Sie wusste aber, wenn sie das Essen unberührt zurückschickte, erneut Gesprächsthemen über ihren Zustand bei den Ärzten entstanden, also stocherte sie einmal ein wenig darin herum.

      Kartoffelbrei mit Gemüse, darauf hatte sie momentan so gar keine Lust. Nach langem Zögern ging sie mit dem Teller in die Toilette und schob mehr als die Hälfte davon in die Kloschüssel. Schnell stellte sie den Teller wieder auf den Tisch und spülte ihr Abendessen den Abfluss hinunter.

      Nachdem sie ihre Tabletten bekam und das Geschirr wieder abgeräumt war, beschloss Maria eine Dusche zu nehmen. Sie hatte eine Stunde Zeit bevor jemand kam, um zu sehen, ob sie brav im Bett lag.

      In der Dusche liefen ihr erneut Tränen über die Wangen. Sie war traurig, ohne zu wissen, warum. Langsam setzte sie sich in die Duschwanne. Das Wasser lief ihr über den Kopf und den gesamten Körper. Da hockte sie nun, weinte und betrachtete die weißen alten Fliesen auf der Wand. Wie viele Patienten hier wohl schon geduscht hatten? Sich ebenso wie Maria Gedanken darüber machten, wie scheußlich die Wände waren, ganz weiß mit schmutzigen Fugen.

      Nachdem sich langsam die Haut auf den Fingern vom Wasser welkte, stand sie wieder auf und seifte sich ein. Gerade als Maria sich ins Bett gelegt hatte, öffnete sich die Türe. Ein Wärter, der seinen Kopf neugierig ins Zimmer hielt, ging gleich darauf wieder.

      Sollte das jetzt ihr Leben sein? Ohne Lebensgeschichte, kontrolliert und zu Medikamenten gezwungen?

      Es war nicht schön. Maria hatte keine Ahnung wer sie war und den Menschen in diesem Haus völlig ausgeliefert. Doch auch wenn Maria draußen in Freiheit leben würde, wie könnte sie sich dort ernähren? An wen würde sie sich wenden? War es besser für sie hier zu sein?

      Ludwig

      Am nächsten Morgen ging es wieder in den Speisesaal.

      Markus saß teilnahmslos über seinem Frühstücksteller. Maria wollte sich neben seinen Tisch setzten, doch der Wärter zog sie zu einem der anderen. Wahrscheinlich schon wieder so eine dumme Anordnung von Dr. Schuh.

      Überraschenderweise gab es einmal mehr zu Essen. Sogar ein Kuchen lag am Teller. Die Frau, welche ihr das Frühstück vor die Nase setzte, lächelte und bemerkte kurz, dass es Sonntag war. Ja, Wochentage zählte man hier nicht mit. Für die Patienten war ein Tag wie der andere.

      Maria schaute sich im Saal um. Es waren nicht immer die gleichen Menschen da. Einige waren ihr optisch bereits vertraut, doch andere sah sie zum ersten Mal. Die Patientin am Nebentisch schien recht nervös zu sein. Sie schaute unentwegt um sich. Ihr Kuchen in der Hand zerbröselte, weil sie ihn immer fester zusammendrückte. Schließlich warf sie ihn trotzig in den Teller zurück. Plötzlich begann sie hysterisch zu schreien. Maria schreckte hoch. Wärter kamen herbei geeilt und konnten die Frau kaum halten. Sie entwickelte enorme Kräfte und schlug einem der Männer ins Gesicht. Schnell kam ein Arzt herbei und versuchte ihr eine Spritze in den Arm zu geben, doch gelang es ihm nicht gleich.

      Die Patientin schaute zu Maria und brüllte in ihre Richtung: „Trau ihnen nicht! Sag ihnen nicht alles! Das hier ist kein Krankenhaus! Trau ihnen blos nicht!“

      Dann begann das Medikament zu wirken und ihre Augen verdrehten sich. Dennoch hatte sie noch ein wenig Kraft sich gegen die festhaltenden Hände zu wehren. Schließlich schleppten sie vier Männer aus dem Saal.

      Einige der anderen Patienten mussten vom Personal beruhigt werden, allerdings reichte bei ihnen ein wenig Zuspruch.

      Nachdem alle mit dem Frühstück fertig und das Geschirr wieder abgeräumt war, durften sich alle frei bewegen. Maria stand auf und ging in die Richtung, wo Markus saß, doch der schien keine Lust zum Plaudern zu haben. Nicht wissend, was sie tun sollte, stellte sie sich zu einem der Fenster. Zumindest gab es dort eine andere Aussicht als im Zimmer. Ein Mann gesellte sich daneben und stellte sich vor. Sein Name