Joachim Kath

Die 100 Lebensträume


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als einer der besonders wichtigen Gradmesser für eine erfolgreiche Politik angesehen werden, steht es bei genauer Betrachtung in Sachen Transparenz nicht gerade zum Besten. Wer weiß schon, dass hier mit der Statistik gerne Nebelkerzen geworfen werden? Die Arbeitslosenzahlen, die in regelmäßig monatlich verkündet werden, enthalten nämlich längst nicht alle Erwachsenen, die ohne Arbeit sind. Wer sich nicht zur Arbeitssuche meldet, taucht in der Statistik nicht auf. Schüler, Studenten und Rentner sowieso nicht, obwohl manche sich gerne etwas dazuverdienen würden und es auch tun. Aber auch wer älter als 58 Jahre ist und Arbeitslosengeld bezieht, gilt nicht als arbeitslos. Ebenso diejenigen, die weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten und auch alle, die an irgendwelchen Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit teilnehmen. Und auch die Ein-Euro-Jobber sind nicht in der Statistik, genauso wenig diejenigen, die einen Gründungszuschuss erhalten. Dazu kommen die „Aufstocker“, die zwar mehr als 15 Stunden in der Woche arbeiten, aber deren Einkommen nicht zum Leben reicht. Auch Menschen, die vorübergehend krank geschrieben sind und solche, die kein Arbeitslosengeld bekommen, aber keine Arbeit haben, sind nicht erfasst. Auch die nicht ihre Pflichten bei der Jobsuche erfüllen, werden gestrichen. Dann gibt es noch die sogenannte Stille Reserve, so heißt das offiziell, die ihre Hoffnung aufgegeben haben, eine Arbeitsstelle zu finden und auch diejenigen, die gerne mehr arbeiten würden. Das sind einige Millionen Menschen im reichen Deutschland. Also zum Jubeln, was die angeblich so niedrige Zahl der Arbeitslosen angeht, besteht überhaupt kein Anlass.

      Lebenstraum 3: Liebe und Partnerschaft

      Gesundheit, Frieden und Freiheit, aber eben auch Liebe und Partnerschaft sind alles immaterielle Lebensträume, die in Befragungen zuerst genannt werden. Es sind ja auch tatsächlich existenzielle Fragen, die jeden Menschen im Verlaufe seines Lebens tangieren. Die allermeisten jungen Leute wünschen sich, ihrer großen Liebe zu begegnen und möchten auch, dass es zu einer Beziehung und dauerhaften Partnerschaft kommt. Doch wie wir alle wissen, erfüllen sich diese Lebensträume nicht immer und sie werden heutzutage immer öfter sogar aufgegeben. Denn nicht mehr nur die Männer, sondern auch die Frauen wollen ein eigenständiges, unabhängiges Leben führen, in allen denkbaren Konstellationen, vom Single-Dasein bis zur Patchwork-Familie, als Heteros oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Warum auch nicht? Was ist eigentlich Liebe? Jeder meint zu wissen, was Liebe ist und doch versteht oft jeder etwas anderes darunter und es kann leicht zu Enttäuschungen kommen. Deshalb sollen hier einige Gedanken formuliert werden, die möglicherweise zum Verständnis beitragen. Obwohl es dafür wenig Hoffnung gibt. Wenn sich der Partner heutzutage einfach nicht mehr meldet, gibt es dafür den Begriff Ghosting, weil er oder sie wie ein Geist verschwindet. Wie man hört, soll es ein Trend beim Online-Dating sein, auf den zumindest eine Seite gut verzichten könnte. Das Ethos der Liebe, also unsere moralische Haltung gegenüber einem Begriff, der den meisten Menschen sehr viel bedeutet, hat in den vergangenen Jahrzehnten einige Veränderungen erfahren. Beispielsweise was die Erwartungen und die Dauer angeht. Sicherlich wird die Liebe nach wie vor als eine intensive gefühlsmäßige Zuwendung empfunden. Vor allem gegenüber einem anderen Menschen, aber auch gegenüber der Natur, zum Geld und zu bestimmten Ideen wie der Freiheit, sowie zu den verschiedenen Religionen und zu Gott. „Leben ist das Gegenteil von lieben“ hat Albert Camus geschrieben, Nobelpreisträger für Literatur und einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Daran ist viel Wahres, wenn wir uns mit der Gestaltung unseres Lebens und den zahllosen Klippen, die es zu überwinden gilt, befassen, und dann an die Liebe denken, die einfach plötzlich da sein kann. Unser Selbstbild hat viel mit unserer Selbstliebe zu tun, die seit Aristoteles, also seit über 2.300 Jahren, die Voraussetzung ist, einen anderen zu lieben. Als Erotik bezeichnen wir alle körperlichen und seelisch-geistigen Erscheinungsformen der Liebe. Wobei für unser heutiges Verständnis von Erotik durchaus die Philosophie Platons eine Rolle spielt, der davon ausgeht, dass der einst gottähnliche, doppelgeschlechtliche Mensch von Zeus in zwei Hälften geteilt wurde, die sich miteinander vereinigen wollen, um die ursprüngliche Ganzheit und Vollkommenheit wieder herzustellen. Der erotische Bildungsprozess entwickelt sich vom schönen Leib über die Liebe zur schönen Seele hin zum Schönen selbst, das zugleich das Wahre und das Gute ist. Die christliche Vorstellung von der Gottesliebe, die Geschlechtsliebe als Hindernis auf dem Weg zum Heil ansah und die Nachfahrin Evas, die Frau, dafür als Sünderin auserkor, zeigt den engen Zusammenhang von Mythos und Religion sowie erotischer und religiöser Ekstase in vielen Kulturen. Welche Arten von Liebe unterscheiden wir? In der Hauptsache sind es drei Arten von Liebe: Diejenige, die einen sinnlich-erotischen Hintergrund hat, also die romantische Liebe, die sich Paare am Anfang ihrer Beziehung für die Ewigkeit vorstellen. Wobei die Ewigkeit heute im Schnitt zwischen drei bis vier Jahren dauert, was Psychologen damit begründen, dass dies der Zeitraum ist, in dem Kinder flügge werden. Schwangerschaft und die drei Jahre bis zum Kindergartenalter eingerechnet, kommt das ungefähr hin. Übrigens ist die Geburt eines Kindes der Hauptgrund für frühe Trennungen, weil sie instabile Beziehungen mehr belastet als zusammenhält. Dann haben wir die Liebe aus Sympathie und Verantwortung, wie sie Eltern für ihre Kinder empfinden, aber auch Freunde füreinander und sogar manche Chefs für ihre Mitarbeiter. Und abschließend die Liebe für etwas Höheres als wir sind, die Natur oder ihre Schöpfer. Aus der Sicht der Gläubigen kann das auch der Verkünder einer Offenbarung oder sein irdischer Stellvertreter sein. Als Gegenteil von Liebe wird oft Hass genannt. Beiden Gefühlen ist eine Affektambivalenz eigen, sie können schnell umkippen. Man spricht ja auch von Hassliebe. Doch in Wahrheit heißt das Gegenteil von Liebe nicht Hass, jedenfalls gilt das für persönliche Beziehungen, sondern Desinteresse und Gleichgültigkeit. Man kann auch umgekehrt sagen, Hass wird durch Langeweile und Leere erzeugt. In diesem Zusammenhang ist ganz interessant, dass nach neueren Forschungen mittels der Kernspintomografie unser Gehirn den Trennungsschmerz in denselben Arealen wie den Liebesrausch verarbeitet. Dabei werden ebenfalls die Hormone Dopamin und Noradrenalin freigesetzt, nur mehr davon. Wer verlassen oder verschmäht wird, kann sogar Suchtsymptome zeigen. Bis hin zu Realitätsverlust und Gewalt gegen sich oder andere. Eifersuchtstaten, die aus Angst vor der Gefährdung einer Beziehung verübt werden, füllen fast täglich die Medien. Die romantische Liebe wird auch die erotische Liebe genannt, also die Liebe zum Sexualpartner. Es ist jedoch zweierlei: In der romantischen Liebe wird die Wirklichkeit idealisiert, sie ist gefühlsbetont, schwärmerisch, fantastisch, geheimnisvoll. Während die erotische Liebe sich lediglich auf die Geschlechtsliebe und die damit verbundenen Vorstellungen und Handlungen bezieht. Nun spielt die Erotik bekanntlich heute nicht nur in Filmen, in der Kunst und in der Literatur eine große Rolle, sondern auch in sämtlichen Medien und im Alltag der Menschen. Sie hat dadurch fast so etwas wie Wettbewerbscharakter bekommen, nicht nur in der sublimierten Form der Mode, wo die gekonnte Verhüllung insbesondere weiblicher Reize schon immer eine Rolle spielte, sondern überhaupt als allgegenwärtige Stilisierung der Sexualität. Die serielle Monogamie mit traditionellen Mustern in Einklang zu bringen, erscheint nicht unproblematisch. Übrigens wurde die Liebe erst vor gut 100 Jahren „romantisiert“. Ein kurzer Augenblick in der langen Geschichte der Menschheit, dem wir uns offenbar noch wenig anpassen konnten, wenn man an die verfehlten Erwartungen denkt. Ketzerisch könnte man sagen, es war ein Sieg der Hoffnung über die Erfahrung der Vorfahren. Jedenfalls scheint die Liebe, was ihre Intensität und Dauer angeht, eher einem Feuer zu entsprechen als der Sonne. Wahrscheinlich ist das Thema der unglücklichen Liebe das Romanthema überhaupt. Worauf kommt es in der Liebe an? Bekanntlich ist in der Psychologie die Statistik wichtig, denn wir können nur Aussagen über das Abnormale treffen, wenn wir das Normale kennen. Überraschend für viele wird wahrscheinlich sein, dass die Zärtlichkeit und nicht die Sexualität bei der Bewertung der Liebe an erster Stelle steht. Danach kommt gleich das Verständnis. Mit Verständnis ist das gegenseitige Verstehen gemeint, aber auch der Grad der Toleranz. Modern ausgedrückt, ist es die Qualität der Kommunikation. Man hat gleiche oder ähnliche Ansichten bei den wichtigsten Themen, jedenfalls kann man sich in der Diskussion ohne Streit annähern. Der drittwichtigste Aspekt bei der Bewertung der Liebe ist das Vertrauen. Vertrauen spielt in vielen anderen Lebensbereichen eine außerordentlich wichtige Rolle. Es kann nur langsam erworben werden, ist jedoch blitzschnell verspielt. Zärtlichkeit, Verständnis und Vertrauen sind drei Kriterien, die der Kommunikation dienen. Es findet ein Austausch statt, eine gegenseitige Basis wird aufgebaut und gepflegt. Das ist unglaublich wichtig für eine funktionierende Beziehung, also für das Erleben des Gefühlslebens.