Joachim Kath

Die 100 Lebensträume


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der Chromosomen in den Zellkernen, die Telomere, verkürzen sich im Alterungsprozess. Eines scheint sicher, das ewige Leben ist in der Natur nicht vorgesehen. Gut, Grönlandwale, die auch Säuger sind, werden über 200 Jahre alt und bekommen keinen Krebs. Was machen sie richtig, oder vielmehr, woran liegt es? Wir wissen es nicht, aber es wird erforscht. Jedenfalls tun heute viele Menschen für die Verlängerung ihrer Lebensstrecke fast alles, wenn auch manchmal mehr als sinnvoll ist. Die Sache ist eben komplizierter als gedacht. Selbst gutes Aussehen muss nicht immer gesund sein, so wie auch natürliche Substanzen nicht automatisch sichere Wirkung bedeuten. Ich halte mich da an Platon, den Begründer der abendländischen Philosophie, der schon ein paar hundert Jahre vor Christi Geburt wusste, dass die ständige Sorge um Gesundheit auch eine Krankheit ist. Übrigens sind intelligente Ärzte der Meinung, dass nicht sie heilen können, sondern allenfalls Beschwerden lindern und weniger Eingriffe und Medikamente oft mehr Sinn machen als eine Überversorgung. Ein kurz vor seiner Pensionierung stehender Arzt vertraute mir vor einigen Jahren augenzwinkernd an: Die beste Art gesund zu bleiben, ist nicht krank zu werden! Denn Befinden ist nicht gleich Befund. Er wollte damit ausdrücken, dass vorbeugen besser als heilen ist und in der Medizin zahlreiche Mythen existieren. Es kann einen allerdings schon einigermaßen skeptisch machen, wenn man von den extremen regionalen Unterschiede bei der Häufigkeit von medizinischen Eingriffen hört. Dafür gibt es auch seitens von Experten keine plausiblen Erklärungen, außer die, es könnte sich um lukrative Geschäftsmodelle handeln. Ja, geht es noch? Korruption in der Gesundheitsbranche? Wie krank ist das denn? Es ist ein Skandal, dass vielen Medikamenten und Nahrungsergänzungsprodukten oft seit Jahrzehnten von den Vertreibern Wirkungen zugeschrieben werden, die sie in gar keiner Weise erfüllen und für die es auch keinerlei Beweise gibt. Gerade bei unseren Lebensträumen gehen wir oft von mehr oder weniger ganz falschen Voraussetzungen aus. Alle Probleme basieren auf unzureichender Kommunikation mit anderen und mit uns selbst. Das ist deshalb besonders tragisch, weil sich die Vergangenheit nicht verändern lässt. Denn die Verwirklichung unserer Vorstellungen ist eine lebenslange Aufgabe und je früher wir damit beginnen, desto wahrscheinlicher ist deren Erfüllung. Immer dann, wenn sich zwei Leute treffen, neigen sie dazu, sich gegenseitig zu fragen, wie es ihnen geht. Natürlich ist das oft nur rhetorisch gemeint und im Grunde erwarten sie meistens keine detaillierte Antwort, schon gar nicht dort, wo Englisch gesprochen wird. Bemerkenswert, wenn auch nicht unbedingt verwunderlich ist schon, dass der Lebenstraum Nr. 1, die Gesundheit, sehr stark im Mittelpunkt des Interesses steht und demzufolge ein Milliardengeschäft ist. Man kann bei näherer Betrachtung des Gesundheitsthemas tatsächlich leicht auf den Gedanken kommen, sich auch schon mal zu fragen, für wen? Und wenn wir dabei sind, etwas kritischer als sonst zu sein, kann man überhaupt gleich auf die Idee kommen, dass die Bewertung der Gesundheit nicht alleine den Ärzten, Apotheken und der Pharma-Industrie überlassen werden sollte. Also ausschließlich denjenigen, die daran verdienen! Gerne formulieren die Leute den Glaubenssatz „Ohne Gesundheit ist alles nichts!“ Er geht übrigens auf den deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer zurück, wobei zu seiner Ehrenrettung erwähnt werden sollte, dass er voran gestellt hat, Gesundheit wäre nicht alles! Mit dem halben Zitat kann man also ganz schön daneben liegen. Aber was ist überhaupt Gesundheit? Und stimmt es denn wirklich, dass ohne Gesundheit gleich alles überhaupt nichts sein soll? Gewiss, da kann einer noch so viele Reichtümer in seinem Leben angehäuft haben, wenn er krank ist, sind sie nicht mehr ganz so wichtig. Ja, so mancher würde viel, wenn nicht sogar fast all sein Geld dafür hergeben, wieder völlig gesund zu werden. Denn Krankheit ist fühlbar, Gesundheit nicht! Doch es gibt mehr Menschen als wir gemeinhin glauben, die immer wieder und sogar oft permanent Schmerzen oder zumindest Missempfindungen verspüren und es verstehen, damit im Alltag umzugehen. Wahrscheinlich wird mir sofort erwidert werden, dass man sich andererseits ausgesprochen gesund fühlen kann. Wohl wahr! Auch darin habe ich einige persönliche Erfahrung. Doch als etwas älterer Herr, der seinen Körper als nach wie vor aktiver Sportler recht gut kennt, habe ich zuweilen das Gefühl, es wird ganz allgemein zu wenig gewusst, was wir unter Gesundheit zu verstehen haben. Deshalb möchte ich hierzu einige Hinweise geben, auch weil wissenschaftlich erwiesen ist: „Wer viel weiß, lebt länger!“ Wahr ist aber auch: „Man weiß eben nicht, was man hat, wenn man nichts hat!“ Was ist Gesundheit? Gar nicht so einfach zu beantworten, diese Frage, deshalb versuchen wir es erst einmal anders herum! Was Krankheit ist, wissen wir: Jede negative Abweichung von einem als normal empfundenen körperlichen und seelischen Zustand. Doch mit dieser Definition beginnt schon ein ziemlich großes Problem. Denn was als normal empfunden wird, ist individuell verschieden und verändert sich mit dem Alter. Außerdem ist festgestellt worden, dass die Landmenschen beispielsweise weniger wehleidig sind als die Stadtmenschen. Und Frauen eher zu Depressionen neigen als Männer. Es gibt zahlreiche Parameter die den Zustand „Gesundheit“ beschreiben, der vom Einzelnen unterschiedlich wahrgenommen wird. Mit anderen Worten: Gesundheit, oder auch Wohlbefinden, wird nicht unbedingt eindeutig erlebt. Nun lässt sich natürlich gegen diese Feststellung einwenden, dies sei unerheblich, weil man ja nur die eigene Befindlichkeit spüre. Aber auch das ist nicht ganz so richtig, wie der Begriff „Empathie“ beschreibt. Wir können uns eben auch ganz gut in den Zustand anderer hineinversetzen und mitfühlend sein. Jedenfalls die große Mehrheit der Menschen, ganz im Gegensatz zu Gewalttätern. Trotz dieser Unsicherheit, was wir unter Gesundheit zu verstehen haben, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) selbstverständlich eine Definition parat: „Gesundheit ist ein Zustand vollkommen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheiten und Gebrechen.“ Nun ja, genau diese Definition entspricht exakt dem Lebenstraum „Gesundheit“. Doch ist sie wahr und realistisch? Um gleich einmal erneut kritisch zu sein: Mich stört das Wort „vollkommen“! Es ist so eines dieser ärgerlichen Worte wie „alternativlos“ oder „perfekt“. Ich glaube nicht, dass nach dieser Festlegung der WHO viele Leute auf der Welt wirklich absolut gesund wären. Vermutlich sind die vermeintlich Gesunden nur zu wenig untersucht. Jeder Mediziner weiß, dass sich bei jedem Menschen Abweichungen von der Norm finden lassen, wenn man die Norm sehr eng fasst. Zahlreiche Lobbyisten der Pharmaindustrie bemühen sich seit Jahren in Brüssel und anderswo darum, genau diese Eingrenzungen bei der Politik zu erreichen. Das würde bei Erfolg dann automatisch bedeuten, mehr Menschen wären krank und müssten sich in Behandlung begeben. Das kann doch nicht sein, dass es mehr Kranke als Gesunde gibt! Und warum eigentlich sind prozentual sehr viel mehr Menschen krank als Tiere? Etwa wegen der besseren Gesundheitsversorgung? Wenn wir uns ernsthaft mit der Frage beschäftigen wollen, was Gesundheit ist und noch viel wichtiger, ob wir selbst gesund sind oder nicht, empfiehlt es sich, das Modell der Homöostase näher zu betrachten. Darunter versteht man die sogenannte Regulation des inneren Milieus, also die physiologischen Kreisprozesse, die unser inneres Gleichgewicht regeln. Wenn wir dieses automatische Geschehen in unserem Körper beachten, kommen wir logischerweise zu einer völlig anderen Definition von Gesundheit: Gesund ist ein Mensch, wenn sich sein Körper und seine Psyche auf bestmögliche Weise an veränderte Bedingungen anpassen können! Diese notwendige Anpassung, damit wir uns wohlfühlen, geschieht normalerweise im Körper völlig selbsttätig durch eine Vielzahl von Regelkreisen. Diese Kreisprozesse werden durch unser Gehirn gesteuert, ohne dass wir davon etwas mitbekommen. Es handelt sich weitestgehend um Kommunikation, denn es werden Botenstoffe produziert und versandt. Gesundheit ist Selbstvergessenheit – wie Liebe und Glück! Damit will ich ausdrücken: Wer ständig glaubt, er sei vielleicht krank, obwohl er keinerlei Beschwerden hat, belastet seine Psyche unnötig. Es mag tatsächlich sein, dass sich in unserem Körper ein krankhaftes Geschehen unmerklich entwickelt, doch was haben wir davon, wenn wir vor dem Unbekannten in ständiger Angst leben? Angst lässt sich nicht völlig ausblenden, doch sie kann bei andauerndem Stress psychosomatische Symptome verursachen, die keinerlei medizinische Befunde haben. Wir wissen nicht, wie und wann unser Leben einmal enden wird. Niemand kann hierüber eine gesicherte Prognose abgeben. Solange wir uns gesund fühlen, ist die Chance gegeben, es auch tatsächlich zu sein. Wie sicher sind Diagnosen? Klar, die Erwartungshaltung vieler Menschen ist groß, dass sie als Patienten von ihrem Arzt die richtige Diagnose und Therapie erhalten. Wie sicher kann man sich da sein? Als Kommunikationswissenschaftler habe ich mich naturgemäß gerade mit dieser Frage mehr als mit anderen medizinischen