Elvira Alt

Sodom und Gomorrha


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habe das Gefühl, zwischen uns könnte sich eine denkwürdige Freundschaft entwickeln“, sagte Chantal, nachdem sie zwei Gläser Champagner bestellt hatte. „Fangen wir doch gleich so an, wie wir später fortsetzen wollen, ja?“ Und nachdem sie auch das Essen und eine Flasche teuren Wein auswählte, behielt sie entschlossen das Heft in der Hand.

      Amüsiert beobachtete Regina, wie sich die anwesenden Geschäftsmänner dasselbe Essen bestellten, das sie auch zu Hause bekommen konnten. Offenbar betrachteten sie das berühmte Sterne-Restaurant als ihre Betriebskantine und aßen dort falschen Hasen, Strammen Max, Handkäse mit Musik.

      Sie vertieften sich in eine Gespräch. Regina und Chantal tauschten ganz indiskret den üblichen Klatsch aus und erörterten eine Reihe von Themen. Die meisten waren gespickt mit sexuellen Anzüglichkeiten, und bald lachten sie zusammen wie alte Freundinnen. Beide hatten eine recht sprunghafte Denkweise, so, dass sie von einem Thema zum anderen wechselten und trotzdem noch miteinander Schritt halten konnten. Sie fühlten sich wohl miteinander. Regina gefiel die Art, wie Chantal ihr zuhörte. Doch wenn Chantal selbst sprach, spürte sie zwischen den Zeilen etwas, das sie nicht so recht zu entziffern wusste.

      Wenn Regina mit ihrem Mann und ihrer Tochter zusammen aßen, kosteten sie oft gegenseitig von ihren Tellern. Aus angeborener Neugier, so behauptete sie, müsste sie eben drei Gerichte von der Speisekarte probieren, statt nur eines. Chantal hatte dieselbe Angewohnheit, doch bei ihr hatte es etwas unerhört Sinnliches.

      „Versuchen Sie das mal“, sagte Chantal, „toll, wie das die Speiseröhre runter gleitet.“ Oder: „Ist das nicht der zarteste Spargel, den Sie je im Mund hatten?“

      Ständig bot sie Regina etwas auf ihrem eigenen Löffel oder ihrer Gabel an und sie schluckte gehorsam. Schließlich bestellen beide noch einen Nachtisch, nur um das Essen so lange wie möglich auszudehnen. Der Kellner wechselte die Teller und servierte das Dessert. Sie schwiegen beide, bis sie wieder allein waren.

      Manchmal berührte Chantal Regina an der Hand oder am Arm, wie um einer Äußerung Nachdruck zu verleihen, doch ließ sie ihre Finger dann einen Moment länger liegen als nötig. Regina konnte kaum fassen, welche Wirkung das bei ihr hervorrief. Wie kam es nur, dass das kleine Stückchen Haut, auf das Chantal ihre Finger gelegt hatte, noch Minuten später zu brennen schien? Und warum konnte sie es kaum erwarten, das noch einmal zu spüren? Ihr selbst kam es jedoch nicht in den Sinn, Chantals Hand auch nur versuchsweise zu berühren.

      Später fragte sich Regina, ob diese ganze Episode nicht vielleicht nur ihrer Phantasie entsprungen war. Sie zweifelte nicht an der Realität ihres Treffens an sich, sondern der hypnotischen Wirkung, die Chantal auf sie ausgeübt hatte. Das Herzklopfen wurde langsam unangenehm.

      Burlesque

      Reginas Horoskop: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Sie wissen, was Sie wollen. Nutzen Sie Ihr Selbstbewusstsein für Entscheidungen. Saturn stört den ungehemmten Fluss ihrer Lebensenergie.

      Chantals Horoskop: Wollen Sie mal wieder etwas Neues machen? Jetzt ist eine gute Zeit dafür. Nutzen Sie die Gunst der Stunde, anderen richtig zuzuhören. Die Aufmerksamkeit lohnt sich. Man muss das Eisen schmieden solange es heiß ist.

      Regina fand den Sex mit ihrem Mann weit weniger erregend, als eine kurze Berührung von Chantal. Sie begann von zarten Berührungen zu träumen, einer weicheren Haut … und fing an, sich ernsthafte Sorgen zu machen.

      In der darauffolgenden Woche erhielt sie von Chantal eine Einladung zum Vormittags-Probetraining im blauen Affen.

      Der Boden unter ihren Füßen war noch gefroren. Regina spürte, wie der Frühling um die Herrschaft auf der Erde rang. Nur der Frühling konnte so still seinen Einzug halten und so durchdringend, so überwältigend süß nach Maiglöckchen duften.

      Das Etablissement war um diese Uhrzeit noch geschlossen und hatte so gar nichts verruchtes an sich.

      „Welche Art von Tänzen kennen Sie denn?“, wollte Chantal wissen, um das heikle Thema eventuell vorsichtig anzugehen.

      „Walzer, Tango, Rumba, das übliche eben.“

      „Mumien schubsen? Nein, nein, ich meine keinen Paartanz“, gab Chantal keck zurück.

      „Ballett, Hula ...“, sagte Regina so mühsam, als ob ihre Zunge ihr nicht gehorchen wollte.

      „Hula, der erzählende Tanz, der sich in Hawaii entwickelte. Sehr schön und weiter“, forderte Chantal Regina auf.

      „Bauchtanz?“ Regina war wenig begeistert, sie mochte die orientalische Musik nicht.

      „Der Tanz des Ostens, ein ägyptischer, erotischer Solotanz, beinhaltet den exhibitionistischen Aspekt. Fällt Ihnen noch etwas ein?“

      „Poledance?“ Regina errötete.

      „Der Begriff Poledance bezeichnet eine Tanz- und Sportform, die sowohl im Zirkus bei den Artisten und auch in Tanzschulen erlernbar ist. Diese wird mit einer oder mehreren oft fest montierten oder frei drehenden Stangen betrieben. Der Platzbedarf dafür ist relativ gering. Eine entsprechende Anordnung lässt sich in einen normalen Wohnbereich leicht integrieren. Haben Sie schon einmal etwas von Burlesque gehört?“

      „Striptease?“ Reginas Frage war mit einer Art femininer Neugier gewürzt.

      „Nein. Nicht direkt. Die Künstlerinnen entkleiden sich nicht vollständig, sondern entledigten sich nur gewisser Kleidungsstücke. Das Ausziehen von Handschuhen kann dabei zur erotischen Attraktion werden. Als der Striptease nach 1930 zum wirklichen Ausziehen wurde, löste sich die Verbindung von Moderation, Tanz, Gesang und angedeutetem Striptease auf.“ Chantal besaß die Gabe, Silber als schimmerndes Gold zu verkaufen.

      „Und das kann man bei Ihnen lernen?“

      „Nicht nur das ...“

      Regina schaute fasziniert den Damen beim Training zu. Obwohl sie es bewusst vermied, Chantal direkt anzusehen, schlossen sie dennoch gelegentlichen Blickkontakt. Und jedesmal schien ein knisternder Blitz durch Reginas Körper zu fahren. Ihre Gefühle waren so intensiv, dass sie sich sicher war, sie würden erwidert.

      Im Anschluss gab es eine zehnminütige Kaffeepause zur Entspannung, damit die tägliche Manöverkritik nicht von ständigen Wutausbrüchen und dem Eigenlob der noch unter Adrenalin stehenden Tänzerinnen gestört wurde. Die Pause bot allen Gelegenheit, sich abzuregen und dann ging es weiter.

      Chantal wollte Regina eine kleine Aufmerksamkeit bieten. Daher wunderte sich Regina auch nicht, als Chantal sie, noch bevor die Probe beendet war, zu bleiben bat.

      Chantal zeigte Regina das < Theater der Träume >.

      Sie stand auf der Bühne. Ein Hauch von Magie lag in der Luft, als sie wie gebannt auf die Stühle horchte, die im leeren Zuschauerraum von allein hochklappten, als sich die Temperatur veränderte, als warte ständig ein geisterhaftes Publikum auf den Beginn der Vorstellung.

      Nach der Führung durch die Räumlichkeiten lud Chantal Regina noch auf einen Drink in ihr Séparée ein.

      Regina holte tief Luft, schluckte und es gelang ihr nur ein fast unmerkliches Nicken, ein blinzeln. Enthusiastisch, wie sie hoffte und nicht panisch.

      Chantal reichte Regina ein großzügig eingeschenktes Glas Weißwein. Dann ging sie zu einem großen Sofa und forderte sie, mit einer Handbewegung auf, darauf Platz zu nehmen. Sie selbst setzte sich in einen Sessel gegenüber. Regina unterdrückte das absurde Gefühl der Enttäuschung.

      Sie plauderten ungezwungen über dieses und jenes. Und während sich die Flasche leerte, schien es Regina, unter Chantals beharrlichen sanften Fragen, immer selbstverständlicher, ihr persönliche Gedanken und Geheimnisse anzuvertrauen. Fragen über Fragen, die sie bis an die Wurzeln ihrer Existenz führten. Regina wich keiner aus. Sie erzählte ihr von den unzähligen Seitensprüngen ihres Mannes – und ihrer großen, unerfüllten Liebe.

      … Regina war so verliebt. Ein fabrikneues Stück, jung und unerfahren.