Stefan Raile

Späte Liebe am Meer


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meine Vorgesetzten davon erfahren würden, erheblich zum Nachteil gereichen.“

      „Dann“, sagte Großmutter, während sie mich traurig anblickte und verhalten seufzte, „kann ich nur weiter für euch beten.“

      Doch so oft sie in ihrem lichtarmen Zimmer auch unsretwegen zum Rosenkranz griff, schien es nichts zu helfen. Wenn Kerstin schlief, korrigierten wir Hefte, lasen Fachliteratur, entwarfen Lektionen; anschließend sahen wir gewöhnlich fern, hockten im schummrigen Zimmer und starrten auf die Bildröhre, froh darüber, dass der andre nichts fragte.

      Später blieb selbst für das stumme Zusammensein kaum noch Zeit, obgleich wir die Arbeit im Haushalt aufteilten und Kerstin abwechselnd betreuten. Berit saß manchmal bis weit in die Nacht vor ihren Büchern, sie studierte alle greifbaren Abhandlungen über Unterrichtsmethodik und glich das fehlende Geschick durch Fleiß aus. Mir wich sie immer auffälliger aus, in der Schule jedoch übernahm sie Funktionen und leistete Überdurchschnittliches. Im nächsten Frühjahr trug man ihr eine Tätigkeit in der Pionierkreisleitung an. Als sie mir davon erzählte, sagte ich: „Dort gibt’s keinen geregelten Feierabend. Wir haben ein Kind. Hast du daran gedacht? Oder willst du, dass ich mich allein um Kerstin kümmere?“

      Sie lehnte ab, es sollte eine Konzession an mich sein, zumindest behauptete sie es. Unser Verhältnis wurde davon keinen Deut besser, und ich dachte immer öfter, dass Großmutter vielleicht wirklich Recht haben könnte. Doch es schien zu spät, um das, was sich abzeichnete, noch aufhalten zu können. Die Spannungen zwischen uns wuchsen, wir stritten uns von Woche zu Woche öfter, und als Berit nach Monaten ein weiteres Angebot erhielt, teilte sie mir lediglich mit, dass sie Schulinspektorin würde.

      „Wer tüchtig ist, avanciert“, sagte sie, „denn Leistung wird immer und überall belohnt.“

      Ganz so war’s nicht, aber das begriff ich erst später.

      Claudia stand vorm Spiegel und kämmte sich, sie hatte welliges, halblanges Haar.

      „Magst du Kaffee“, fragte ich, „oder lieber einen Schnaps?“

      „Lieber Schnaps“, sagte sie, „aber vorher noch was andres, wenn’s dir nichts ausmacht.“

      „Was?“

      „Baden“, meinte sie. „Die Wanne lockt so.“

      „Kannst du“, sagte ich, „natürlich“, und ich zeigte ihr die notwendigen Utensilien.

      Während ich Flasche und Gläser bereitstellte, hörte ich, wie sie im Wasser planschte. So ausgelassen war Kerstin an jenem See gewesen, sie hatte am Ufer gekauert und lachend nach den Wellen gegriffen. Als ich sie an den Hüften fasste und weiter hineinwatete, patschte sie mit den Händchen, dass die Spritzer flogen. Einmal schaute ich zu Berit – sie saß auf einer Landzunge -, dabei entdeckte ich einen Mann neben ihr. Es war Kadurath. Ich sah, dass sie lachte, vernahm ihre helle Stimme, dachte: Wie sie ihn anhimmelt. Verdacht hatte ich noch keinen, der kam später, vor der Heimfahrt, da stand der Inspektor neben seinem Auto und fummelte am Schloss, kriegte aber die Tür nicht auf. Seine Frau und zwei Töchter warteten ungeduldig. Als Berit seine erfolglosen Bemühungen bemerkte, wurde sie zapplig. Sie stieß mich an und sagte: „Der Wagen ist neu. Er kommt nicht zu Rande. So hilf ihm doch!“

      Da merkte ich zum ersten Mal auf, wollte es aber nicht glauben, dachte: Das kann nicht sein, er ist beinah zwanzig Jahre älter als sie, hat drei Kinder, was will sie mit ihm? Bald ahnte ich allerdings, dass sie ein Verhältnis hatten. Hinzu kam, dass mich etliche Bekannte drucksend und mitleidig über ihre Beobachtungen informierten, wodurch meine Vermutung zur Gewissheit wurde. Dennoch führte ich kein rasches Ende herbei, ich zögerte wegen Kerstin, zumindest redete ich’s mir damals ein, es widerstrebte mir, etwas andres überhaupt in Erwägung zu ziehen, heute weiß ich, dass auch Berit Anteil hatte. Aber in erster Linie ging’s ums Kind, schließlich sind die Chancen für Väter gering, in den weitaus meisten Fällen bekommen die Mütter das Erziehungsrecht zugesprochen. Ich konnte mir jedoch kein Leben ohne Kerstin vorstellen, wollte sie weiter lachen hören, ihre staunenden Augen sehen, die weichen Händchen in meinem Gesicht spüren.

      Berit unternahm gleichfalls nichts. In jenen Wochen, da ich endgültig zu bezweifeln begann, ob allein der Gang vor den Traualtar noch etwas hätte ändern können, glaubte ich, dass sie nur Kaduraths Scheidung abwartete, aber vielleicht war sie auch lange unschlüssig. Die Wahrheit werde ich kaum jemals erfahren, ich weiß nur, dass beide ihre Zuneigung in der Dienststelle hartnäckig bestritten, was dazu führte, dass sie sich mehr und mehr in Widersprüche verstrickten, weil sie zu oft gemeinsam gesehen wurden. Eine Lüge zieht zehn weitere nach sich, manchmal sogar hundert oder mehr. Sie trieben es schließlich so weit, dass sie abgelöst werden mussten.

      Danach arbeitete Berit wieder in einer Schule, wohin sie, seit sie befördert worden war, nicht mehr gewollt hatte. Eines Abends tüftelte sie endlos an ihrem Lektionsentwurf, kam aber trotzdem nicht recht voran. Ab und zu trank sie einen Schluck von dem Weinbrand, den sie mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie kaute an ihrem Füllhalter herum, schrieb ein paar Wörter, strich sie wieder, und dann sah ich, dass sie weinte. Ich setzte mich zu ihr auf die Couch. Sie schaute mich an, ihre Augen waren starr, sie sagte: „Geh weg!“

      Die Bestimmtheit in ihrem Tonfall hätte mich warnen sollen, doch ich hörte nicht, sondern berührte ihre Schulter. Sie stieß meine Hand zurück. „Fass mich nicht an!“

      „Bin ich denn giftig?“, fragte ich.

      „Ja“, sagte sie. „Ein giftiger Spießbürger!“

      „Aber mein Schnaps ist in Ordnung“, stichelte ich. „Da fürchtest du nicht, dass er schadet.“

      „Tut dir wohl leid, was? Selbst darin bist du kleinlich!“ Sie nahm das Glas und hielt es mir vors Gesicht. „Da, sauf deinen Fusel, sauf ihn!“

      Ich sah den Hass in ihren Augen, sie waren ganz dunkel davon, meine Hände verkrampften sich, und dann schlug ich zu. Berit stieß gegen den Tisch, das Glas entglitt ihr, es zerbrach, der Alkohol nässte den Teppich.

      Sie rappelte sich auf und ging ohne ein Wort hinaus. Ich saß noch lange reglos, später legte ich mich hin, konnte aber nicht schlafen.

      Am nächsten Tag reichte ich die Scheidungsklage ein. Der Aussöhnungsversuch scheiterte, ein paar Wochen darauf folgte der zweite Termin. Im Gerichtssaal saßen wir uns feindselig gegenüber, nichts war geblieben, nichts. Da hatte man unter einem Dach gelebt, sechs Jahre beinah, manche Last gemeinsam getragen, öfter umeinander gebangt, nachts, wenn man wach wur­de, dem Atem des andern gelauscht.

      Nun war alles vorbei.

      Die Verhandlung verlief ohne nennenswerten Zwischenfall, wir waren uns einig wie selten vorher, einig in der Aussage: Wir können nicht mehr! Lediglich zuletzt kamen wir ein bisschen in Bedrängnis wegen des Trabants, wobei der Richter, der seine Fragen bis dahin sehr sachlich gestellt hatte, zum ersten Mal unwillig wurde. Als er mit einem weiteren Termin drohte, gab ich nach, obwohl ich wusste, dass ich lange auf ein andres Auto würde warten müssen.

      Und Kerstin?

      „Ausgehend von der Feststellung, dass beide Parteien die gleichen Voraussetzungen für eine harmonische Erziehung der gemeinsamen Tochter haben, wird in Anbetracht der Tatsache, dass das Kind noch sehr jung ist, der Mutter das Erziehungsrecht übertragen.“ So lautete die Begründung, ich habe sie mir gemerkt, sie ist das Einzige, was ich mir wörtlich gemerkt habe.

      Am selben Tag noch zog Berit aus. Sie riss Kerstin von mir los, riss sie los und zerrte sie fort. Seither verwehrt sie mir den Umgang mit unsrem Kind, sie gebraucht wieder und wieder simple Ausflüchte.

      Am schlimmsten war der erste Abend. Ich blieb zu Hause. Mancher wäre in die Kneipe gegangen: ein Bier, ein Schnaps, ein Bier. Ich wollte allein sein. Was ich dachte, könnte ich nicht mehr sagen, nur dies ist mir erinnerlich: Mir schien, als rückten die Wände enger zusammen, senkte sich die Decke und drückte mich tiefer in den Sessel, immer tiefer.

      Wochen später rief mich Kaduraths geschiedene Frau an. Sie fragte, ob sie mir etwas Interessantes mitteilen solle. Bevor ich recht begriff, legte sie schon los. Ihr Exgatte