Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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der beiden Länder. Dann bin ich die Königin Ägyptens, bewacht von Priestern, umsorgt von einer Schar von Hofdamen. Dies ist unsere letzte Nacht – ein letztes Geschenk der Kuhhörnigen.“

      Ameni setzte sich auf, sog scharf die Luft ein als würde es ihm das erste Mal wirklich bewusst, nickte jedoch gleich. Er bemühte sich um Stärke, Hatschepsut konnte es sehen, und sah im gleichen Zuge, dass es ihm nicht so gut gelang wie ihr. Auch er war schön, nicht so schön wie Sary, nicht makellos stark – seine Stärke war durchzogen von Schwächen – und Amenis größte Schwäche war die Liebe zu ihr, die sich in seinen unglücklichen Augen widerspiegelte. „Hätte ich dich nicht anrühren sollen, Bruder meines Herzens? Hätte ich damals den Wüstensand aus meinem Haar schütteln sollen, mich abwenden und dir einen goldenen Ring zuwerfen?“

      Er ging vor ihr in die Knie und nahm ihre Hände in seine großen vom Soldatendrill rauen Finger. „Das weiß ich nicht, meine Haatsch. Manchmal denke ich, dass es besser gewesen wäre, aber dann wäre ich ein anderer ... einer, der die Liebe nicht kennt. Sary meint, dass es besser gewesen wäre, wir hätten uns niemals gesehen, doch es ist mir einerlei. Möge Ammit dereinst mein Herz vor dem Totengericht verschlingen, wenn ich mich schuldig gemacht habe, eine Göttin berührt zu haben, die nur ein Gott berühren darf. Ich tat es aus Liebe.“ Er legte ihre Hände in seinen Nacken, schloss die Augen und Hatschepsut knetete seine verspannten Muskeln, wie sie es so oft getan hatte.

      „Ich weiß nur eines, Haatsch. Morgen bist du die Große Königliche Gemahlin deines Bruders, und er hat dich noch kein einziges Mal angerührt. Dafür besteigt er Isis, dieses Weib aus seinem Harem, das ihm den Kopf verdreht hat, jede Nacht. Ihr Bauch ist rund, während deiner noch immer flach ist. Du bist jetzt in deinem sechzehnten Sommer, Haatsch. Mutnofret braucht dich nur so lange, bis ihr Sohn fest auf dem Thron Kemets sitzt, die kleinmütige Isis würde dich lieber heute als morgen aus dem Weg wissen, deine Mutter zerfällt in einem ewig währenden Traum aus Mohnsaft, und dein Vater, der mächtige Stier Ägyptens, liegt seit einem Mondumlauf in seinem prächtigen Grab. Dein Gemahl ist schwach, und du bist vollkommen allein. Niemand schützt dich. Es ist ein Frevel an den Göttern, und sie mögen mich strafen, doch ich wünschte, ich hätte dir ein Kind gemacht, das du als den Sohn deines lendenschlaffen Gemahls würdest herzeigen können.“

      Ein Schreckenslaut entfuhr Hatschepsut, und sie machte das Zeichen gegen den bösen Blick. Sie würde gleich morgen ein Opfer für Amun darbringen, damit dieser Ameni seine lästerlichen Gedanken verzieh. Ehe er weitersprechen konnte, legte sie ihm die Hand auf die Lippen, aber ihr Blick blieb weich. „Das darfst du nicht sagen, Ameni. Du weißt, dass ich nur von ihm oder von meinem Vater ein Kind hätte empfangen dürfen. Ich bin von göttlichem Blut, du nicht.“

      Ameni schüttelte den Kopf, und sein Blick wurde eindringlich. „Das ist dein Brudergemahl auch nicht. Du bist es, die ihm aus ihrem Leib göttliches Blut schenkt, das ihn berechtigt, den Thron der beiden Länder zu besteigen. Haatsch, ich flehe dich an ...“

      Wie er zu ihr sprach, der Kosename, den er ihr nach Amunmoses Tod zurückgegeben hatte, und mit dem sie nun fast alle riefen, die sie ihre Freunde nannte. Haatsch ... selbst Sary, der nie gut geheißen hatte, dass sie das Lager teilten, nannte sie so. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, die Garnison, die Leibwache des Einzig Einen, die Soldaten, die weggesehen hatten, wenn die Erbprinzessin sich wie ein einfaches Mädchen aus ihrem goldenen Palast geschlichen hatte, um bei einem der ihren zu liegen. Sie mochten sie, egal was Sary über sie dachte, das wusste Hatschepsut, sonst hätten sie Ameni und sie längst verraten. „Ich werde den Sohn von ihm bekommen, den er mir schuldet. Auch wenn ich wünschte, es könnte deiner sein, Ameni.“

      Er nickte und ergab sich in sein Schicksal, wie er es immer getan hatte. Er litt mehr als sie, das wusste Hatschepsut, und sie hätte ihm gerne eine ihrer Hofdamen gegeben, sogar Ipu, wenn er nur ein Auge für sie gehabt hätte. Es schmerzte sie, ihn zu verlieren, doch sie würde es ertragen, wie sie das Leben im Schweigen der königlichen Familie ertragen hatte. Hatschepsut war es gewohnt. Solange er ihr Freund blieb, würde sie es hinnehmen können. „Wirst du mir im Herzen ein Bruder bleiben?“ fragte sie deshalb sanft, und er sah sie an wie ein Hund, den sein Herr geprügelt hatte. „Das werde ich immer sein, Haatsch. Aber ich werde dich nicht schützen können. Nach der Krönungszeremonie sind wir abberufen, einen Aufstand der Nomadenvölker, zu dem die Fürsten der elenden Kermasöhne in Nubien aufgerufen haben, einzudämmen - die ganze Einheit, die gesamte Leibwache deines zu Osiris gegangenen Vaters.“

      Der Schreck fuhr ihr durch den Leib, und Hatschepsut sah ihn an, als glaube sie ihm nicht. „Aber ihr seid die Leibwache! Mein Bruder kann nicht auf seine Leibwache verzichten.“

      „Das tut er ja auch nicht. Aber was hast du denn geglaubt, meine Haatsch. Thutmosis beruft eine neue Leibwache ein, eine, der er mehr vertraut als uns.“

      „Er ist mein Bruder, Ameni. Er ist schwach, aber nicht schlecht. Ich werde mit ihm reden.“

      Wieder nahm er ihre Hand und drückte sie, als müsse er einem Kind etwas begreiflich machen. „Die Schwachen werden von den Starken zu Gutem oder zu Üblem verleitet. Auf deinen Bruder wirken die Kräfte seiner Mutter Mutnofret und seiner Nebenfrau Isis. Beide sind dir nicht wohlgesonnen, und beide wissen, dass die Leibwache deines Vaters dich ebenso bevorzugt, wie der Einzig Eine es getan hat. Diese elenden Nomadenaufstände, die jedes Mal, wenn ein neuer Pharao den Thron besteigt, entbrennen, sind ein Vorwand uns aus Theben fortzuschicken. Von nun an werden allein ihre Verbündeten Theben und den Palast bewachen.“

      „Hapuseneb wird mich beschützen. Er ist der oberste Priester des Amun.“

      „Ja, Hapuseneb ist dein Freund, und vielleicht auch Senenmut, der Vertraute deines Vaters. Aber derjenige, der die Truppen auf seiner Seite hat, kann Macht ausüben. Haatsch, du musst mir eines versprechen, wenn ich fort bin ... du wirst Thutmosis dazu bringen, das Lager mit dir zu teilen, damit du einen Sohn empfängst. Ich will nicht mit der Angst im Nacken ins Goldland gehen, dass dein Leben in Gefahr ist.“

      War sie wirklich so unerfahren, dass sie nicht geahnt hatte, was er schon lange wusste? Ameni war älter als sie, aber nur vier Sommer und ein einfacher Mann, der Sohn eines Nilschiffers, der das Land liebte. Das hatte sie einander verbunden. Er liebte Kemet, das schwarze Fruchtland, und Hatschepsut war Kemet. Wie hätte er sie nicht lieben sollen. Ein wenig war er, wie sie sich Amunmose als erwachsenen Mann und Gemahl vorgestellt hatte. Verliebt in sein Land und verliebt in seine Königin. Ein Sohn von ihm wäre gut für Ägypten gewesen. Aber er gehörte nicht zur königlichen Familie, also würde sie den Sohn aus den schwachen Lenden ihres Bruders erbetteln müssen. „Ameni, ich tue es ja, ich werde Thutmosis einen Sohn abtrotzen, aber du musst auf dich achten, wenn du in Nubien bist und zu mir zurückkehren.“

      Er lächelte freudlos. „Zumindest muss ich nicht sehen, wie die Frucht deines Bruders in deinem Leib heranwächst. Die Götter, meine Haatsch, sind grausam.“

      Er stand auf, zog sie auf die Beine und umarmte sie mit der gleichen ängstlichen Kraft, mit der er sie das erste Mal gehalten hatte. Als er sie losließ, spürte sie eine Ahnung der Einsamkeit, die sie fortan begleiten würde. „Mögen deine Füße festen Tritt finden, möge die süße Hathor dich wohlbehalten zurückbringen, Bruder meines Herzens ... gib auf dich Acht.“

      „Sary wird auf mich achtgeben, meine Haatsch.“

      Sie sahen sich an, betasteten sich mit den Augen und mochten sich kaum voneinander lösen, wohl wissend, dass sie sich nie wieder so nah sein würden, wie jetzt. Endlich gelang es Hatschepsut sich abzuwenden und die Tränen zu unterdrücken, die sich in ihre Augen stehlen wollten. „Jeden Tag werde ich Amun ein Opfer für dich bringen, damit er dich beschützt“, sagte sie leise, dann stieß sie die Tür auf und lief hinaus in die Nacht.

      Hapuseneb, der oberste Priester des Amun, kreuzte die Hände vor der Brust, hielt jedoch den Blick auf den Boden gerichtet. Um ihn herum standen seine Hilfspriester, hinter Hatschepsut Ipu, die auf den Wangen rote Flecken vor Aufregung hatte. „Alle Augen ruhen nun auf dir, Haatsch. Die Götter und auch der Hof erwarten, dass ich dir den nötigen Respekt entgegenbringe – zumindest wenn wir nicht alleine sind.“

      Er hätte es Hatschepsut nicht sagen brauchen, und doch