Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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Neider immer wieder versucht, Gerüchte über seine einfache Herkunft zu verbreiten, aber die Klugheit und Bildung Hapusenebs straften die bösen Zungen Lügen. Auch jetzt sah er Hatschepsut an, als wolle er sie fragen: Verstehst du was ich dir sagen will, Haatsch? Sie verstand es, spätestens seit der letzten Nacht, in der Ameni ihr die Augen geöffnet hatte. Jeder konnte ihr nun Übles wollen, diejenigen, die sich freundlich gezeigt hatten, könnten ihr jetzt Böses nachsagen. Bereits als sie ihm hinaus aus ihren Räumen folgte, wusste Hatschepsut, dass es angefangen hatte. Der Wachhabende, der steif vor ihrer Tür stand, war ihr fremd. Eine neue Leibwache war bereits auf ihrem Posten. Sie vernahm Ipus Schritte hinter sich, die gleich einer Affenmutter darauf achtete, dass ihre Schminke nicht verwischte, der Modius auf ihrem Kopf für die Hohen Federn nicht verrutschte und Hatschepsut nicht über ihr gefälteltes Gewand stolperte. Auch als Ipu sie in eine überdachte Sänfte schob, achtete sie darauf, dass das hauchdünne Gewand aus Königsleinen nicht zerknitterte.

      Der Weg durch die überfüllten Straßen Thebens war kurz und auch lang. Auf den Straßen jubelten die Menschen, Kinder, Frauen, Greise, junge und alte Männer, und es wurden Blüten geworfen und Segenswünsche gerufen; ganz Theben war ein Jubelschrei, denn endlich war die beängstigende Zeit des Chaos, in der die Maat nicht gewährleistet war, vorbei. Endlich würde ein neuer Horus den Thron der beiden Länder besteigen. Hinter ihnen folgte eine Eskorte der dunklen nubischen Medjai-Krieger, die für Ordnung sorgen würde, sollte die jubelnde Masse außer Rand und Band geraten, und vor ihnen ging singend eine lange Reihe kahlköpfiger Priester, die eine Wolke aus Weihrauch hinterließen. Wann wenn nicht am heutigen Tag, dem neunundzwanzigsten des Mechir zur Zeit der Saat, wäre ein Grund zum Toben und Tollen für das verängstigte Volk gewesen, das seit dem Tod seines Horussohnes in Angst gelebt hatte. Doch die Menschen waren trotzdem vorsichtig. Dieser Tag war nicht Glück verheißend, und das Buch der Manifestationsfeste riet, das Haus nicht zu verlassen, da der Tag Anstiftungen zum Kampf und zum Aufruhr vorhersagte. Doch wer sollte Aufruhr gegen ihren Brudergemahl im Sinn haben? Es gab keinen anderen Thronfolger, der seine Ansprüche auf die Doppelkrone hätte geltend machen können.

      „Die Hohen Federn muss er dir geben, Haatsch“, mahnte Ipu altklug, während sie gemeinsam mit Hatschepsut beunruhigt durch die Leinenvorhänge der Sänfte auf die wogenden Körper sah. Ihre Dienerin war ein hübsches Ding mit einer kurzen geraden Nase und mandelförmigen Augen. Sie stammte aus einer guten Familie alten Thebaner Adels und war mit Hatschepsut aufgewachsen. Dementsprechend freimütig pflegte Ipu Umgang mit der Frau, die nun bald die Königin beider Länder sein würde.

      „Die Hohen Federn für die Mutter des Thronfolgers“, gab Hatschepsut matt zu bedenken, die noch immer der Verlust Amenis plagte.

      „Willst du sie Isis überlassen? Haatsch ...“, gab sie flehend zu verstehen. „Heute Abend gehst du zu ihm und forderst dein Recht. Tu es, bevor Mutnofret und Isis ihn ein für alle Mal gegen dich aufgebracht haben.“

      Hatschepsut nickte müde. Sie hatte es Ameni versprochen, also konnte sie es auch Ipu versprechen. Hatte Ipu nicht auch darüber hinweggesehen, dass Hatschepsut bei Ameni gelegen hatte? Jetzt musste sie endlich zu ihrem Bruder gehen und einfordern, was er nicht einfordern wollte.

      Hapuseneb hob die Vorhänge der Sänfte und lächelte ihr aufmunternd zu, wiewohl er wusste, dass sie nicht glücklich war an diesem Tag, an dem alle um sie herum sich froh und sorglos gaben. „Wir sind in Karnak, im Hof vor Amuns Tempel angelangt. Dein Bruder wartet auf dich.“

      Hatschepsut stieg hinaus in die flirrende Hitze und fühlte sich schwach, obwohl sie es nicht zeigte. Die Säulen im Tempelhof spendeten wenig Schatten vor den Strahlen des Re, trotzdem wartete Thutmosis im länglich gezogenen Schatten einer Säule auf sie. Er war bereits angetan mit dem halblangen Schurz, an dessen Rückseite der Schwanz eines Stieres baumelte und den weißen Antilopenledersandalen, auf deren Sohlen Abbilder seiner Feinde eingeritzt waren, sodass er sie mit jedem Schritt in den Staub treten konnte. Er trug das Leopardenfell des obersten Priesters und aufwendigen Halsschmuck sowie einen Prunkgürtel. Die Einkleidung des Pharao war bereits vor Amun vollzogen worden, nun brauchte Thutmosis seine Königin, um die wirklichen Insignien der Macht über Kemet - Krummstab und Geißel sowie die Doppelkrone von Amun zu erhalten. Sein kurz geschorenes Haar, das er nie wieder so freimütig zeigen würde, glänzte in der Sonne. Daran, dass Thutmosis ihr die Hohen Federn geben würde, glaubte Hatschepsut nicht. Trotzdem zwang sie sich zu einem müden Lächeln, welches ihr Bruder erwiderte und trat zu ihm in den mageren Schatten. Wie wenig Schutz es doch gab, wo immer sie ihn auch suchen mochte. Thutmosis neigte den Kopf und betrachtete sie lange. Groß war er nicht, kaum größer als sie, obwohl er drei Jahre älter war. Sein Wuchs war schmächtig, fast noch der eines Knaben und sein Gesicht zu weich. Nur eine hervorspringende Nase verlieh ihm etwas Männlichkeit. Trotzdem war ihr Bruder hübsch, so hübsch wie eine Puppe, die ausstaffiert worden war. „Schwester“, sagte Thutmosis mit der ihm eigenen etwas zu hohen Stimme und küsste sie fahrig auf die Stirn. Seine Hände griffen nach ihrem Arm, nicht so stark und fordernd, wie Amenis es stets getan hatten, sondern eher zurückhaltend. Er zog Hatschepsut mit sich, als fürchte er, Amun könnte sich anders entscheiden, und ihm die Doppelkrone doch noch verweigern. Während sie an seiner Seite in den Tempel ging, kam es Hatschepsut vor, als stütze er sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie. „Hast du diese Nacht gut schlafen können?“, wollte er wissen, und sie nickte, obwohl es nicht stimmte.

      „Das ist gut, ich habe kaum ein Auge zugetan. Isis gab mir Mohnsaft, aber es half nicht.“

      Hatschepsut überhörte den Namen der Nebenfrau und stützte ihren Bruder, als dieser zu straucheln schien. Isis hatte ihm augenscheinlich zu viel Mohnsaft verabreicht. Immerhin – im Tempel Amuns herrschte noch eine angenehme Kühle, denn die Hitze währte erst seit wenigen Tagen. Die Wände aus Stein waren noch nicht aufgebacken, wie die Nilschlammziegel des Palastes. Hatschepsut war froh, als Hapuseneb sie und Thutmosis aufforderte, sich auf die beiden blockartigen Throne zu setzen, auch wenn diese nicht bequem waren. Gemeinsam ließen sie die Litaneien der Priester, das Weihrauchschwenken und das Opfer eines Stiers über sich ergehen. Thutmosis stöhnte gequält und wischte sich über die Stirn. Es war zu heiß für ein Blutopfer, aber es musste getan werden. Zwei Priester führten den Stier in den Tempel, ein makelloses Tier, beinahe so rein wie der Apisstier, der im Serapeum als Verkörperung des Gottes Ptah verehrt wurde. Auch sein schwarzer Leib glänzte vom Schweiß und der Hitze. Sie banden ihn zwischen zwei Säulen, während Puemre, der zweite Prophet Amuns, mit einem reich verzierten Opferdolch an ihn herantrat. Der Stier verströmte einen scharfen Geruch, und Hatschepsut meinte, seine Lebensader an seinem Hals pulsieren zu sehen. Dann, mit geübter Handbewegung, durchtrennte Puemre die Luftröhre des Tieres, sodass es lautlos zusammensackte. Nur seine Glieder zuckten noch, während der schwere Leib auf dem Steinboden verendete. Metallischer Blutgeruch breitete sich in der Tempelhalle aus, als die Priester den Bauch des Stieres aufschlitzten und die Eingeweide herausquellen ließen, um die Zukunft des jungen Horus zu lesen. Thutmosis hielt sich unvermittelt die Hand vor den Mund. „Mir ist schlecht“, flüsterte er Hatschepsut zu, und sie legte die Hand auf die Seine, obwohl auch ihr übel vom Anblick des Blutes und der Eingeweide wurde. Es dauerte lange, bis Puemre zufrieden nickte. Zwei Priester mit den hölzernen Masken des glutäugigen Seth und des falkenköpfigen Horus traten schließlich zu Thutmosis und nahmen ihn in die Mitte. Hatschepsut beobachtete steif und unbeweglich von ihrem Thron aus, wie ihr Bruder unsicher durch die Pfützen des Stierblutes lief, wobei er seinen Ekel nur schwer zu verbergen mochte. Erst als Puemre den Weihraucharm vor Thutmosis schwenkte, schien ihr Bruder etwas gelöster. Doch noch immer hielt er sich die Hand vor den Mund, um nicht speien zu müssen. Dann trat endlich Hapuseneb mit der Doppelkrone des Pharao zu Thutmosis und setzte ihm beide Kronen aufs Haupt – die rote und die weiße ... das obere Ägypten und das untere. Thutmosis Hände zitterten, als der Insignienverwahrer ihm Heka-Krummstab und Nechecha-Geißel reichte, aber seinen Mund umspielte das Lächeln eines glücklichen Kindes. Mit unsicheren Schritten, als ob er fürchtete, die Kronen würden von seinem Kopf fallen, ging er zurück zu seinem Thronwürfel, die Hände mit Geißel und Krummstab über der schmalen Brust gekreuzt. Ihr Bruder war der neue Horus – die Götter hatten ihren Willen kundgetan. Hatschepsut überkam eine unbestimmte Furcht bei seinem Anblick, und sie fragte sich, ob Thutmosis wusste, dass die Insignien in seinen Händen göttlichen Zauber besaßen, der seinem Träger eine schwere Bürde auflastete.