Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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Erkenntnis ihrer Gefühle legte sich in ihrer beider Gesichter. Hatschepsut streckte die Hand aus, und Thutmosis ergriff sie dieses Mal ohne Zögern. „Wenn wir nicht die wären, die wir sind, vielleicht hätten wir uns Zuneigung und Wärme schenken können, Bruder.“

      „Vielleicht, Schwester“, stimmte er zu, dann schloss er die Augen und schlief ein, ohne sie noch einmal anzusehen. Hatschepsut lag neben ihm wach, hörte auf das Zirpen der Grillen, die ihren abendlichen Gesang anstimmten, und spürte, wie der Samen des Bruders zwischen ihren Schenkeln erkaltete. Während sie seinen ruhigen Atemzügen lauschte, fragte sie sich, ob es nicht anders hätte sein müssen. Hätte der Herr allen Lebens nicht ihren Leib wärmen müssen, die Stärke des Mächtigen Stiers nicht ihren Bauch erhitzen, anstatt kalt und kraftlos aus ihr hinaus zu fließen? Konnte Amun in diesem schwachen Pharao Gestalt annehmen, um ein göttliches Kind mit ihr zu zeugen? Hätte Amenis Samen ihren Leib zum Glühen gebracht? Du wirst es nie erfahren, denn dieser Bruder ist der Einzige, dem es erlaubt ist, mit dir ein Kind zu zeugen. Ihre Gedanken flogen weit fort, zurück in die Vergangenheit, in der das Übel, das zwischen ihr und Thutmosis lag, seinen Anfang genommen hatte.

      Es war ein kühler Tag in der Jahreszeit Achet gewesen, in der die Göttin Isis reichlich ihre Tränen vergossen hatte und die Fellachen auf den Feldern ob des Überflusses gesungen und getanzt hatten. Der mächtige Stier hatte sie mitgenommen, als er den Hapi, den lebensspendenden Nil, gesegnet hatte, und Hatschepsut war stolz darauf gewesen, eine kleine Prinzessin, die eigentlich nichts gelten durfte, der jedoch der Vater wo immer er sie mitnahm, Geltung verschaffte. Auch, dass sie nach dem aufregenden Tag mit ihm in seinen Räumen saß, kaltes Gänsefleisch knabberte und mit dem lebenden Gott Senet spielte, war von großer Bedeutung. Groß war er, mächtig und stark, nicht nur an Gestalt, auch in seinen Worten und Taten. Hatschepsut hatte ihm zugesehen, wie er das Wasser aus dem geweihten Gefäß in die grünlich schlammigen Fluten des Hapi hatte fließen lassen, und seine Worte waren mächtig gewesen. „Gott Hapi, Amuns Sohn sendet dir Dank für die gute Flut in diesem Jahreskreis.“ Die Menschen hatten ihm zugejubelt, und nun saß Hatschepsut in seinen Gemächern, neben dem Gott, der ihr Vater war, und er lächelte, als wäre er nicht der Herr allen Lebens, sondern nur ein einfacher Vater, der mit seiner Tochter den Abend verbrachte. Hatschepsut hatte die Wurfstäbe in der Hand gehalten, ein Mädchen mit tiefschwarzer Kinderlocke und dem Gesicht eines Kätzchens, wie der Einzig Eine sie gerne neckte, als Thutmosis auf einmal in der Tür gestanden hatte. Seine Knie waren aufgeschlagen gewesen, die Nase blutig und das kurze Haar staubig. Erst vor einigen Monden hatte Mutnofret ihm seine Jugendlocke abgeschnitten und ihm erklärt, dass er nun ein Mann sei. Aber ihr Bruder war kein Mann, wie er da vor Hatschepsut und seinem übermächtigen Vater stand. Er hatte seine Schwester angesehen, betrübt und verletzt zugleich, da der Vater sie hier bei sich hatte und mit ihr Senet spielte. Aus seinen Augen hatte Eifersucht gesprochen. Thutmosis war fortgelaufen vom Übungsplatz der königlichen Leibwache, wo man den allzu zarten und verwöhnten Prinzen Demut und Kraft durch Schleifen und Drill lehren sollte, denn mit vierzehn Nilschwemmen, so meinte der Einzig Eine, war er alt genug dazu. „Ich will nicht mehr zu den Soldaten, sie sind grob und behandeln mich wie einen der ihren, nicht wie den Sohn des Pharao.“

      Die breiten Muskeln unter den Armreifen des Einzig Einen hatten sich angespannt, das vorspringende Kinn sich verhärtet. Sei ruhig Bruder und verschließe deine Gedanken, hatte Hatschepsut innerlich gefleht, denn so gut sie ihren Vater kannte, so wenig verstand der Bruder das Herz seines Vaters. Schwäche verabscheute er, und der überhebliche Prinz, der sich für besser hielt als die Soldaten, die ihn Bescheidenheit lehren sollten, verärgerte ihn. Amunmose, der zu Osiris gegangen war - er war gerne mit ihnen gelaufen, hatte mit den Männern gerungen und sie Freunde genannt. Aber Thutmosis jammerte und beschwerte sich, und der Pharao wurde immer unerbittlicher gegen den widerspenstigen Sohn. „Du bist der Falke im Nest, du wirst zurück zu ihnen gehen.“

      Als Thutmosis trotzig den Kopf hob, hatte ihr Vater auf Hatschepsut gewiesen, ihre Hände ergriffen und sie Thutmosis entgegen gehalten. Die Stäbe des Senetspiels waren ihr aus den Händen gefallen und über den Boden gerollt, wo sie vor Thutmosis Füßen liegen blieben. „Deine Schwester ist jünger als du, doch sie liebt und ehrt Kemet. Wenn du das nicht kannst, werde ich sie zum Falken im Nest machen. Eine starke Frau auf dem Thron beider Länder ist mir lieber als ein schwacher Mann.“

      „Sie sind zu hart zu mir, ich bin dein Sohn“, hatte Thutmosis sich mit zitternder Stimme verteidigt und die blutige Nase gerieben. Die Worte seines Vaters verletzten seinen Stolz, und er musterte die Schwester mit grimmigem Blick. „Schick doch sie, damit sie ihr die Nase brechen.“ Er hatte auf Hatschepsut gewiesen, und sein Blick wurde gehässig, da er doch wusste, dass sein Vater leere Drohungen aussprach. Eine Frau konnte nicht der Mächtige Stier Ägyptens sein, die Maat erlaubte es nicht.

      Hatschepsut hatte mit übler Vorahnung gesehen, wie das Gesicht des mächtigen Stiers versteinert war. Dann hatte er Thutmosis einfach den Rücken zugewandt. Da hatte Thutmosis seine Schwester erneut angestarrt, dieses Mal jedoch voller Angst und Unglauben, als hätte sie ihn betrogen.

      „Wer will es mir verbieten, ich bin der lebende Gott auf Erden, und ich kann ebenso eine Frau mit reinem Blut auf den Thron heben, wie einen dummen Jungen, der aus dem Schoß einer Nebenfrau gekrochen ist.“

      Danach war es ruhig gewesen in den Gemächern des Einzig Einen, da Worte gesprochen worden waren, die niemals hätten fallen dürfen. Thutmosis war ohne noch einmal aufzubegehren zurück zu den Soldaten gegangen. Niemand von ihnen hatte je wieder über diesen Tag ein Wort verloren.

      Hatschepsut rollte sich auf die Seite und betrachtete die im Schlaf noch verschwommeneren Züge ihres Bruders. Hättest du doch geschwiegen, Vater, und nicht ausgesprochen, was nur im Zorn gesprochen war. Aber so bist du gewesen, mein Vater. Deine Worte konnten Liebe schenken, oder im Herzen ein blutiges Schlachtfeld hinterlassen. Warum bist du von denen, die du Familie nanntest, gegangen, ohne Liebe zu hinterlassen? Wir sind allein, jeder für sich, und jeder von uns trägt ein Schlachtfeld im Herzen.

      Der Nachtfahrt 2 Stunde ist jene, welche klug ihren Herrn beschützt

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       Nubien, im zweiten Jahr der Herrschaft des Thutmosis Aakheperenre

      Sary riss seinen Bruder auf die Beine und zog ihn mit sich. Der glühend heiße Sand des elenden Goldlandes verbrannte ihnen die Füße, doch er wusste, dass sie laufen mussten, egal wie viele Schwielen und Brandblasen sie auch am Abend vom Schlaf abhielten. Gnadenlos brannten Res Strahlen auf ihre geschundenen Körper, unerbittlich folgten ihnen die Krieger der aufständischen Stammesfürsten. „Steh auf, Ameni, sie haben uns fast eingeholt!“

      Ameni stieß einen Fluch aus und trat den Stein zur Seite, über den er gestolpert war. Dann liefen sie weiter über den heißen Sand, im Rücken die Rufe und Schreie der nubischen Krieger, die sie mit ihren Speeren, Bogen und der wilden Bemalung in ihren dunklen Gesichtern verfolgten. Wie lange liefen sie schon vor ihnen davon durch dieses unwirtliche Land? Einen Jahresumlauf oder sogar länger? Sary hatte aufgehört zu zählen, denn dafür blieb keine Zeit, wenn einem der Tod im Nacken saß. Und diesen wollte er hier nicht finden, in der rotsandigen Steinwüste, eingekeilt zwischen den Felsen, die ebenso rot glühten wie der Sand, ganz so als würde Re selbst sie in diesem öden Land verlachen. Der blaue Himmel, der über den Felsen prangte, verhöhnte sie auf seine Art. Wasser, dachte Sary voller Verzweiflung. Süße Hathor, die du dich die Göttin dieses Landes nennst, schicke uns Wasser. Die nubischen Krieger holten auf, denn sie waren die Gluthitze und die Kargheit ihres Landes gewohnt – sie wurden nicht von ihm verschlungen wie die ägyptischen Soldaten, die um ihr Überleben kämpften. Sarys Leib und der seines Bruders sollten jedoch nicht im Wüstensand verfaulen und von wilden Tieren angefressen werden. Sary wollte leben, damit er friedlich in Ägypten sterben konnte. Nach seinem Tod wollte er mit Binden umwickelt werden, sein Körper erhalten und in duftende Harze getränkt, sodass er friedlich in einem ewigen Haus würde ruhen können. Mehr noch als vor dem Tod fürchtete Sary sich davor, ohne Augen, Arme oder andere wichtige Gliedmaßen im Schönen Westen fortleben zu müssen.