Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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du willst dieser Schlammfliege, die am Min deines Bruders hängt, doch nicht deinen Platz überlassen, oder? Also beeil dich, so rund bist du noch nicht, dass du trödeln darfst.“

      Ipu war unverschämt, aber sie war ihre Vertraute. Sie war ehrlich und einer der wenigen Menschen, die nicht zahllose Litaneien zu Hatschepsuts Begrüßung herunterleierten, bevor sie mit ihr sprachen. Begleitet von einer Schar Priester und Hofdamen eilten sie durch die Gänge, bis zur Empfangstür des großen Thronsaals, in dem Thutmosis seine Gesandten empfing oder sich mit seinen Beratern besprach ... mit Mutnofrets und Isis Beratern, verbesserte sie sich selbst.

      „Die große königliche Gemahlin, Gottesgemahlin, geliebt von Amun, geliebt vom Herrn beider Länder, Hatschepsut“, leierte der Zeremonienmeister ihre Titulatur herunter, als sie den von Menschen überfüllten Saal betrat. Die Höflinge wichen vor ihr zurück, kreuzten die Arme vor der Brust und taten ihre Verbeugungen - doch Hatschepsut wusste, dass sie es nicht um ihretwillen taten, sondern weil sie die große königliche Gemahlin des Pharao war und einen runden Bauch hatte, in dem vielleicht ein neuer Falke heranwuchs. Wie unsicher ihre Stellung war, nachdem Isis einen Sohn geboren hatte, sah man an der Zurückhaltung der Höflinge, die ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenken mochten als der dreisten Nebenfrau.

      An ihr vorüber zogen zwei Wachen einen Mann, der zerlumpt aussah. Er war mager und müde und hing schlaff in den Armen der Wachen. Doch als sie an ihm vorüberging, hob er kurz seinen Kopf, und starrte Hatschepsut durchdringend aus einem einzigen bernsteinfarbenen Auge an. Goldlöwe! Hatschepsut zuckte zusammen, als die Erinnerung sie überkam wie ein längst vergessener Traum aus vergangenen Tagen. Dieses Bündel aus Knochen und Haut hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem schönen Mann, dem die Mädchen in Theben nachgestarrt hatten. Warum war er hier? Warum führten sie ihn aus dem Thronsaal wie einen Verbrecher? Sie überlegte ihn anzusprechen, doch ein ungutes Gefühl ließ sie schweigen. Sie musste wissen, was geschehen war und wessen Sary sich schuldig gemacht hatte, bevor sie den Unwillen aller auf sich zog. Obwohl es ihr schwerfiel, beachtete sie den Bruder ihres einstigen Geliebten nicht weiter, und ließ es zu, dass die Wachen ihn aus dem Thronsaal schleiften. Auf dem Thronpodest wichen im gleichen Augenblick, als Hatschepsut die Stufen hinaufkam, Mutnofret und Isis vom Ohr ihres Brudergemahls und krochen wie Schlangen zurück in die Schatten hinter dem Thron, aus denen sie ihr Gift in Thutmosis Ohren träufelten – langsam und stetig. Sie mussten ihr weichen, noch mussten sie es, denn sie wussten nicht, ob es ein Sohn war, der in Hatschepsut heranwuchs. Wäre es eine Tochter, würden sie bald nicht mehr vor ihr zurückweichen. Hatschepsut ließ sich neben Thutmosis auf dem Thronstuhl der Königin nieder, darauf bedacht, ihren runden Leib nicht zu verbergen.

      „Schwester“, murmelte Thutmosis gequält und beinahe taub auf den vergifteten Ohren, ohne sie anzusehen. „Da ist einer aus dem Goldland zurückgekehrt und fordert, dass ich Truppen entsende, um die Aufstände einzudämmen. Denk dir nur – er fordert es – von mir, dem lebenden Gott! Weiterhin behauptet er, die Fürsten der Söhne von Kerma hätten sich gegen den Horusthron verschworen. Aber Mutnofret und Isis glauben, dass er einfach feige geflohen ist und seine Kameraden allein gelassen hat. Isis rät mir, keine Zeit mit ihm zu verschwenden und ihn unverzüglich hinzurichten.“ Seine Augen glänzten wie im Fieber, ein Zeichen dafür, wie verunsichert Thutmosis war. „Was soll ich tun? Er hat mich beschimpft und mich einen Heuchler und Menschenschlächter genannt. Das bin ich doch nicht, Haatsch! Ich habe die Leibwache unseres Vaters ausgesandt, um die Aufstände in Nubien einzudämmen, aber er behauptet, ich hätte sie mit voller Gewissheit in den Tod geschickt. Warum geschieht das gerade mir? Tue ich Recht daran, wenn ich ihn hinrichten lasse oder nicht? Laufen lassen kann ich ihn nicht, denn er wird in Theben gegen mich hetzen.“ Er jammerte beinahe wie ein Kind, und Hatschepsut sah sich genötigt, seine Hand zu nehmen, obwohl sie ihn lieber an den Schultern gerüttelt hätte. Thutmosis war wie ein junger Hund und forderte ihre Hilfe ein, ohne ihr die Seine zu gewähren. „Haatsch, was soll ich denn nur tun ... er will, dass ich Truppen nach Nubien entsende, aber gestehe ich nicht Schwäche ein, wenn ich mich von ihm beleidigen lasse?“

      Du hast bereits Schwäche gezeigt, als du auf Mutnofrets Geheiß die Leibwache deines Vaters aus Theben fortgeschickt hast, als wären sie Dreck unter deinen göttlichen Füßen. Sie hätten dich geliebt und beschützt, wie sie unseren Vater schützten, doch nun werden sie nichts mehr tun, auch wenn du sie befreist. Jetzt wirst du nichts als Dreck unter ihren einfachen Soldatenfüßen sein. Aber das sagte Hatschepsut ihrem verängstigten Bruder nicht. Statt dessen begann ihr Verstand zu arbeiten. Ihr Vater hatte die mächtige Stadt Kerma, die über das Goldland herrschte, besiegt, doch der Stolz der Bewohner und derjenigen, die sich für die rechtmäßigen Erben hielten, war ungebrochen. Bisher hatten sie sich gegenseitig bekämpft, da jeder Anspruch auf den Herrschertitel erhob. Nun schienen sie erkannt zu haben, dass ohnehin niemand von ihnen herrschen würde, wenn sie den Horussohn nicht aus ihrem Land vertrieben. Ihren Vater hatten sie gefürchtet – Thutmosis kannten sie nicht. Ihr Bruder hätte es wissen müssen und anstatt einer Leibwache von dreihundert Mann ein Heer ins Goldland schicken sollen ... mit ihm selbst an der Spitze, damit sie wussten, dass Ägypten stark war und ein Aufstand sich nicht lohnte.

      Gleich einer Schlange schob sich Isis von ihrem Platz hinter dem Thron an Thutmosis Ohr. „Lass diesen Mann hinrichten und vergiss sein Gerede. Du bist der Herr allen Lebens. Das Goldland wird sich beruhigen. Das hat es immer getan.“

      Thutmosis nickte, während in Hatschepsut die Erinnerung an Amenis Gesicht aufflammte. Schon längst war er ein Teil ihrer Vergangenheit geworden – das hatte sie zumindest geglaubt. Doch Sarys Auftauchen ließ die gestohlenen Nächte und die verbotenen Umarmungen in ihrem Herzen aufleben, als wären sie nie getrennt worden. Und die Männer, die nun im Goldland dem Tode geweiht waren ... ihre Verschworenen. Sie alle hatten geschwiegen und hatten sie und Ameni beschützt. Hatschepsut wusste im gleichen Augenblick, dass sie es nicht zulassen konnte, dass sie dort starben - schon wegen Ameni und um das zu erhalten, was ihr Vater für Kemet erkämpft hatte. „Du bist ihr Pharao – sie vertrauen dir ... noch. Wenn du nichts tust, werden sie sich fragen, ob die Worte dieses Mannes wahr sind. Du musst seine Behauptungen überprüfen lassen – und bevor nicht geklärt ist, ob er die Wahrheit gesagt hat, darfst du ihn nicht hinrichten lassen“, zischte Hatschepsut ihrem Bruder zu, während die Höflinge unruhig wurden, da sie das Getuschel auf dem Thronpodest sahen, aber nicht die Worte verstehen konnten, die gesprochen wurden.

      „Haatsch – ich brauche die Truppen im Norden. Syrien, die Hethiter, von dort droht größere Gefahr.“

      Hatschepsut verschloss sich gegen die feigen Reden des Bruders und selbst das Kind in ihrem Bauch schien aufzubegehren und trat kräftiger als sonst gegen ihre Bauchdecke. Sie waren sein Volk, wie konnte er nur so gleichgültig sein. „Ein paar Hundert Männer würden ausreichen – zusammen mit den Soldaten der Grenzfestung Buhen. Du musst gerecht bleiben, damit sie dich achten, und du musst Truppen ins Goldland schicken, sonst verlierst du die nubischen Minen.“

      Das schien Thutmosis endlich zu beunruhigen, denn er suchte den Blick von Isis, die jedoch abwehrend den Kopf schüttelte. Hatschepsut fasste einen Entschluss, kaum dass sie länger über ihren Gedanken nachgedacht hatte. „Entsende mich ins Goldland in deinem Namen. Lass uns eingreifen, bevor es zu spät dafür ist. Wir müssen ihnen zeigen, dass auf Ägyptens Thron ein starker Herrscher sitzt, der die Maat achtet.“

      Seine weichen Züge unter dem Nemestuch mit dem Uräus zeigten sich überrascht, und es fiel ihm schwer, sein Misstrauen nicht zu verbergen. „Haatsch, du trägst meinen Sohn. Sein Leben ist wichtiger als das der Soldaten.“

      Hatschepsut legte sich ihre Worte sorgfältig zurecht, bevor sie antwortete. „Du weißt, dass er nicht nur dir wichtig ist. Ich schwöre bei allen Göttern, dass ich ihn schützen werde, den Falken im Nest.“ Sie sagte es laut und deutlich und meinte zu spüren, wie Mutnofret und Isis auf ihren Plätzen hinter dem Thron des Königspaares zusammenzuckten.

      „Lass sie doch gehen, wenn sie es unbedingt will“, schnippte Isis Stimme gerade zur rechten Zeit in ihrem Rücken auf. Hatschepsut verbot sich ein zufriedenes Lächeln, da Isis so schnell den Köder gepackt hatte.

      „Kann ich dir vertrauen, Schwester?“, fragte Thutmosis unter zusammengekniffenen Augen, und winkte dann bereits seinen