Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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bis in alle Ewigkeit. Wenn sie hier starben, würde es kein Weiterleben nach dem Tod für sie geben. „Lauf, Bruder ... wir haben es gleich geschafft.“

      Ameni nahm seine letzten Kräfte zusammen. Hinter ihnen spien die nubischen Krieger ihnen Schmährufe in ihrer harten ungelenken Zunge hinterher und schlugen ihre Speere auf die mit Leder bespannten Schilde. Ein Ägypter schrie neben ihnen auf, von einem der Speere getroffen. Er fiel auf die Knie, spuckte einen Schwall Blut und blieb im Sand liegen. In Todesangst rief er die süße Hathor und dann Sary um Hilfe an. Sary schrie dem Himmel einen Fluch entgegen und kümmerte sich nicht weiter um den Sterbenden. Sie mussten ihn zurücklassen, einen der ihren, weil er verloren war. Niemand wollte hier leben, doch sterben schon gar nicht. Lass uns leben, damit wir in Kemet sterben können, Amun, schrie Sarys gepeinigter Verstand, und dann erreichten sie endlich den kümmerlichen Wall aus Steinen, den sie in aller Hast errichtet hatten, um sich wie Hasen dahinter zu verstecken. Ihr Atem ging keuchend, als sie sich hinter die Schutzmauer fallen ließen. Ihr Kommandant, eigentlich der zweite Befehlshaber, aber im Rang aufgestiegen, seit die Nubier den Ersten in die Hände bekommen und bei lebendigem Leib gehäutet hatten, schrie den aufgebrachten Männern Befehle zu, sie sollten die Bogen bereithalten und genau zielen. Doch ehe die Männer auch nur einen Pfeil von der Sehne lassen konnten, war es still. Die dunklen Krieger kamen nie bis an den Rand der Mauer. Stets zogen sie sich vorher zurück. Sie griffen nur an, wenn die Ägypter versuchten zu fliehen. Wild waren sie, gnadenlos und barbarisch – aber sie waren nicht dumm. Sie opferten keine Krieger, da es doch nur eine Frage der Zeit war, bis die durstigen Ägypter aufgaben und sich wie eine Herde Schlachtvieh in ihre Speere warfen. Außerdem waren sie hervorragende Bogenschützen und konnten ihre Beute auch von Weitem niederstrecken, wenn sie unvorsichtig wurde. Sary ballte die Hände zu Fäusten und spuckte Sand, der ihm auf der gehetzten Flucht in den Mund geraten war.

      „Wir hätten in Buhen bleiben sollen, Bruder. Der Kommandant der Festung hat uns gewarnt, aber wir waren überheblich diesem Land und seinen Menschen gegenüber.“ Ameni kam langsam wieder zu Atem und rieb sich den schmerzenden Fuß. Sary warf einen Blick auf den Knöchel des Bruders – nichts war gebrochen, den Göttern sei Dank. Einen fußlahmen Bruder hätte er nicht schützen können. Er konnte ja nicht einmal sich selbst beschützen. Trotzdem fühlte er sich zu einer bissigen Antwort gezwungen. „Wir hatten den Befehl, die Aufstände niederzuschlagen, und dieser Befehl kam vom Einzig Einen in Theben.“ Sary wusste, dass er dumm daher sprach, und es machte ihn zornig. Hatte der Einzig Eine Erkundigungen eingeholt, bevor er die abberufene Leibwache, eine Einheit von dreihundert gut ausgebildeten Soldaten, ins Goldland geschickt hatte, um die Aufstände einzudämmen? Hätte er nicht wissen müssen, dass es dieses Mal anders war und die Gegenwehr viel gewaltiger, als das immer wiederkehrende Aufbegehren der Fürsten, die es leid waren, Ägypten ihr Gold in die geöffneten Hände zu schaufeln? Sie waren klüger geworden - die Stammesfürsten kämpfen nicht wie sonst jeder für sich und gegeneinander, sondern hatten erkannt, dass sie stärker waren, wenn sie sich zusammentaten, um die ungeliebten Eindringlinge aus ihrem Land zu vertreiben. Thutmosis Aakheperenre war der Sohn Amuns, ein lebender Gott auf Erden – warum hatte er nicht gewusst, dass seine Soldaten wie Schlachtvieh in ihr Verderben liefen, als sie Buhen, die nördlichste Grenzfestung des Goldlandes, verlassen hatten? Es stimmte, was Ameni sagte. Der Kommandant von Buhen hatte sie gewarnt weiterzugehen, hatte gesagt, dass er schon vor längerer Zeit einen Boten nach Theben entsandt hatte mit einem Hilferuf und der flehenden Bitte um Unterstützung gegen die aufständischen Stämme des Goldlandes. Der Pharao hatte sie gewährt – dreihundert Soldaten der Leibwache seines toten Vaters hatte er ihnen geschickt – dreihundert Männer, die seinem Vater treu gedient hatten, denen er jedoch nicht traute. Sie waren zu wenige, um die Aufstände einzudämmen, und der Kommandant von Buhen hatte sich geweigert mit seinen Soldaten die schützende Festung zu verlassen, solange die Krieger wie entfesselt durch das Goldland tobten und alles niedermetzelten, was ihnen über den Weg lief. Sary und seine Einheit hatten ihn einen feigen Hund genannt und waren alleine weitergezogen, um den Befehl des neuen Pharao auszuführen. Sary presste die Lippen aufeinander. Dieser Kommandant war nicht feige, sondern klug gewesen. Und sie waren nicht mutig, sondern dumm. Nur Ameni hatte Bedenken geäußert, alleine weiterzugehen. Aber Ameni äußerte ständig Bedenken. Vielleicht, so gestanden sie sich mittlerweile jedoch alle ein, hatte Ameni doch recht mit seinem festen Glauben daran, dass Thutmosis sie opfern wollte, weil er sie fürchtete – die treu ergebene Leibwache des verstorbenen Gottkönigs.

      „Bruder, wir werden hier sterben.“ Ameni hatte sich aufgesetzt, fuhr sich durch das staubig verschwitzte Haar und riss Sary aus seinen düsteren Gedanken. Amenis Blick war nicht verängstigt, sondern schicksalsergeben. Dies war der Augenblick, vor dem Sary sich stets gefürchtet hatte - vor dem Tag, an dem sein Bruder seinen Lebenswillen verlieren würde. Er war schmaler geworden, wie sie alle, die Haut tiefbraun, gegerbt von Sonne und Hitze, die Wangen ausgezehrt vom Hunger. Sary sah den kläglichen Rest der einst stolzen Leibwache des Einzig Einen, wie sie hinter dieser Mauer aus Felsgestein hockte und nicht wusste, was zu tun war. Dreihundert waren sie gewesen, gut die Hälfte war noch übrig. Der Pharao hatte sie vergessen und wollte sich ihrer auch nicht erinnern – sie waren vollkommen allein. Den Göttern hatten sie gedient, dem Lebenden Gott auf Erden, und jetzt hatte der neue Herr der beiden Länder sie wie Fliegen in den Staub getreten. Trotzdem verbot Sary es sich aufzugeben. Viel zu zornig war er über sein vergeudetes Leben, als dass er es einfach fortwerfen würde. „Wir werden nicht sterben, Ameni. Heute Nacht versuchen wir im Schutz der Dunkelheit zu fliehen und uns zurück nach Buhen durchzuschlagen.“

      Ameni lehnte sich gegen die Mauer, betrachtete die trostlosen Gesichter der Kameraden, und Sary tat es ihm gleich. Kaum noch Wasser hatten sie, die Pferde nacheinander erschlagen und gegessen und überall lagen Knochen und verrottendes Fleisch. Fliegen tummelten sich um die fauligen Überreste. Es stank zum Himmel in ihrem erbärmlichen Lager. Ein paar wenige abgeschlagene Hände der Nubier lagen auf einem Haufen, wie ein Mahnmal nicht aufzugeben, und stattdessen weitere klägliche Trophäen zu sammeln für einen Gott, dem sie soviel bedeuteten, wie das Geschmeiß, gegen das er sie ausgesandt hatte. Sie soffen das Blut der geschlachteten Pferde, tranken ihre eigene Pisse und legten rohes Pferdefleisch auf eiternde und entzündete Wunden in der Hoffnung, der Brand würde gelindert. Wie lange würden sie noch durchhalten können? Jeden Tag starb mindestens einer von ihnen an seinen Verletzungen. Ameni sprach die gnadenlose Wahrheit - sie würden hier elendig verrecken, aber Sary war noch nicht verzweifelt genug, sich das einzugestehen. „Wir brechen aus der Umklammerung aus, Ameni! Heute Nacht – entweder wir schaffen es, oder nicht. Month möge uns beistehen. Wir müssen zurückkehren nach Ägypten, damit Gott Amun sieht, was der Pharao in seiner Selbstgefälligkeit tut. Wir müssen leben, damit wir es erzählen können – jedem, der zuhören will! Was uns geschehen ist, kann nicht Maat sein!“

      Ameni betrachtete seine wund gescheuerten Hände. „Es interessiert die Götter einen Dreck, ob wir verrecken, Sary.“ Dann schien er sich zu besinnen und fuhr sich über die aufgesprungenen Lippen. „Einer muss sich opfern, damit die anderen fliehen können. Einer lenkt sie ab, die anderen laufen um ihr Leben.“

      Sary trat einen Stein mit dem Fuß von sich fort. Er traf einen der Kameraden am Arm, der ihm einen kraftlosen Fluch entgegen schleuderte, aber zu erschöpft war, einen Streit zu beginnen.. „Keiner wird sich freiwillig opfern.“

      „Doch – ich werde es tun.“

      Amenis Worte trafen Sary wie einen Schlag mit der Kriegskeule im Nacken. Sein Kopf fuhr herum, um seinen Bruder einen Narren zu nennen. Doch Amenis Gesichtszüge wirkten entschlossen. „Ich muss am wenigsten von uns zurück nach Ägypten, Bruder. Ich habe keine Kinder und keine Frau, die auf mich wartet – keine, auf die ich hoffen darf.“

      Sary schloss die Augen. Sie hatte es letztendlich doch noch geschafft. Haatsch, die Gottestochter mit dem dreieckigen Katzengesicht, den schräg stehenden Augen und dem tiefschwarzen Haar, die nun die Große Königliche Gemahlin eines Pharaos war, dem sein Volk wenig bedeutete. Es war gekommen, wie Sary es seit der ersten Nacht, als Haatsch sich zu Ameni schlich, gefürchtet hatte. Hätte sie doch lieber ihn angesehen anstelle Amenis. Er hätte ihr sein Min zwischen die Schenkel gestoßen und sie maunzen lassen, wie es eine Buhlin der Katzenköpfigen brauchte. Er wäre ihr nicht verfallen wie sein rührseliger Bruder! „Sie ist es nicht wert, Ameni!“