Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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will die Truppen auf ihre Seite ziehen, mein Sohn, siehst du das denn nicht!“

      Hatschepsut hätte Mutnofret gerne befohlen zu schweigen, wagte es jedoch nicht, da sie fürchtete, Thutmosis würde sie vor allen Augen in ihre Schranken weisen und damit den versammelten Höflingen ein deutliches Zeichen ihres geringen Einflusses geben. Thutmosis gab dem Schreiber einen Wink zu warten, denn wieder war er verunsichert. Scheinbar unendlich lange hielten die Höflinge die Luft an, und im Thronsaal war es so leise, dass Hatschepsut kaum zu atmen wagte. Endlich wandte sich Thutmosis ihr wieder zu. „Ich werde dir vertrauen, Schwester! Aber ich gebe dir nur fünfhundert Soldaten. Wie du die Aufstände eindämmst, ist dir überlassen. Wenn es dir nicht gelingt, das Goldland zu befrieden und sich die Geschichte des Soldaten als Lüge herausstellt, wirst du den Schaden haben – nicht ich.“

      Hatschepsuts Mut sank so schnell, wie er aufgeflammt war. Fünfhundert Soldaten! Das war wenig, viel zu wenig, aber mehr würde Thutmosis ihr nicht zugestehen, aus Angst, seiner Schwester ein Heer in die Hände zu spielen, das sich hinter sie stellen würde. Hatschepsut lächelte nicht noch dankte sie Thutmosis für sein Misstrauen – sie wusste, dass Mutnofret und Isis die Zeit ihrer Abwesenheit zu nutzen wüssten. „Den Einäugigen nehme ich mit, damit er uns führen kann.“

      Ihr Bruder verweigerte ihr auch das nicht, froh darüber, nicht selbst entscheiden zu müssen, was mit ihm geschehen sollte. Er trug Hatschepsut jedoch auf, den Soldaten, egal ob er die Wahrheit gesprochen hatte oder nicht, entweder in Nubien hinrichten zu lassen oder auf einem Außenposten zurückzulassen. „Ich traue ihm nicht“, war seine Begründung für seine Entscheidung. Hatschepsut hatte seine Worte kaum noch gehört. Sie wusste mit einem Mal, wen sie jetzt brauchte. Wenn du nicht mehr weißt, wem du trauen kannst – ihm kannst du vertrauen.

      Senenmut blickte hinaus durch den Eingang seiner Empfangshalle, wo er gerne seine Nachmittage verbrachte und die friedliche Stimmung genoss. Seine Räume im Palast bewohnte er nur noch selten, seit der Einzig Eine in seiner Barke über den Himmel fuhr. Er war ihm schon immer zu laut, zu verlogen und zu unübersichtlich gewesen, dieser Palast mit seinen Höflingen und Intrigen. Nur um seinem Herrn besser dienen zu können, hatte er seiner Bitte entsprochen, dort zu leben. Doch nun war es nicht mehr nötig. Senenmut war ein Mann der Klarheit und geraden Wege. Wie sein Vater Ramose ihn gelehrt hatte, sich nicht von vergänglichen Dingen täuschen zu lassen, hatte er als junger Mann seinen stetigen Aufstieg begonnen und war aus den bescheidenen Verhältnissen seines Elternhauses zum Freund und Berater des Lebenden Gottes aufgestiegen. Nach der Priesterweihe hatten die Götter es ihm bestimmt, im Heer des Pharaos zu dienen, wo er sich durch Klugheit und Tapferkeit verdient gemacht hatte. Als Dank für seine Treue war Senenmut nach seiner Zeit in Pharaos Heer schließlich zum Vorsteher der Kornspeicher des Amun ernannt worden, was nicht weniger bedeutete, als dass er die zugedachten Erträge des überaus reichen Karnaktempels verwaltete. Senenmut tat dies klug und bescheiden, was ihm den Oberpriester des Amun zum Freund gemacht hatte. Nun war er selbst ein wohlhabender Mann mittleren Alters und konnte die Früchte ernten, die er über viele Nilschwemmen gesät hatte. Sogar die Heirat mit einer Thebanerin adeligen Blutes würde ihm nicht mehr verwehrt sein, denn niemand fragte noch nach seiner geringen Herkunft – Senenmut hatte den Makel seiner einfachen Geburt mit Ehre, Ansehen und Wohlstand überdeckt; und mit seinem Herrn waren auch seine Pflichten dem Horus gegenüber gestorben, die ihm lange nicht die Zeit für eine eigene Familie gelassen hatten – Senenmut war endlich frei für ein eigenes Leben - oder doch nicht?

      Vor ihm saß Hatschepsut, die Lieblingstochter seines toten Herrn, in einem schlichten Leinenkleid, das schwarze Haar fiel ihr glatt über die Schultern, und nur der Uräus, der sich über ihrer Stirn erhob, ließ erkennen, wer sie war. Sie war feingliedrig und voller jugendlicher Ungeduld, wie sie auf dem zierlichen Ebenholzstuhl herumrutschte und den Becher mit Wein nicht anrührte, den sein Diener Anen ihr gebracht hatte. Die aus der Familie des Horus lernten bereits früh, ohne Vorkoster keine Speise anzurühren, die ihnen gebracht wurde. Hatschepsuts Bauch begann sich zu runden – sie hatte es vollbracht, ihrem Brudergemahl ein Kind abzutrotzen, obwohl die Höflinge Wetten darauf abgeschlossen hatte, dass Thutmosis seine Schwester nicht anrühren würde. Ipu, ihre hübsche aber etwas überhebliche Dienerin, stand hinter ihr und sah sich verstohlen in seinem Haus um. Es war kein ansprechendes Haus für das Auge einer verwöhnten Palastfrau, denn es enthielt zu wenig Tand und Zierrat, um den Augen einer Frau zu schmeicheln. Aber Senenmut liebte es, denn es war sein Heim – seine Flucht vor der Welt des Palastes. Doch heute war der Palast ohne Vorankündigung in sein sicheres Nest eingedrungen. Senenmut wusste nicht, ob er zornig war oder einfach überrumpelt. Hatschepsut war eine Gottestochter, und diese machten sich wenig Gedanken darum, ob sie erwünscht waren oder nicht. Sie redeten viel und hörten wenig auf die Worte von anderen.

      „Senenmut, kann ich dir vertrauen, und bist du mein Freund?“, fragte Hatschepsut mit ihrer weichen Mädchenstimme bereits das zweite Mal und zwang ihn, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Senenmut tat sich schwer mit einer Antwort, denn er wusste, sie musste von Ehrlichkeit zeugen und würde ihn einmal mehr dem Göttlichen verpflichten. Wollte er der Freund dieser jungen königlichen Gemahlin sein und ihr dienen? Senenmut wusste, dass er ihrem Bruder auf keinen Fall dienen wollte, aber in Hatschepsut schien etwas von ihrem göttlichen Vater aufzuflackern. Wie sie ihn mit ihren schräg stehenden Augen ansah und ihn aufforderte, endlich zu antworten erkannte er den großen Willen, der auch ihrem zu Osiris gegangenen Vater zu eigen gewesen war. Ihrem Vater hatte er einst ein Versprechen gegeben, von dem Senenmut inbrünstig gehofft hatte, dass es nicht nötig wäre, es einzulösen. Aber die Götter achteten nicht auf die Wünsche der Sterblichen. Es war ein schöner Traum gewesen – eine eigene Familie, Söhne, die dereinst Opfer für ihn bringen würden, eine freundliche Gemahlin an seiner Seite ... Dies ist nicht, was Amun von mir erwartet!

      „Du bist die große königliche Gemahlin, und dein Vater hat die Wahrheit gesprochen, als er sagte, dass du dich vertrauensvoll an mich wenden kannst. Ich werde dich ins Goldland begleiten und die Truppen führen.“ Ich wünschte jedoch, dass es nicht nötig wäre, denn ich kenne die Menschen des Goldlandes. Mit ihrem Vater hatte er einst den Herrscher von Kerma niedergezwungen und die Mauern seiner Stadt geschliffen, aber die Menschen würden immer wieder aufbegehren, so oft Kemet auch Truppen entsandte. Doch wie konnte er diese ahnungslose junge Königin allein gehen lassen, wo er ihrem Vater einen Schwur geleistet hatte? Senenmut sah in ihr dreieckiges Gesicht, das weder lieblich noch hart war, aber auf eine seltsame Art und Weise anziehend. Wusste dieses Mädchen denn überhaupt, was es da tat oder basierte der Entschluss ihres Handelns auf unüberlegten Gedankengängen, wie es bei ihrem Bruder der Fall war? „Du weißt, dass sich viel verändern kann, wenn du lange aus Theben fort bist. Die, die gegen dich sind, werden die Zeit nutzen. Bist du dir sicher, dass du nur wegen ein paar Soldaten diese Reise auf dich nehmen möchtest? Du trägst ein Kind – dies scheint mir die klügste Art für eine Königin, ihr Leben und ihren Rang zu sichern.“

      Hatschepsuts Brauen hoben und senkten sich wieder, als überlege sie ob Senenmut sie hatte beleidigen wollen. „Senenmut, hältst du mich für dumm oder willst du herausfinden, ob ich klüger bin, als du es mir zutraust? Wenn ich nach Nubien gehe und das Goldland befriede, das Leben der Soldaten dort rette, wem werden sie es danken? Mir oder meinem Bruder?“

      Er zwang sich, das aufkommende Lächeln zu unterdrücken und ernst zu bleiben. „Und wenn es dir nicht gelingt, wem werden sie es anlasten?“

      Das Mädchen vor ihm ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn er spürte, dass es ihr schwerfiel. Sie hatte Angst, dachte jedoch nicht daran, dies vor ihm einzugestehen. Aber Senenmut musste genau wissen, mit wem er es zu tun hatte, bevor er sich entschloss, seinen Frieden aufzugeben und sich wieder in die Schlangengrube des Palastgeschehens zu begeben. „Willst du deinen Bruder stürzen, meine Königin?“

      Er hatte damit gerechnet, dass diese Frage sie endgültig aus der Fassung brachte. Sie hätte aufspringen und ihn beschimpfen sollen, mit hoch erhobenem Kopf sein Haus verlassen, doch Hatschepsut tat nichts dergleichen. „Ich will nur Schutz für mich und mein Kind. Ich will leben, ohne mich ständig umsehen zu müssen, ob ein gedungener Mörder mit dem Dolch auf mich wartet oder Gift in mein Mahl gibt. Wenn Kemets Truppen mir wohlgesonnen sind, kann ich das tun ... und ich will das Beste für mein Land und das bewahren,