Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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wusste, dass es wenig war, aber es war alles, was sie besaß. Mit einem letzten Blick auf das milde Gesicht der Göttin verließ sie das Allerheiligste.

      Als sie aus dem Tempel trat, wartete ihre kleine Gefolgschaft an der Seite des Priesters bereits mit erwartungsvollen Blicken in der Hitze des Nachmittags. „Hat sie zu dir gesprochen, und wird sie den Hapi steigen lassen?“, wollte Ipu, vorlaut wie immer, sofort von ihr wissen und drängte sich an ihre Seite. Hatschepsut biss sich auf die Lippe und hasste sich selber für ihre Worte. „Satis ist Kemet gewogen“ antwortete sie, als wäre es selbstverständlich. Das Bernsteinauge Sarys schien zu glühen, und sein Gesicht, einstmals schön, jetzt entstellt von der leeren Augenhöhle und der Narbe, die sich um das Auge zog, schien sie spöttisch zu mustern. Er glaubt mir nicht, und er hat allen Grund dazu, mir nicht zu vertrauen. Hatschepsut sandte den Priester aus, den Wächter des Nilometers an einem Seil in den Schacht hinabzulassen und den Pegelstand an der aufragenden Säule in der Mitte des Schachtes abzulesen. Als sie den Mann wieder hinaufzogen, schüttelte er entschuldigend den Kopf. „Es sieht nicht gut aus, erhabenste Majestät. Ein paar Monde bleiben noch, wir können nur beten, dass die Göttin dich gehört hat.“

      „Gebt den Pegelstand nicht bekannt, bevor ihr nicht die Anweisung aus Theben erhaltet“, wies Hatschepsut den Oberpriester an, der es ihr versprach. Die Hitze des Erntemonats Epiphi brannte auf sie hinunter, der Sand glühte durch die Sohlen ihrer Sandalen, und es wurde heißer, je länger sie südwärts ins Land vordrangen. „Senenmut, sorge dafür, dass wir bald weiter reisen können“, bat sie ihn und er verbeugte sich anstandslos und pflichtschuldig, als hätten sie nicht in jener Nacht am Ufer des Hapi gestanden und geredet, als wären sie vertraut.

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       Buhen, im zweiten Jahr der Herrschaft des Thutmosis Aakheperenre

      Die hohen und unüberwindlichen Mauern Buhens lagen in einer fruchtbaren Ebene, und bildeten die nördlichste der Grenzfestungen, welche das Goldland durchzogen. Wie ein Bollwerk erhob sich die nördlichste Grenzfestung aus dem ansonsten kargen Umland. Hatschepsut sah hinauf zu den hohen Wehrmauern, die in der grellen Sonne buken, während sie von der Barke auf den Landungssteg trat, und fühlte sich verloren angesichts der Gewaltigkeit und der im Wind flatternden blauweißen Wimpel, welche die Oberherrschaft des Pharao über die Festung kundtaten. Diese riesigen Mauern waren nicht einzunehmen, egal wie viele Krieger des Goldlandes auch gegen sie anrannten. Verloren fühlte Hatschepsut sich auch, als ihr der Kommandierende der Festung mit einer Ehrengarde von zwanzig seiner Soldaten entgegentrat und sich vor ihr verneigte. Die Männer wirkten müde und lustlos, was mitunter an der sengenden Hitze liegen konnte, die auch Hatschepsut den Atem zu rauben schien. Sie buk die Mauern der Festung auf, in der sich Wohnhäuser, Tempel und auch die Garnisonen nah beieinander drängten. Innerhalb Buhens, so stellte Hatschepsut überrascht fest, erstreckte sich eine Stadt mit Tempeln, Marktständen, Bier- und Weinschenken und jedem Handwerk, das man in einer Stadt zu finden hoffte. Trotzdem waren die Händlerstände auffällig spärlich bestückt, und es wurde wenig gelacht oder geschwatzt, wie es sonst in den Straßen einer Stadt üblich war. Hatschepsut empfand Buhen als viel zu leise für einen Ort, an dem so viele Menschen lebten. Wie lange niemand mehr die schützenden Mauern Buhens verlassen hatte, wollte Hatschepsut nicht wissen. Die resignierende Trägheit in den Blicken der Männer verriet ihr, dass sie bereits seit Monden wie die Fliegen auf einem Haufen saßen und auf Unterstützung aus Theben warteten. Der Jubel, der an den Straßen versammelten Menschen fiel dementsprechend verhalten aus, und nur wenige Blüten wurden auf die sandigen Straßen geworfen, um das Eintreffen der Großen Königlichen Gemahlin zu feiern. Der Kommandierende lächelte gequält, während er Hatschepsut in den Schatten seines eigenen Hauses führte, wo seine träge Gemahlin vor ihr auf die Knie ging und den Begrüßungssegen sprach. Setep war ein untersetzter Mann mit dunkler Hautfarbe, wie sie die Menschen aus dem Süden besaßen. „Gesundheit, Leben und Wohlergehen der ewigen Majestät, Gottesgemahlin des Einzig Einen, der in Theben weilt.“

      Diener geleiteten Hatschepsut und Ipu zu bequemen Stühlen und wiesen anschließend Senenmut und Sary Plätze in der Empfangshalle zu. Mäßig gekühlter mit Wasser verdünnter Wein wurde gereicht, und Hatschepsut fragte sich einmal mehr, wie lange keine Handelsbarken mehr nach Buhen gekommen waren.

      „Ein Sendschreiben ist deiner Ankunft vorausgeeilt, in dem der Herr allen Lebens, er lebe, sei heil und gesund, mitteilen ließ, dass du mit fünfhundert Soldaten auf dem Weg hierher bist, um die Aufstände einzudämmen.“ Setep wartete nicht darauf, dass Hatschepsut ihm erlaubte zu sprechen. Obwohl er seine Gedanken zu verbergen versuchte, spürte Hatschepsut, dass er innerlich aufgebracht war. Seine Gemahlin erteilte derweil in einem Nebenraum hektische Anweisungen an ihre Dienerschaft, und Hatschepsut konnte aus Wortfetzen vernehmen, dass wohl vergessen worden war, ein Haus für die Große Königliche Gemahlin herzurichten. Seteps Stimme näselte derweil unangenehm, doch er fühlte sich beflissen, Hatschepsut weiter zu bedrängen. „Der Herr allen Lebens, er lebe, sei heil und gesund, schätzt in seiner unendlichen Güte die Lage im Goldland falsch ein. Fünfhundert Soldaten werden niemals genügen, und auch meine Soldaten sind mutlos und ohne Kraft. Ich hatte gehofft, dass der Einzig Eine, er lebe, sei heil und gesund, sich dieser Sache annehmen würde, und dass er mit Truppen erscheinen und meinen Soldaten Mut zusprechen würde, obgleich ich natürlich unsagbare Freude über die Ankunft der Großen Gottesgemahlin empfinde.“

      Hatschepsuts Kopf schmerzte, und in ihren Schläfen hämmerte es. Forderungen, Entschuldigungen, ausweichende Reden und unzufriedenes Murren. Wann würde sie jemals etwas anderes zu hören bekommen? Hatschepsut sah auf ihre Füße, die ebenso geschwollen waren wie ihre Beine. Die Hitze des Tages war atemberaubend, aber vielleicht war es auch ihr mittlerweile kugelrunder Bauch, der ihr den Atem nahm. „Was ist mit der Leibwache meines zu Osiris gegangenen Vaters? Ist sie hier in Buhen?“

      Die Augen des Kommandanten wichen ihr aus, und er kratzte sich verlegen unter seinem staubigen Harnisch. Anscheinend war er gerade erst vom Truppenübungsplatz gekommen, als Hatschepsuts Barken eintrafen. Niemand hier bemaß ihrem Erscheinen das geringste Gewicht!

      „Das, was von ihnen übrig ist, Majestät. Nur wenige haben es geschafft, dreiundsechzig Männer, um es beim Namen zu nennen und die Hälfte von ihnen verletzt und nicht fähig zu kämpfen. Nun ja, du kannst zu ihnen sprechen, doch vielleicht solltest du erst ruhen.“

      Es kostete Hatschepsut Mühe sich gerade zu halten und diesem Setep nicht zu zeigen, wie müde sie tatsächlich war. Ohnehin nahm er ihr Vorhaben kaum ernst, und seine unverschämten Blicke auf ihren Leib bezeugten das deutlich. „Ich werde sie zuerst anhören“, sagte sie fest und winkte den einäugigen Goldlöwen zu sich heran. Sein Bernsteinauge schien sie mit Verachtung zu strafen. „Sary soll mich begleiten.“ Sie wusste nicht, weshalb sie dies wollte; wahrscheinlich war sie es ihm schuldig, an seiner Seite in die Schlangengrube zu treten.“

      Der Kommandant musterte Sary und kratzte sich dann das Kinn. „Dein Name ist Sary? Bist du der, der sich nach Theben durchgeschlagen hat?“ Seine Augen zeigten endlich so etwas wie Bewunderung, als Sary stumm nickte.

      „Dann solltest du schnell zu deinem Bruder gehen, denn er fragt ständig nach dir.“

      Hatschepsut und Sary zuckten beinahe gleichzeitig zusammen. „Er lebt? Ameni lebt noch?“, stieß Sary hervor, und Setep hob die Hände, als wolle er ein Raubtier davon abhalten, sich auf ihn zu stürzen. „Wenn man es Leben nennen möchte, dann ja.“

      Sary hörte ihn nicht mehr. Er wandte sich um, begann zu laufen und achtete nicht darauf, dass er Hatschepsut zurückließ. Gerne wäre Hatschepsut einfach aufgesprungen und hinter Sary hergelaufen, doch sie erinnerte sich daran, dass sie das weder konnte noch durfte. Einem inneren Bedürfnis folgend griff sie nach Senenmuts Arm. „Begleite du mich, Senenmut. Ich muss ihn sehen.“

      Senenmut erhob sich und stützte sie so gut er es vermochte. Setep bot ihr an, einen Tragstuhl holen zu lassen, doch Hatschepsut lehnte dankend ab. Was würden diese zornigen Männer denken, wenn sie wie eine goldene Statue vor sie getragen wurde, nachdem ihnen so viel Übel widerfahren war. Was würde Ameni von