Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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Im Goldland tobte ein Aufstand der Fürsten, während in seinem Bauch Schmetterlinge umherwirbelten, die ihn keinen klaren Gedanken fassen ließen, solange er in ihrer Nähe war. „Anen, mein alter Anen! Wenn du mich jetzt sehen würdest, wie sehr würdest du mich auslachen. Du bist alt, aber ich bin ein alter Narr!“

      Hatschepsut fühlte sich steif und ungelenk wie eine alte Katze, als sie von Ipu gestützt den Raum verließ, in dem sie ihre Tochter geboren hatte. Ein Lager voller Schmerzen und Glück hatte sie hier gefunden, doch das war eine Woche her, und die Sorgen zerrten sie unbarmherzig auf die Beine. Natürlich war Ipu anderer Ansicht, aber wie hätte Hatschepsut sich den verlockenden Einwänden ihrer Dienerin hingeben können. Die Männer warteten ausgehungert in diesem elenden kleinen Hof, auf dass sie einen Schuldigen fanden, an dem sie ihren zornigen Hunger stillen konnten. Hatschepsuts Bauch war leer, ihre Tochter zwar schwach, doch die Milch der nubischen Amme nahrhaft genug - Nofrure wurde von Tag zu Tag kräftiger. „Eine nubische Amme, Haatsch!“, hatte Ipu mit aufgerissenen Augen geschrien, doch dann zugeben müssen, dass die Milch dieser dunklen Frauen des Goldlandes Nofrure nährte, als wäre sie von Hathor selbst gesäugt worden. Hatschepsuts übervolle Brüste hingegen schmerzten, und ihre eigene Milch stockte und versiegte. Aber das würde vergehen. Wenn sie ihre Tochter ansah, wusste sie, dass Nofrure allen Schmerz dieser seltsamen Geburt wert war.

      „Sie ist bezaubernd, Haatsch ... aber nur eine Tochter. Ein Bote ist bereits mit einem Sendschreiben nach Theben aufgebrochen, um es dem Palast zu verkünden. Was glaubst du, werden Mutnofret und Isis tun? Sie werden ein Fest feiern, und ich fürchte um dich, wenn du nach Theben zurückkehrst. Sie werden alles daran setzen, dass es dort keinen Platz mehr für dich gibt!“ So redete Ipu jeden Tag und drängte sich in ihre glücklichen Gedanken, bis nichts mehr von ihnen übrig zu sein schien - Hatschepsut war des maßlosen Leidens ihrer Dienerin überdrüssig. Und doch hatte Ipu recht! Nun, da sie ihr Lager, die letzte Zuflucht vor der Wahrheit verlassen hatte, wusste Hatschepsut, dass sie weiter gehen musste – Schritt für Schritt, wie Senenmut gesagt hätte, wenn er nicht ihre Nähe gemieden hätte wie ein Schakal die Menschen. Was hatte sie nur an sich, dass die Männer sie mieden, als trüge sie Pusteln und Beulen im Gesicht. Zürnte Senenmut ihr, da sie ihm ihr goldenes Kind in die Arme gelegt hatte? Du armer einsamer Mann. Wie hat der Anblick Nofrures dein so gut gehütetes und verschlossenes Herz erschüttert. In ihrem Herzen lächelte sie jedoch über diesen scheinbar lebenserfahrenen Mann, dessen geordnete Welt nun über ihm einzustürzen schien, als wäre das Firmament über seinem Kopf geborsten.

      Hatschepsut traf die Hitze auf den Straßen der Festung, als hätte Amun selbst ihr ins Gesicht geschlagen. Geh endlich deinen Weg – ein Schritt vor den anderen, schien er sie zu tadeln, und Hatschepsut krallte sich an Ipus Arm, um nicht gleich wieder umzukehren. Es ging auf die Zeit der Überschwemmung zu, aber hier, am Ende der Welt, gab es nur Sand und Staub und Wüste. Dabei war Buhen nach Aussagen Seteps der letzte Posten ägyptischer Ordnung. Hier gab es Tempel, in denen Opfer dargebracht wurden und sogar ein paar Gärten, die gewässert und gepflegt wurden. Was Hatschepsut erwarten würde, wenn sie tiefer in das Goldland vordrang, mochte sie sich kaum vorstellen. Schon begann sie die schwarze Erde Kemets zu vermissen, die Papyrusstauden am Ufer des Hapi, die trägen Nachmittage auf ihrer Sonnenterrasse, und das bunte Treiben in Thebens Straßen. Amun mochte ihr Kraft verleihen, denn sie musste weiter und diesen einmal eingeschlagenen Pfad bis zum Ende gehen, wenn sie darauf hoffen wollte, in ihre Heimat zurückzukehren! Sie fühlte sich tatsächlich wie eine müde Katze ... Hatschepsut, mein Kätzchen ... fielen ihr die Worte ihres Vaters ein, der versäumt hatte ihr zu sagen, dass auch Kätzchen steifbeinig und ungelenk werden konnten. Ihr Unterleib, noch immer wund von der Geburt, wollte nicht, dass sie hier draußen auf den sandigen Straßen herumlief, aber Hatschepsut biss die Zähne zusammen und ließ sich von Ipu zu den behelfsmäßigen Unterkünften der ehemaligen Leibwache ihres Vaters führen. Diejenigen, die auf dem Weg der Besserung waren – ihre Herzen musste Hatschepsut gewinnen. Ihre Blicke schweiften zweifelnd hinüber zum Haus des Setep, in dem Senenmut Räume bezogen hatte. Sie könnte ihn rufen lassen und fordern, dass er ihr beistand. Mit einem inneren Seufzen entschied sie sich dagegen – wie sollte eine Gottestochter jemals die Achtung derer gewinnen, die von einem Gott enttäuscht worden waren, wenn sie es nicht einmal schaffte, ihnen alleine entgegenzutreten?

      „Nicht so schnell, Haatsch. Du benimmst dich, als wären die nubischen Krieger hinter dir her.“ Ipus Blicke waren missbilligend, und obwohl Hatschepsut kaum erhoffte jemals etwas zustande zu bringen was Ipus Billigung erfahren würde, beschloss sie, langsamer zu gehen. Sie sind ja auch hinter mir her, beschwerte Hatschepsuts Herz sich voller Unruhe. Sie und Isis und Mutnofret und vielleicht auch mein schwacher Bruder, der jetzt, wo ich weit fort bin, ihrem vernichtenden Gift ausgeliefert ist. Viel Zeit würde ihr nicht bleiben.

      Der Hof, von dem sie bewusstlos unter den Augen der Soldaten heruntergetragen worden war, als die Wehen eingesetzt hatten, schien ihr unfreundlicher denn je. Ameni, der für sie gesprochen und ihr Verständnis geschenkt hätte, war nicht mehr hier. Sein Leib lag in einer Kiste mit Natron und fuhr auf einer Barke gen Theben, um dort im Schönen Haus für sein Weiberleben vorbereitet zu werden. Sie selbst hatte es sofort nach der Geburt Nofrures veranlasst und ihre Reiseschatulle geöffnet. Großzügig hatte sie Gold in Sarys Hände fließen lassen, um Ameni eine gute Bestattung zu ermöglichen. Hatschepsut wusste, dass es eine erbärmliche Bestechung für ein verschwendetes Leben war und für Sary kein Trost. Sie hätte Sary in Gold aufwiegen lassen können – er hätte ihr nicht verziehen. Aber Sary hatte die Lippen zusammengepresst und ihr Gold angenommen. Es hatte Hatschepsut nicht geholfen, sich besser zu fühlen, denn zu welcher Zeit wären Schuld und Leid jemals mit Gold zu begleichen gewesen? Sie wusste es, Sary wusste es, und die anderen, die einstigen Verschworenen, wussten es ebenfalls. Hatschepsuts Herz pochte und hämmerte, als sie in die teils vernarbten teils elenden Gesichter derjenigen sah, die mutlos und kraftlos in diesem Hof saßen. Sie schmolzen – alles an ihnen schmolz dahin und versickerte im Sand – ihre Herzen, ihr Mut und ihr Lebenswillen, sie zerklumpten zu schwarzem Brennharz, härter als Granitstein. War es bereits zu spät? In ihren Augen konnte Hatschepsut nichts erkennen, was vielleicht einmal menschlich gewesen wäre. Trotzdem wusste sie, dass sie zu ihnen sprechen musste, denn sie erwarteten es. „Ich bin gekommen, um das Unrecht zu sühnen, das an euch begangen wurde und um Kemet das zurückzugeben, was mein zu Osiris gegangener Vater erkämpft hat.“

      Jetzt lachten sie, aber es klang trocken wie die Wüste. Einige von ihnen legten sich nieder wo sie waren, als hätten sie nur auf Hatschepsuts Worte gewartet, um endlich sterben zu können. Der Schweiß brach ihr aus den Poren und ihr Leib schmerzte immer stärker, obwohl sie glaubte, dass kein Schmerz dem derjenigen gleichkam, die vertraut hatten und betrogen worden waren. Vertraut mir, bei Amun! „Ich weiß, dass ihr glaubt, es ist nichts wieder gut zu machen, aber ich bin gekommen, um es trotzdem zu tun. Ich bin zu euch gekommen! Nicht war ich mir zu schade, mein Kind in einer Soldatenfestung zu gebären, noch bin ich zu stolz, den Weg mit euch zu gehen, der nun einmal beschritten werden muss. Wollt ihr denn, die ihr für meinen zu Osiris gegangenen Vater gestorben wäret, dass das Opfer derjenigen, die starben, vertrocknet, wie Wasser in der Wüste?“

      Keiner von ihnen sah auf oder schien ihr zuzuhören. Stattdessen verachteten und verhöhnten sie Hatschepsut mit ihrem Schweigen. Verzweiflung drohte die Hoffnung in ihr niederzuringen. Amun, mein göttlicher Vater. Lege mir Gold auf die Zunge, auf dass ich die Wahrheit spreche, die ihre Herzen öffnet!

      Ipu zog gleich einer Löwenmutter an ihrem Arm. Eine Gottesgemahlin musste sich das nicht zumuten. „Lass uns gehen, Haatsch! Sie werden nicht auf dich hören.“

      Noch einmal suchte Hatschepsut ihre Blicke und versuchte durch die undurchdringlichen Mauern zu spähen, hinter denen all jenes lag, was sie zu lebenden Menschen und zu Söhnen des schwarzen Landes gemacht hatte. Als noch immer keiner von ihnen aufblickte, gab sie schließlich Ipus Drängen nach. Ipu zog und zerrte an ihrem Arm, fort ... fort von hier, du bist Amuns Tochter, schien sie ihr klarmachen zu wollen, doch dann bahnte sich etwas anderes in Hatschepsut seinen Weg, ein Gefühl so glühend und übermächtig, dass sie stehen blieb und ihren Arm von Ipu losriss. Hört endlich auf, an mir herumzuzerren! Was hatte sie eigentlich getan, dass diese Männer sie derart verachteten?