Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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zugedeckt. Hatschepsuts Kopf schien zu zerspringen und ihr Unterleib ein Schlachtfeld zu sein, aber dann besann sie sich und streckte die Arme aus. „Gib sie mir!“, wies sie die Schwarze an, die den wimmernden Säugling in ihre Arme legte. Hatschepsut betrachtete erstaunt das winzige Geschöpf, das ihre Tochter war. Augen, Nase, Mund, zehn Finger und zwei Füßchen – alles war vorhanden, und schwarzer Haarflaum klebte auch auf dem noch blutverschmierten Köpfchen. Hatschepsut hob den Kopf und herrschte die Dunkelhäutige an. „Sie ist die Erbprinzessin von Kemet, und sie wird leben, meine Tochter Nofrure.“

      Die Schwarze hob die Brauen und schüttelte den Kopf über soviel Sturheit. Dann hob sie die Hände in einer abwehrenden Geste. „Meinetwegen“, gab sie wenig beeindruckt zu und verließ dann grußlos den Raum, um zu beweisen, wie wenig diese Königin ihr Angst zu machen vermochte. Ipu kam zu Hatschepsut und setzte sich neben sie auf das Lager. Ihre hektischen Flecken wichen langsam, aber ihre Augen waren betrübt. „So klein ist sie und zu früh geboren, fast einen ganzen Mondumlauf ... und dann noch ein Mädchen. Ach, Haatsch, es tut mir so leid.“

      Mir tut es nicht leid, dachte Hatschepsut, während sie das kraftlose Kind vorsichtig im Arm hielt und an ihre Brust legte, wo es sofort zu trinken begann. Nur einmal würde Hatschepsut ihre Tochter selbst stillen, denn die mu besa – die erste Milch des Schutzes nach der Geburt, war wichtig für das Überleben eines Kindes. Nur wenige Säuglinge, welche die Milch nicht erhalten hatten, überlebten länger als ein paar Tage. Sie gab Nofrure nach dem ersten Stillen nur ungern an eine nubische Amme weiter, während Ipu die zwei dunkelhäutigen Mädchen anwies, die Nabelschnur zu durchtrennen und eine Binde über den Bauch der Mutter zu legen. Sie bestand wie ein Kommandant darauf, den Leib der Gottesgemahlin selbst zu säubern, da diese bereits genug schmutzige Hände an ihrem göttlichen Leib hatte erdulden müssen. Hatschepsut war ihr dankbar, doch innerlich war es ihr fast einerlei. Amun hatte ihr eine wunderschöne Tochter geschenkt, an etwas anderes konnte sie kaum denken. Ipu zwang Hatschepsut, ein Gebräu aus Sellerie zu trinken, damit es die Schmerzen im Bauch vertrieb, und duldete auch keinen Widerspruch, als Hatschepsut sich beschwerte, dass es schmecken würde wie Katzenurin. Trotzdem ließ Hatschepsut all dies über sich ergehen, ohne Nofrure aus den Augen zu lassen, die mittlerweile im Arm der Amme eingeschlafen war. Als endlich die Priester erschienen waren, ihren Raum mit Weihrauch gesäubert und Schutz bringende Amulette um den Hals von Mutter und Tochter gelegt hatten, ließ sie sich Nofrure in den Arm legen. Hatschepsut wusste, dass schon bald ein Bote nach Theben aufbrechen würde, um Thutmosis die Nachricht zu überbringen, dass seine Große Königliche Gemahlin nicht den erhofften Thronfolger geboren hatte. „Hol mir Senenmut“, wies sie Ipu an und streichelte den Kopf ihrer Tochter.

      Senenmut lehnte an der Wand seines bescheidenen Raumes, den er von Setep zugewiesen bekommen hatte, und spürte sein Herz hart gegen seine Rippen schlagen. Was hatte ihm der zu Osiris gegangene Einzig Eine da nur zugemutet, indem er ihn so rückhaltlos an Hatschepsut gebunden hatte. Er hatte den Göttern einen Schwur geleistet, jedoch nicht geahnt, welche Ausmaße dieser Schwur auf sein Leben und sein eigentlich zufriedenes Gemüt haben würde. Hätte Senenmut gewusst, weshalb die Gottesgemahlin ihn heute zu sich gerufen hatte, wäre er nicht zu ihr gegangen. Er hätte sich geweigert und sich unter den Soldaten versteckt, bis sie von ihrem unsinnigen Vorhaben Abstand nahm und zur Besinnung kam. Sie war verwirrt, und wahrscheinlich hatte der überforderte Sunu der Grenzfestung, welcher derart hohen Besuch ansonsten wohl kaum behandeln durfte, ihr einen Trank aus Bilsenkraut oder Mohnsaft gegeben, der ihr die Sinne verdrehte – mit all diesen Ausreden versuchte Senenmut, sich ihr Verhalten zu erklären. Dann seufzte er und erlaubte sich ein bitteres Lächeln. Er kannte die Wahrheit – Hatschepsut war nicht betäubt vom Mohnsaft, wie ihre Mutter Ahmose und auch nicht verwirrt und gedankenlos wie ihr Bruder ... Hatschepsut war klug!

      „Senenmut ... „ hatte sie gesagt, während sie ihre schlafende Tochter im Arm gehalten hatte und ihn mit ihrem Katzengesicht angesehen. „Warum hast du keine Familie?“

      Ihre Frage hatte ihn verwirrt, und gleichzeitig war sie ihm unangenehm. Senenmut sprach nur mit wenigen Menschen über persönliche Dinge, und er hätte sich gerne einer Antwort verweigert. Sein Vater war vor einigen Nilschwemmen gestorben, seine Mutter Hatnofret lebte noch in Armant, ebenso wie seine Brüder und Schwestern. Er liebte sie alle, doch je näher er dem Thron gekommen war, desto fremder waren sie ihm geworden. Sie hatten niemals darum gebeten, dass er ihnen höhere Bildung oder Ämter im Palast verschaffte. Zweimal im Jahresumlauf besuchte Senenmut sie, und es waren freundliche, jedoch belanglose Besuche, bei denen niemand so recht etwas mit dem zu Ehren gekommenen Sohn und Bruder anzufangen wusste. In jedem Jahr, wenn das Schöne Fest des Tals gefeiert wurde, ging er mit ihnen zum Grab des Vaters und vollzog die Opfer, wie es sich für einen guten Sohn gehörte. Danach gingen sie wieder getrennte Wege. Senenmuts Leben hatte dem Einzig Einen gehört, und er war zufrieden damit gewesen und hatte nichts vermisst - zumindest nicht oft, und das hatte er Hatschepsut wahrheitsgemäß geantwortet.

      Da hatte sie ihn einfach überrumpelt, ihr Kind in seinen Arm gelegt und gesagt: „Meine Tochter braucht einen Erzieher, der ihr beisteht. Ich möchte, dass du das sein wirst, und verleihe dir den Titel Erzieher der Erbprinzessin Nofrure.“

      Senenmut hatte unmissverständlich ablehnen wollen und sich mit freundlichen jedoch klugen Worten aus der Verantwortung ziehen - ebenso klug, wie sie ihn in diese Verantwortung zu drängen gedachte. Wie eine Katzenmutter hatte sie ihm ihr Junges zu Füßen gelegt, weil sie nicht wusste, wohin sie es sonst hätte tragen sollen oder wo sie es sicher hätte verstecken können - und ebenso klug wie eine Katzenmutter hatte sie es geplant. Senenmut schüttelte den Kopf über so viel Hintertriebenheit. Dies würde ihn ein für alle Mal zu ihrem Verbündeten machen und ihn an den Palast fesseln. Das letzte Vertrauen ihres Brudergemahls, der ihm ohnehin nie wirklich getraut hatte, wäre zerstört, wenn er sich von Hatschepsut mit einem derart hohen Amt beschenken ließ. Schlimm genug, dass Senenmut der Freund seines Vaters gewesen war, doch wenn er nun seiner Schwestergemahlin Hatschepsut und der Erbprinzessin nahe stand, wäre Thutmosis Misstrauen größer denn je. Und Hatschepsut dachte noch weiter - Senenmut müsste sie und ihre Tochter schützen, da ihr Untergang auch den seinen bedeuten würde. Ach, er hätte zornig sein sollen, und er war es auch gewesen. Nun musste er den Traum von einer eigenen Familie und dem Rückzug vom Hof endgültig hinter sich lassen. Doch als er das schwache und schutzlose Kind in seinem Arm gehalten hatte, ein Stück Familie, das er nie besessen hatte, war sein Zorn verraucht und er hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Wie hätte er sich diesem kleinen Geschöpf entziehen können, das in so unsichere Zeiten geboren worden war und dessen Vater zu schwach war, ihm Schutz zu bieten. Hatschepsut hatte erfreut gelächelt, denn sie war klug genug, seine Gefühle zu erkennen, als er das Kind in den Armen gehalten hatte. Senenmut hatte der kleinen Erbprinzessin einfach nicht widerstehen können, ebenso wenig wie er ihrer Mutter widerstehen konnte. Senenmut trat an die Fensteröffnung der Unterkunft und starrte hinaus in die flirrende Hitze. Er spürte augenblicklich, wie sein Magen sich zusammenzog, da er den Gedanken, den er nicht zulassen wollte, nun endlich zu Ende gedacht hatte. Ihm wurde mit einem Male klar, was ihn so sehr Abstand halten ließ von dieser jungen Gottesgemahlin, deren Vater er so freimütig hatte begegnen können. Er, der kühle und kluge Denker, Senenmut, der Besonnene, fühlte sich von der Gottesgemahlin angezogen in einer Art, wie es nicht sein durfte. Und das in seinem Alter, wo er hätte klug sein sollen und über derartige Überschwänglichkeiten der Jugend erhaben. Er war es nicht! Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Er war wie von Sinnen, wenn er sie ansah, und in seinem Herz erklang, ohne dass er es wollte, ein Liebeslied, welches er in seiner Jugend für die Tochter eines Schankwirtes gesungen hatte, bevor er sie verlassen hatte und in den Dienst des Einzig Einen getreten war.

       Sie ist süß wie die LiebeSüß ist die Liebe des Königs zu ihrSüß ist die Liebe der Männer zu ihr,Sie ist die Herrscherin der Liebe, erste aller FrauenEine Königstochter , süß wie die LiebeDie schönste aller Frauen …

       Ein Mädchen wie man es nie sahSchwarz war ihr Haar, dunkler als die Nacht …

      Senenmut sah hinaus in den Himmel, in dem Re sich bereit machte von Nut verschlungen zu werden und seine Nachtfahrt zu beginnen. Vögel zogen vorbei, erhoben sich über die Mauer der Festung von Buhen und