Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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diesen Worten beinahe der Rest ihres von der nubischen Sonne gequälten Verstandes. Sie fühlte sich langsam und gebrechlich wie eine alte Frau, als Senenmut sie an den Wohnhäusern der Soldaten vorbei führte, die sie unverhohlen und spöttisch musterten. Trotzdem ging sie weiter die sandige Straße entlang, widerstand dem Drang, einem Wasserträger die Schöpfkelle aus der Hand zu reißen und zu trinken. Dann endlich erreichten sie die Unterkünfte der Kranken. Hatschepsut musste verschnaufen, als sie in einen Hof traten, auf dem diejenigen der einst stolzen Leibwache ihres Vaters in den Ecken hockten, die keine schweren Verletzung besaßen. Hier warteten sie also und ließen die Tage teilnahmslos an sich vorüberziehen. Einige trugen noch ihre zerrissenen Schurze, wie zum Zeichen des Trotzes und um zu zeigen wer sie waren und welches Unrecht ihnen widerfahren war. Andere hatten sich von den Priestern einfache Gewänder geben lassen. Doch alle trugen die blauen Farben der königlichen Leibwache am Körper, ein Fetzen von ihrem Standartenwimpel, der sie als treue Gefolgsleute des Einzig Einen auswies. Hatschepsut war versucht den Blick zu senken, verbot es sich jedoch. Statt dessen atmete sie tief durch und ging auf die weit offen stehende Tür, die in das Haus der Kranken führte zu, aus dem ihr der unverkennbare Geruch von Blut, Schweiß und Fäulnis entgegen schlug. Wie ein todbringendes Maul klaffte sie ihr entgegen, und Hatschepsut bemerkte, wie Senenmut unvermittelt die Luft anhielt. Etwas stürzte ihr aus dem Innern des Lehmziegelhauses entgegen, nicht etwas – jemand. Sary. Sein verbliebenes Auge starrte wild vor Trauer und Schmerz, als würde er weder sie noch Senenmut sehen. Er prallte auf ihren geschwollenen Leib und schien von Sinnen, doch dann erkannte Sary sie schließlich.

      „Ameni?“, brachte Hatschepsut krächzend hervor. Sary hob die Hände, als wolle er sie um ihren Hals legen. Dann besann er sich und krallte sie in seinen Schurz. „Er ist tot. Du bist wieder einmal zu spät gekommen, Gottestochter. Das Letzte, was er ohne seine Zunge lallte, war dein Name!“

      Hatschepsut wich vor ihm zurück und wäre gefallen, wenn nicht Senenmuts drahtiger Leib direkt hinter ihr gewesen wäre. Ein leichter Schwindel schien über sie zu kommen, doch er verschwand so schnell, wie er gekommen war. Was redete Sary da? Und warum war Ameni gestorben, wenn er es bis hierhin geschafft hatte? Hatschepsut trat an Sary vorbei auf das klaffende Maul des Hauses zu. Senenmut hielt sie am Arm fest. Seine Stimme war leise, und seine Augen zeugten von Mitleid. „Nicht ... er ist tot, geh nicht da hinein.“

      Sary trat erneut neben sie, wie um sie aufzufordern, es doch zu tun. „Geh nur hinein, Haatsch. Sieh selbst, was du ihm angetan hast. Du bist es ihm schuldig.“

      Kurz sah Hatschepsut von einem zum anderen, starrte in Senenmuts nun wieder verschlossenes Gesicht und das hasserfüllte Auge von Sary. Sie hätte Senenmut vielleicht eine Erklärung geben sollen, weshalb Sary ihr so viel Schuld an Amenis Tod zusprach, doch sie vermochte es nicht. Senenmut schien für die Gefühle des Herzens wenig Verständnis aufzubringen – er war eher ein Mann der klugen Gedanken. Hatschepsut setzte sich in Bewegung und ließ beide Männer einfach stehen. Mutig tat sie einen Schritt vor den anderen, bis der Gestank von Fäulnis und Tod sie einhüllte.

      Dunkelheit umfasste sie, doch nur so lange, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Husten und Stöhnen drangen von allen Pritschen und Liegen, auf denen die Verwundeten sich wälzten. Der Anblick des Elends zerriss ihr das Herz - ein vom Wundbrand verseuchtes Bein hier, ein zertrümmertes Leben dort, und ein überforderter Sunu sowie zwei Hilfspriester, die zwischen den Lagern umherliefen, Wasserschalen an aufgesprungene Lippen setzten und eitrige Verbände wechselten. In Hatschepsuts Herz trommelte und pochte es, doch sie ging weiter und bewegte sich wie im Traum durch das Leid und die Schmerzen der einst so stolzen Leibwache ihres Vaters. In einer Ecke, vor der einfallenden Sonne geschützt, entdeckte sie endlich Ameni, ausgestreckt auf einer Liege, und sie erkannte ihn an seinem Körper, der mager und ausgezehrt war, aber doch unverkennbar der Körper ihres Geliebten blieb. Doch so, wie sie ihn in der Erinnerung ihres Herzens bewahrt hatte, war er nicht mehr. Wo ist sein Gesicht? Wo sind die vollen Lippen, die mich geküsst haben und die weichen Augen, die mich angesehen haben? Wo sind sie? Hatschepsut starrte auf das tote Stück Fleisch, das dort lag, und suchte in ihm Ameni zu erkennen. Es gelang ihr nicht. Seine Zunge hatten sie ihm herausgeschnitten und seine Lippen abgetrennt, sodass eine bloße Reihe Zähne ihr verzerrt entgegengrinste. Die Nase war fort, an ihrer Stelle eine schwarz verfärbte schorfige Wunde, und die Augenhöhlen waren leer, von Fliegen umschwärmt. Hatschepsut hielt sich die Hand vor den Mund und presste die andere auf ihren Leib. Dann barst etwas in ihr, ein heißer Schwall Flüssigkeit schwappte auf den Boden zwischen ihre Beine, und ihr Becken wurde von einem Steinschlag erschüttert. Sie fiel auf die Knie und fuhr hoch, als ein Speerstoß ihren Rücken durchfuhr, nur um kurz darauf wieder nach vorn zu fallen. Das ist also mein Ende, dachte sie traurig. Der Goldlöwe ist mir nachgeschlichen und hat mich mit einem Speer durchbohrt – und er tut Recht daran! Es wurde dunkel um sie herum, und die Sterne tanzten am Himmelszelt, obwohl es gerade noch helllichter Tag gewesen war. „Vater“, flüsterte Hatschepsut. „Warte auf mich, gleich bin ich bei dir.“

      Ihr Leib war ein einziger Schmerz, zerrissen von tausend Qualen, die sie in die Unterwelt hinabzuziehen versuchten. Warum tut es weh? Sollte nicht der Schmerz vergangen sein und ich neben meinem Vater in der Himmelsbarke fahren? Hatschepsut riss die Augen auf und sah in das dunkelhäutige und schweißüberströmte Gesicht einer nubischen Frau, das zwischen ihren gespreizten Schenkeln auftauchte. Die fleischigen Backen blähten sich vor Anstrengung, während sie mit wenig sanften Bewegungen Hatschepsuts Leib knetete, und die winzigen Augen, die in dem massigen Gesicht zu verschwinden schienen, musterten sie ohne jede Ehrerbietung. „Sie ist wach geworden, den Göttern sei Dank. Mach schon, du Tochter eines Gottes – hilf der alten Masali etwas! Ein Kind findet nicht alleine den Weg ins Leben!“

      Hinter der Nubierin tauchte ein anderes, Hatschepsut vertrautes Gesicht auf. Ipu, auf ihren Wangen hektische Flecken, die Augen vor Zorn und Überraschung blinzelnd. „Wie redest du mit der Gottesgemahlin, du elende alte Vettel? Sie ist deine Königin!“

      Die Alte gab sich unbeeindruckt, während sie Ipu mit einer einzigen unwirschen Handbewegung zur Seite schob. „Meine Königin ist sie nicht und wird sie niemals sein – und deine auch nicht mehr, wenn sie nicht endlich anfängt zu pressen.“

      „Du verlierst deinen Kopf für deine unverschämten Worte, du Tochter eines Mastschweins!“ Ipu war außer sich vor Zorn und drängte sich an der Alten vorbei.

      Geschrei, Gezänk und dieser alles zerreißende Schmerz! Noch niemals war Hatschepsut sich so bewusst gewesen, dass sie lebte. Ihr Kind wollte geboren werden und das mit einer Gewalt, dass es nur ein Knabe sein konnte – der Falke im Nest! Sie fuhr hoch, als ihr das bewusst wurde, und helfende Arme ergriffen sie sogleich unter den Achseln. Sie zogen Hatschepsut vom Lager, auf dem sie gelegen hatte, hinunter auf den Boden und zwangen sie, sich breitbeinig über ein Tuch zu hocken. Zwei nubische Mädchen, die der Alten halfen, hielten sie in dieser demütigenden Haltung gefangen, als wären ihre Hände aus hartem Granitstein und straften damit ihr dürres Äußeres Lügen. Weitere Hände, von denen Hatschepsut nicht hätte sagen können, woher sie kamen, zogen ihr das mittlerweile blutbefleckte Leinenkleid über den Kopf, und dann zog der nächste Schmerz durch ihren Rücken hinein in den Unterleib. War das ihre Stimme, die da schrie und fluchte wie eine Fellachin? Ahmose wäre vor Schreck in Ohnmacht gefallen. Erneut tauchte Ipus Gesicht vor dem ihren auf, ängstlich und doch froh und wurde mit zornigem Grunzen von der Dunkelhäutigen beiseitegeschoben, die grinsend Hatschepsuts Wangen zwischen ihre dicken nach Zwiebeln und irgendetwas anderem riechenden Finger nahm. Hatschepsut wurde übel vor Schmerz und dem Gestank.

      „Jetzt, mein schlaffes Goldentchen. Na los, hilf deinem Kind etwas!“

      Sie dachte nicht weiter über die Worte der Nubierin nach, wollte nur, dass der Schmerz endlich aufhörte. Hatschepsut spannte die Muskeln an und presste sich die Eingeweide aus dem Leib, bis das Kind endlich den Weg aus ihrem Leib gefunden hatte. Ipu schrie, die Nubierin stöhnte erleichtert auf, und Hatschepsut fiel zusammen wie ein Sack Getreide, als die erbarmungslosen Hände sie endlich losließen.

      „Der Horus im Nest ist geboren“, vernahm sie Ipus aufgeregte Stimme immer wieder, und dann die der Dunkelhäutigen. „Ein Mädchen, zu früh geboren und schwach. Ob sie lebt oder stirbt, mögen