Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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vom Himmelszelt und sah ihn an. „Ich suche ihn dort oben. Meinen Vater, der einfach gegangen ist, ohne mir zu sagen, was ich tun soll und was er von mir erwartet.“

      Senenmut räusperte sich und fragte sich gleichzeitig, warum sie ihn so verunsicherte. Er hatte mit ihrem Vater offen sprechen können und ihn seinen Freund nennen dürfen. Doch Hatschepsut, seine Tochter, hinterließ ihn ratlos. Zweifellos vermisste sie den Vater, der zu den Göttern heimgekehrt war, mehr als er angenommen hatte. „Senenmut, die Götter sind nicht immer gerecht“, hatte sein Freund und Pharao zu ihm gesagt, als sie an einem Abend Wein in seinen Räumen getrunken hatten, fernab der Ohren unzähliger Höflinge und Diener. „Ich bin der lebende Gott auf Erden und muss dies wenigstens dir sagen. Hätte doch Amunmose nicht vor seiner Zeit die Himmelsbarke bestiegen oder wäre sie ein Knabe geworden – alles wäre mir recht. Aber so habe ich sie Thutmosis gegeben, und wenn ich zu den Göttern gehe, ist sie verschwendet an diese kleinmütige königliche Familie. Ich habe Amuns Weisungen nicht befolgt ... Tempel habe ich gebaut, und Kriege geführt ... hier war ich groß. Doch das, was Amun mir offenbarte, erschien mir zu gewaltig.“ Der Einzig Eine war müde gewesen und seine Zunge schwer vom Wein. Senenmut hatte an diesem Abend erkannt, dass nicht nur sein Körper müde war, sondern auch sein Ka und sein Ba. Es hatte ihn erschreckt, als es ihm bewusst wurde. Jung war der lebende Gott nicht mehr gewesen, aber er hatte Ältere gesehen, die jünger ausgesehen hatten. „Senenmut“, hatte der Herr allen Lebens weitergesprochen. „Wenn sie je zu dir kommen sollte und deiner Hilfe bedarf, verweigere sie ihr nicht. Versprich es mir, mein Freund, denn sie wird allein sein und deine Hilfe brauchen.“

      Senenmut hatte genickt und dem Pharao sein Versprechen gegeben, ohne zu wissen, wie bald er es würde einlösen müssen. Kaum einen Mondumlauf nach diesem Gespräch war der Herr allen Lebens zu seinen göttlichen Eltern heimgekehrt, leise und ohne ein Zeichen, das die Priester hätte warnen können. Sein Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen in der Nacht, und er war kalt und steif gewesen, als sein Leibdiener ihn am nächsten Morgen hatte wecken wollen.

      Senenmut straffte die Schultern und blickte in das fragende Gesicht der Gottesgemahlin. „Dein Vater, meine Königin, hat nicht mehr von dir erwartet, als dass du dein Bestes gibst.“

      Sie seufzte und wandte ihren Blick wieder zu den hell leuchtenden Sternen. „Das versuche ich. Aber wird es mir gelingen?“

      „Haatsch“, es fiel ihm unendlich schwer, sie mit diesem vertrauten Namen anzusprechen, doch er spürte, dass es ein wenig persönliche Ansprache war, die sie brauchte – Freunde, die ihr halfen, die Last auf den jungen und unerfahrenen Schultern zu tragen. Sie sah ihn erneut an, dieses Mal ein wenig gelöster. „Denke nicht zu viel nach, sieh nach vorn und setze deine Schritte. Nichts anderes hat dein Vater getan, und nichts anderes erwartet man von dir.“

      Sie schien zu überlegen und legte dann die Hände auf ihren runden Bauch. „Zu viele Sorgen für mein ungeborenes Kind. Ich sollte schlafen gehen.“ Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich von ihm ab und verschwand im Dunkel der Nacht zwischen den hohen Ufergräsern. Ihre Schritte raschelten leise, und dann war sie fort. Senenmut blieb zurück und sah ihr hinterher, ihrem geraden Rücken mit den schmalen Schultern, die sich abmühten, die Last zu tragen, die sie sich selbst aufgebürdet hatten. „Wäre doch dein Bruder so wie du“, bekannte er leise, dann ging auch er zurück – die Nacht war kurz, und sie mussten früh aufbrechen.

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       Elephantine, im zweiten Jahr der Herrschaft des Thutmosis Aakheperenre

      Hatschepsut fiel es schwer nicht schneller zu laufen und den neugierigen Fragen des Priesters zu entkommen, der sie die Prozessionsstraße hinunterführte, welche die Tempelstadt im Westen von den Wohnhäusern im Osten trennte. Die Tage und Wochen auf der Barke hatten sie gestärkt und zur Ruhe kommen lassen, ihr Bauch schwoll weiter an, und sie fühlte sich kraftvoller als je zuvor. Etwa die Hälfte der Wegstrecke hatten sie zurückgelegt, und Hatschepsut hatte sich entschlossen, Elephantine und den Tempeln der dort ansässigen Götter einen Besuch abzustatten, und den Gottheiten Satis und Chnum ein Opfer darzubringen, damit die nächste Nilschwemme üppiger ausfallen würde.

      „Es ist die allerhöchste Ehre, die uns widerfährt, die Gottesgemahlin zu empfangen, und wir hätten Vorbereitungen getroffen, wenn wir vorab von solch hohem Besuch unterrichtet worden wären.“ Der kahlköpfige Priester im gestärkten weißen Gewand überschlug sich fast vor Ehrenbezeugungen, als er Hatschepsut über die im gleißenden Sonnenlicht liegende Allee zum Tempelbezirk führte. „Die Nilschwemme des letzten Jahres war nicht gut. Doch wie lange hat Elephantine keine segensreichen Spenden aus der Hand des Einzig Einen mehr erhalten? Gebete, meine Königin, sind wohl angebracht, aber vielleicht bedarf es mehr als bloßer Gebete.“ Beflissen fuhr sich der Priester über seinen kostbaren Halskragen aus Jaspis und Karneolen, während Hatschepsut meinte, die Allee vor ihr würde immer länger anstatt kürzer werden. Hinter sich spürte sie Sarys Bernsteinauge in ihrem Rücken brennen, und Ipu schimpfte eine Dienerin, das Sonnensegel über dem Kopf der Königin sorgfältiger zu halten. Senenmut ging voraus, schweigsam wie immer. Hatschepsut kniff die Augen zusammen, um die Säulen der Tempel am Ende der Allee besser erkennen zu können. Bedürfnisse, Forderungen ... beinahe wünschte sich Hatschepsut zurück auf die Ruhe ihrer Barke. Doch die mussten unbemannt über den ersten Katarakt gezogen werden, da es zu gefährlich wäre, die Barken bemannt durch die Strömung zu ziehen. Hatschepsut hatte beschlossen, diesen Umstand zu nutzen und die Tempel Elephantines zu besuchen. Satis, die Herrin des Katarakts, hatte hier ihre Heimstatt, ebenso wie ihr Gemahl, der Schöpfergott Chnum und ihre gemeinsame Tochter Anukis. Doch heute war es vor allem Satis, zu welcher Hatschepsut beten wollte. Ein Opfer und stilles Gebet für eine gute Überschwemmung waren bitter nötig. Noch viel mehr war nötig, wie der Priester ihr immer wieder versicherte, als sie endlich die Allee verließen und zwischen die Gebäude der Tempelstadt eintauchten, wo es ein wenig Schatten gab. Er wies auf die Statuen der Gottheiten neben dem Tempel, beklagte sich über die Brüchigkeit des verwendeten Steins für die Kornspeicher und deutete seufzend auf die gesprungenen Bodenplatten des Tempelvorhofs. Bevor der Priester zu weiteren Betteltiraden anheben konnte, hob Hatschepsut die Hand, und er verstummte endlich.

      „Im Namen des Einzig Einen, des Herrn in Theben, verspreche ich dir, dass er den Tempel der Satis schmücken und reich beschenken wird. Aber nun ist es wichtig, ins Goldland zu reisen und die nubischen Minen zurück in den Schoß Kemets zu bringen. Von dort sollen die Segnungen für Elephantine fließen. Bis dahin erhofft sich der Herr allen Lebens die Gnade und Hilfe der Göttin.“

      Der Kahlkopf des Priesters verbeugte sich schweigend, und Hatschepsut hoffte, dass sie deutlich genug gewesen war. Geradezu froh war sie, als sie endlich ohne Begleitung durch die Säulenhalle des Tempels trat und mit der Göttin im Allerheiligsten alleine war. Zugegebenermaßen war der Tempel nicht besonders groß und prunkvoll. Zierlose Steinquader und ein gestampfter Lehmboden waren das Heim der Göttin. Hatschepsut versprach sich selbst, Thutmosis darum zu bitten, der Göttin eine angemessenere Wohnstätte zu errichten, wenn sie nach Theben zurückkehrte. Satis schien sie trotzdem Willkommen zu heißen. Über der weißen Krone Oberägyptens und dem Antilopengehörn fiel mattes Licht in die Stille des Heiligtums durch Öffnungen im Dach und verlieh dem Allerheiligsten ein warmes und wohlwollendes Licht. Hatschepsut fiel auf die Knie und versuchte sich vor der Göttin auszustrecken, doch ihr Bauch war mittlerweile zu dick. Seufzend trat sie dem lächelnden Gesicht der Göttin entgegen und besprengte sie mit dem gesegneten Nilwasser, das der Priester ihr in einer Tonschale gegeben hatte. Dann sprach sie ihr Gebet. „Siehe Satis, ich stehe vor dir und bitte dich um Hilfe. Ich bin alleine. Der Pharao ist nicht an meiner Seite, so wie der Gott Chnum an der deinen ist, und mein Sohn ist noch nicht geboren. Sende meinem Land die segensspendenden Fluten des Hapi, damit ich für die Menschen sorgen kann. Meine Hände sind leer, doch sollten sie jemals gefüllt sein, will ich dir versprechen, dir deinen Teil zu geben und dein Heiligtum zu schmücken.“

      Keine Wolke schob sich vor das matte Sonnenlicht, kein Laut war zu hören, nichts was Hatschepsut