Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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niemand euch anhören wird, Haatsch wird es tun. Du musst nach Theben gehen, Sary, du bist der Stärkste von uns. Wenn der Pharao dich fortschickt, dann geh zu ihr. Haatsch wird dir helfen, denn sie liebt Ägypten und ihr Volk. Sie wird einen Weg finden.“

      Die Sonne brannte gnadenlos auf sie hinab, die verdammte rote Erde glühte, und sein Bruder redete von seinem eigenen Tod. Gerne hätte Sary Haatsch genommen und mit dem Gesicht durch den Dreck gezerrt, ihren göttlichen Arsch in den roten Staub getreten und ihr mit der Nilpferdpeitsche die Selbstgefälligkeit ausgetrieben. Er konnte doch nicht seinen Bruder opfern, um sein eigenes Leben zu retten. Alles in Sarys Herz wehrte sich gegen diesen Gedanken, doch die Dämonen der Unterwelt fraßen sich in sein Herz, und die Angst vor einem ewigen Tod ließ ihn schweigen. Bei allen Göttern Ägyptens und der zornigen Sachmet – ich will leben! Sary wusste, dass er sich ewig dafür hassen würde, seinen Bruder an seine eigene Lebensgier und an ein Weib verloren zu haben, das nun die hohen Federn der Königin trug.

      „Dann sei es eben so“, spie er sich selbst verachtend aus, und Ameni klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Zürne mir nicht, Bruder. Wärest du an meiner Stelle – du hättest ebenso gewählt.“

      Niemals!, dachte Sary voller Verachtung für sich selbst, für seinen Bruder und für Hatschepsut. „Mein Herz ist keines Weibes Sklave!“ Dann schwiegen sie beide, denn es gab nichts mehr zu sagen.

      Am Abend sah Sary mit Bitterkeit auf der Zunge, wie Ameni sich in seinem zerrissenen Schurz in die Dunkelheit davon schlich. Zuerst gab er sich noch Mühe, nicht zu schnell entdeckt zu werden, denn er wollte die nubischen Krieger möglichst weit von der Lagerstätte seiner Kameraden fort wissen. Dann trat er jedoch mit voller Absicht gegen Steine, um die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich zu ziehen. Sary kauerte mit den anderen hinter der Mauer, und in seinem Magen schien eine Doloritkugel zu liegen, die sich langsam durch seine zu enge Luftröhre bis zu seinem Herzen zu quälen begann. Plötzlich erklangen Schreie von jenseits des Schutzwalls, die Rufe von Kriegern in fremder Zunge und dann ein Aufschrei seines Bruders, so elend und schmerzvoll, dass Sary sich die Hände auf die Ohren legen wollte. Doch er tat es nicht, denn er wusste, dass er es Ameni schuldig war, von seinen Todesschreien bis an das Ende seines erbärmlichen Lebens verfolgt zu werden. Vielleicht würde der zornige Ach seines Bruders ihn heimsuchen und quälen – es war nur gerecht! Ein letzter Schrei ertönte, und dann rief Ameni den Gott Amun an, ihn nicht zu vergessen. Die plötzliche Stille ließ Sary den Schlag seines gequälten Herzens umso lauter vernehmen. Aus seinem Entsetzen erwachte er erst, als der zweite Kommandierende ihn an der Schulter rüttelte und ihm ins Ohr zischte: „Jetzt, Soldat ... lauf, lauf so schnell du kannst, und lass ganz Theben wissen, welches Unrecht der Einzig Eine an uns verübt hat!“

      Sary sprang auf die Beine und fühlte kurz seine Kraft schwinden. Doch schon brüllte sein lebenshungriges Herz, er solle seinen lahmen Arsch in Bewegung setzen. Vielleicht war es auch der zweite Kommandant, der schrie, aber Sary wusste es nicht. Er sprang hinter der Mauer hervor und lief um sein Leben, immer den Namen seines Bruders im Gedanken vor sich hersagend Ameni! Er sah nicht, wohin er lief, denn die Nacht des Goldlandes war tief und unfassbar – wie der ewige Tod, der ihn erwartete, sollte es ihm nicht gelingen zu fliehen. Ameni hatte auf ihn vertraut und sich geopfert, die Männer hinter dem Wall vertrauten ihm. Sary wusste, er durfte nicht versagen. Aus dem Augenwinkel sah er eine grinsende Zahnreihe aufblitzen, dann traf ihn etwas am Auge und ein heißer Schmerz fuhr durch seinen Leib. Sary strauchelte, fiel aber nicht hin, obwohl er auf dem getroffenen Auge nichts mehr sah und warmes Blut ihm über das Gesicht lief. Der Schmerz, der seinen gesamten Kopf erfasste, ließ ihn kurz an eine gnädige Ohnmacht denken; doch Sary bezwang ihn und stolperte weiter. Sie benutzten Wurfschleudern, und er wusste noch während er lief, dass sein linkes Auge verloren war. Er hätte schreien wollen und durfte es doch nicht, um sich und die anderen nicht zu verraten! Stattdessen lief er weiter, da er wusste, dass sie ihn entdeckt hatten und ihm nachstellten. Aber es war dunkel unter Nuts nächtlichem Leib, und als ein Krieger im kurzen Schurz sich mit einer Keule von der Seite auf ihn stürzen wollte, schlug ihn Sary mit einem einzigen Schlag seiner vor Schmerz und Wut gehärteten Faust nieder. Stöhnend fiel der Schwarze vor ihm auf die Knie und hob die Hände als Zeichen dafür, dass er sich ergab. Du hast meinen Bruder abgeschlachtet ... du und deinesgleichen! Sary griff nach einem Stein am Boden und zertrümmerte ohne darüber nachzudenken dem Nubier den Schädel. Er ließ erst von dem anderen ab, als dessen Kopf nur noch eine breiige Masse war, die an seinen Händen klebte. Ameni!, hämmerte es wieder in seinem Herzen. Wenn sie uns nicht hilft, und dein Opfer umsonst war, werde ich das Gleiche mit ihr tun ... das schwöre ich bei Month und Sachmets rasendem Zorn!

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       Theben, im zweiten Jahr der Herrschaft Thutmosis Aakheperenres

      Hatschepsuts Bauch war rund, noch nicht kugelig, aber sichtlich rund, und Ipu verwöhnte sie, schob ihr ständig Leckereien zu und sang fröhliche Lieder. Es hatte lange gedauert bis ihre Mondblutungen ausblieben, und Hatschepsut hatte bereits befürchtet, dass der Samen ihres kraftlosen Bruders zu schwach für ihren starken Leib sei. Sie hatte Amun angefleht, in Karnak im Allerheiligsten vor seinem Standbild gelegen, und als das nichts half, hatte Ipu sogar einen Wabu kommen lassen, damit er herausfände, was an Hatschepsuts Leib nicht stimmte und warum sie nicht schwanger wurde. Der Wabu hatte Hatschepsut genau betrachtet, sich gewichtig gegeben und über die seltsame Farbe ihrer Augen gesprochen. „Es scheinen mir zu viele Sprenkel die Klarheit der Pupille zu trüben. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Durchgänge der Großen Königlichen Gemahlin verstopft sind.“ Sodann hatte der Wabu die Zehe eines Knoblauchs in Hatschepsuts Unterleib geschoben, und sie angewiesen, diese eine ganze Nacht lang dort zu belassen. Am nächsten Tag war er gekommen und hatte ihren Atem gerochen, wonach er entschuldigend den Kopf geschüttelt hatte. „Die Durchgänge der Gottesgemahlin sind tatsächlich verstopft, denn es dringt kein Knoblauchgeruch aus ihrem Mund. Sie wird kein Kind des Einzig Einen empfangen können, solange das so ist. Bete nur weiter zu Amun und bringe Thoeris Opfer, damit sie deinen Wunsch nach einem Sohn erhört.“

      Hatschepsut war untröstlich gewesen in Anbetracht der niederschmetternden Worte. Daraufhin hatte Ipu den Wabu fortgejagt und ihn einen dummen Schwätzer genannt. Verärgert und mit hoch erhobenem Haupt war der Priesterarzt verschwunden, nicht ohne noch einmal auf seine Stellung und Befähigung hinzuweisen. „Ich, Unesch, behandele seit vielen Nilschwemmen die königliche Familie. Der Einzig Eine vertraut mir – nur die Große Königliche Gemahlin zweifelt an meinen Fähigkeiten!“

      Doch Ipu bestand trotzdem darauf, dass er ein Stümper war, daran änderte auch der Umstand nichts, dass Thutmosis ihm vertraute.

      Schließlich hatte Hatschepsut in ihrer Ratlosigkeit nach dem obersten Priesterarzt in Karnak schicken lassen. Dieser hatte ihr durch seinen Schüler ein Amulett der Göttin Thoeris überbringen lassen, das Hatschepsut tragen und nicht mehr ablegen sollte – und bald darauf hatte ihr Bauch sich endlich gerundet. Zum Dank für seine Hilfe hatte der Arzt einen Schmuckdolch mit Edelsteinen von ihr erhalten, und den Titel „Leibarzt der Großen Königlichen Gemahlin“. Seit Hatschepsut ein Kind trug, hatte Thutmosis sie nicht mehr rufen lassen, und Hatschepsut hatte ihn ebenfalls nicht darum gebeten, ihr Lager zu teilen. Sie wussten beide, dass sie einander nicht begehrten – sie wollten nur das Kind, das sie zusammen gezeugt hatten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

      „Noch vier Monde, Haatsch, dann hast du einen eigenen Sohn, und das Balg der Nebenfrau wird vergessen werden.“

      Hatschepsut hätte es gerne vergessen, das Kind der Isis, doch sie konnte nicht leugnen, dass es ein kräftiger Knabe war, der bald sein erstes Jahr vollendet hätte, der gesund war und wuchs, und dem sein Vater den Namen Thutmosis gegeben hatte, als wäre er der Falke im Nest. Ein jeder wartete nun angespannt, was die Gottesgemahlin zustande brachte und ob auch sie einen kräftigen Knaben gebären konnte. Das Kind, das sich erst vor Kurzem in ihr zu regen begonnen hatte, schien ihr nicht kräftig, vielmehr waren seine Tritte zögerlich und sanft, wie das Treteln eines neugeborenen Kätzchens. Ipu half Hatschepsut auf und zog sie so aus ihren ängstlichen Gedanken. Natürlich würde sie einen Sohn haben, der