Birgit Fiolka

Hatschepsut. Die schwarze Löwin


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Lache des Stierblutes. Sie war froh darüber, dass es ihr besser gelang als Thutmosis, ihren Ekel zu verbergen. Puemre schwenkte einmal mehr den Weihraucharm, und schließlich trat Hapuseneb ihr mit einem versteckten Lächeln entgegen. Hatschepsut fühlte, wie ihr Herz zu schlagen aussetzte. Der Insignienverwahrer trug die Hohen Federn der großen königlichen Gemahlin vor sich her. Es war nur ein kurzer Augenblick, bis der Oberste Prophet die Hohen Federn auf den Modius setzte, aber er bedeutete Hatschepsut mehr als sie zu hoffen gewagt hatte. Alles wird gut, schienen Hapusenebs Augen zu sagen, und Hatschepsut unterdrückte Tränen der Erleichterung. Thutmosis hatte ihr die Hohen Federn der Großen Königlichen Gemahlin gegeben und damit ihren Platz in der königlichen Familie gesichert. Hatschepsut würde die erste Frau Ägyptens sein, die Große Königliche Gemahlin. Isis blieb eine Nebenfrau, obwohl sie bereits ein Kind des Pharao trug.

      Als sie gemeinsam mit Thutmosis ins Allerheiligste geführt wurde, um den Gott Amun zu salben und vor ihm niederzuknien, empfand Hatschepsut das erste Mal Zuneigung für ihren schwachen Bruder, der über sich und sein ängstliches Gemüt hinausgewachsen war, indem er ihr die Hohen Federn zugesprochen hatte. Sicherlich hatten weder Mutnofret noch Isis ihm dazu geraten, und es wäre ihm nicht unmöglich gewesen, seiner Schwester den von den Göttern zugedachten Platz an seiner Seite zu verweigern. In der langen Geschichte der beiden Länder war es nicht selten vorgekommen, dass der Ehrgeiz der Nebenfrauen den Pharao von der Maat abweichen ließ. Der Palast und auch die Priester blickten mit Besorgnis auf den jungen Falken, der so wenig von der Stärke des Vaters besaß, doch Hatschepsut beschloss, dass sie Hoffnung in ihn setzen würde. Tatsächlich war auch in ihr nur eine kleine Flamme für Thutmosis entzündet worden, doch vielleicht konnte sie größer werden, genährt werden und wachsen ... wenn nur die Zeit ihnen gewogen war.

      Als sie gemeinsam aus dem Tempel traten, wo das Volk wartete um ihnen zuzujubeln, wagte Hatschepsut es, die Hand ihres Bruders zu nehmen, was ihn überrumpelte. Er zuckte zusammen, als hätte eine Schlange ihn gebissen. „Ich danke dir, Bruder“, flüsterte sie ihm zu. Thutmosis runzelte die Stirn und schien dann zu begreifen. „Haatsch, du bist meine Schwester. Was hast du denn geglaubt, wer die Hohen Federn tragen würde?“

      Hatschepsut schüttelte den Kopf und lächelte müde. Vielleicht hatte Ameni sich geirrt und Thutmosis war nicht so schwach, wie er befürchtet hatte. Sie hatte Ameni aufgeben müssen, und auch wenn es sie schmerzte, so war es doch vorherbestimmt gewesen. Es würde nur diesen einen Gatten für sie geben können, und er war ihr von den Göttern bestimmt worden. Und vielleicht konnte Thutmosis, wenn sie ihm nur ein wenig Stütze war, doch noch der Starke Stier werden, den Ägypten brauchte.

      Isis war nicht zur Feier im großen Empfangssaal erschienen. Sie sandte ihre erste Dienerin, Thutmosis und Hatschepsut ihre Segenswünsche zu übermitteln und ließ sich damit entschuldigen, dass der oberste Priesterarzt ihr und dem Kind in ihrem Leib Ruhe verordnet hatte. Hatschepsut wusste, dass es nur eine stumme Mahnung der Nebenfrau an sie war, dass Hatschepsut zwar die Hohen Federn trug, sie aber den Sohn des Königs. Mutnofret ließ sich nicht abhalten selbst vor dem Thronpodest eine gekonnte Verbeugung zu vollziehen, ebenso wenig wie Senenmut, der vielleicht mehr wegen Hatschepsut als wegen Thutmosis erschienen war. Es verwunderte Hatschepsut, da sie bisher nur wenige Worte gewechselt hatten, die mehr aus Höflichkeit, denn aus wirklichem Interesse für den anderen gefallen waren. Senenmut, der alte Vertraute ihres Vaters, der unverwechselbar zwei mürrische Falten von den Mundwinkeln abwärts besaß, verbeugte sich ein wenig ungelenk vor ihrem Thron, was Hatschepsut innerlich amüsierte. Steif war er schon immer gewesen und ernst, und ebenso wie man dem adeligen Hapuseneb sein thebanisches Blut nicht hätte zutrauen mögen, konnte man beim hochgewachsenen Senenmut nicht annehmen, dass er überaus bescheidenen Verhältnissen entsprang und sich seinen Aufstieg bei Hof hart erarbeitet hatte. War es Zufall, dass er seine Verbeugung unmerklich in ihre Richtung geneigt vollführte, oder war es gewollt. Wer wusste das schon? Selbst ihr Vater hatte niemals ganz den unergründlichen Ka seines Vertrauten durchschauen können. „Möget ihr ewig leben“, sprach Senenmut mit klarer Stimme und versuchte ein Lächeln, ließ es dann aber bleiben, da er selbst wusste, wie wenig er im Lächeln geübt war. „Hatschepsut“, hatte ihr Vater ihr einmal gesagt. „Wenn ich meinen Platz am Himmelsgewölbe eingenommen habe und du nicht weißt, wem du trauen kannst – vertraue Senenmut. Er ist dein Freund.“ Hier, an diesem Tag des Jubels und der Klage stand er nun vor ihr, hager, alterslos und undurchschaubar in seinem gestärkten makellosen Gewand. Hatschepsut nickte ihm zu, und er wandte sich ab, ohne ihr einen weiteren Blick zu schenken. War er unverschämt oder nur gedankenlos? Sie war es kaum gewohnt, dass man ihr so gleichgültig gegenübertrat. Hatschepsut wusste, dass sie gehasst oder geliebt wurde. Die Kühle Senenmuts verunsicherte sie. Vielleicht würde sie niemals erfahren, ob die Worte ihres Vaters über diesen seltsamen Senenmut wahr gewesen waren. Hatschepsut wollte darüber nachdenken, doch dann erschien Ahmose, wie immer betäubt vom Mohnsaft, wankte gestützt von einer Dienerin vor das Königspaar und schenkte Hatschepsut ein seltenes Lächeln, wohingegen sie den neuen Herrn der beiden Länder nicht einmal ansah. Ein verhaltenes Kichern ging durch die Reihen der Gäste, welches Hatschepsut ärgerte. Was immer Ahmose nun war – einst war sie die erste Frau Kemets gewesen. Wie schnell vergaßen die Menschen die Maat, und Thutmosis, nun mit den Kronen des Horus auf dem Haupt, fühlte sich nicht bemüßigt, die Höflinge daran zu erinnern, dass es die Mutter seiner großen königlichen Gemahlin war, die sie verlachten. Die Schritte ihrer Mutter zeugten tatsächlich wenig von ihrer Göttlichkeit, als sie stolpernd die Stufen hinaufkam, um dann ihre Lippen an das Ohr Hatschepsuts zu legen. „Heute Nacht, Tochter ... du musst einen Sohn empfangen“, säuselte Ahmose ihr mit belegter Stimme zu. Ihr Atem war schwer von süßem Oasenwein, und die Schminke in ihrem Gesicht wie so oft ein wenig nachlässig aufgetragen. Hatschepsut nickte, jedoch mehr, um ihre Mutter zufriedenzustellen. Die Nachlässigkeit hing an Ahmose wie ein zerschlissenes Gewand, seit ihr goldener Prinz Amunmose, der Horus im Nest, gestorben war. Sie hatte sich nie viel aus der verbliebenen Tochter gemacht, doch irgendetwas hatte sie bewogen, heute zu erscheinen – vielleicht eine Erinnerung, die sich durch die wogenden Tiefen des Mohnmeeres in ihr Herz gestohlen hatte? Hatschepsut wusste, noch ehe sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, dass es nicht so war. Amun, mein Vater, der du meinen Vater im Fleisch von meiner Seite genommen hast ... warum hast du nicht sie gerufen, anstatt ihn, da es ihr doch einerlei gewesen wäre? Hatschepsut sah der Mutter von ihrem Thronpodest aus nach, wie sie sich durch die feiernden Leiber der Hofgesellschaft von ihrer Dienerin führen ließ, hinaus aus dem Festrausch, da sie doch nur gekommen war, um ihre Tochter an ihre Pflichten zu erinnern, an jene Pflichten, die sie selbst versäumt, und damit Mutnofret den Weg geebnet hatte. Mutnofret kannte keine Nachlässigkeit. Sie war eine Frau aus niederem Adelsstand, die sich durch die Trägheit der großen königlichen Gemahlin ihren Platz an der Seite des zu Osiris gegangenen Pharao gesichert hatte. Eine Frau wie sie wusste, dass sie sich keinerlei Nachlässigkeit erlauben durfte, auch wenn sie Siege errang. Ihre Stimme war präzise und die Wahl ihrer Worte überlegt. Mutnofret hatte höfische Sitten und Gebräuche erst mühevoll erlernen müssen und fürchtete stets in einem unüberlegten Augenblick, in die einfache Zunge des Volkes zurückzufallen. Ihre Verbeugung war tadellos, jedoch aufgesetzt und entsprang keiner natürlichen Anmut. Doch ihre zierliche Größe und Feingliedrigkeit täuschten so manches Auge, denn sie ließen den ungeübten Blick vermuten, sie wäre am Hof in Theben geboren. Die Königswitwe wusste um ihre Stärken und ihre Schwächen so genau, wie Ahmose in ihrer ahnungslosen Nachlässigkeit dahintrieb. „Gesundheit, Leben und Wohlergehen meinem Sohn, dem Einzig Einen, Thutmosis Aakheperenre und seiner großen königlichen Gemahlin, die ich nun ebenso meine Tochter nenne.“

      Deine Tochter bin ich nicht, denn mein Blut ist von göttlichen Eltern, dachte Hatschepsut mit Abneigung im Herzen, während sie scheinbar huldvoll die Demutsgeste entgegen nahm. Mutnofret verließ so erhaben das Thronpodest, wie es Ahmose gemäß gewesen wäre, blieb ihrem Sohn aber nah genug, um alles um ihn herum zu beobachten. Hatschepsut sah mit innerlichem Groll auf ihre Sandalen aus Gazellenleder, um ihre Gedanken vor der aufmerksamen Königswitwe zu verbergen. Genau so hatte Ahmose einst das Herz ihres Gemahls verloren. Sie war gegangen und hatte sich in ihre Gemächer und Träume aus Mohnsaft zurückgezogen, während die andere einfach an der Seite des Einzig Einen geblieben war und ihn wie eine Kobra umschmeichelt hatte.

      Thutmosis lächelte matt, denn ihn ermüdete das