Bettina Reiter

Maggie


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Is Said And Done waren ihre absoluten Favoriten. Maggie konnte die Lieder mittlerweile auswendig.

      „Mein Pa sagt, dass das Wetter bald umschlagen wird“, ließ Alec verlauten, der die Beine anzog und sich heftig am Knie kratzte. „Diese verdammten Mücken!“ Er schien die kleinen Blutsauger förmlich anzuziehen und sah aus, als hätte er in regelmäßigen Abständen kleine Maulwurfshügel am knochigen Körper.

      „Du darfst nicht kratzen“, ermahnte Maggie ihn.

      „Das weiß ich selber, du Neunmalklug.“

      „Was heißt das?“, fragte sie. „Dass man neunmal klug ist?“

      „So in etwa.“

      Pah, der hatte doch selbst keine Ahnung! „Neunmal klüger als der andere?“, ließ sie nicht locker und grinste breit.

      „Bilde dir bloß nichts ein.“ Alec spuckte den Grashalm aus, der prompt auf seinem T-Shirt mit der Aufschrift: I’m the King landete. Besser gesagt konnte man die Worte gerade noch entziffern. Die feuchte Erde am Teich hatte auch in seiner Kleidung Spuren hinterlassen. „Als Farmer braucht man ohnehin nichts im Kopf zu haben, sagt mein Pa. Es genügt, wenn man Muskeln hat.“ Mit stolzer Miene klopfte er sich auf die Hühnerbrust. „Um die harte Arbeit zu schaffen. Außerdem ist Schule doof.“

      Alec hasste alles, was nur im Entferntesten damit zu tun hatte und schrieb eine schlechte Note nach der anderen. Im Gegensatz zu Maggie. Sie ging gerne zur Schule und lernte fleißig. Schließlich betonte ihre Mom häufig, dass nur ein schlauer Kopf die Welt verändern könne. Und das wollte Maggie eines Tages tun, wobei das Wie noch in den Sternen stand. Vielleicht würde sie etwas erfinden? Oder auf den Mond fliegen? Immerhin hatte die Mutter ihr erzählt, dass Frauen alles sein konnten, was sie wollten. Emanztruation hatte sie es genannt – oder so ähnlich.

      „Pa sagt übrigens auch …“, abrupt richtete sich Alec auf und schaute zu Maggie herunter, wobei er die stahlblauen Augen zusammenkniff, „dass jeder Farmer eine Frau braucht. Falls ich keine finde, musst du mich heiraten, Mag’.“

       „Spinnst du?“ Sie tippte sich vielsagend an die Schläfe, obwohl sie im Inneren wie gelähmt war. Hatte Alec ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht? Kurz sah Maggie im Geiste Robin Hood und Marian bei deren Vermählung vor sich. Der Film, Robin Hood – König der Diebe, war zwar erst ab zwölf, aber ihre Mom – die sich in der örtlichen Videothek gerne die neuesten Filme auslieh – hatte Maggie trotzdem mitschauen lassen. Allerdings hätte die Mutter sie ruhig vorwarnen können! Robin Hood und Marian hatten wie die Wilden geknutscht! Wie eklig!

      „War nur eine Frage“, fauchte Alec, dem die Enttäuschung förmlich ins Gesicht geschrieben stand. „Für den Fall, dass mich keine will. Pa predigt nämlich ständig, dass man vorsorgen muss und da ich eines Tages die Farm übernehmen soll, hab ich’s eben versucht.“ Mit puterrotem Kopf sprang er hoch und sauste davon.

      Na bravo! Jetzt hatte sie womöglich ihren besten Freund verloren. „Ja, ich will!“ Maggie erhob sich in Windeseile, während Alec wie von einer plötzlichen Bö erfasst zu ihr herumwirbelte. Das dunkelbraune Haar glänzte in der Sonne und durch seinen Körper ging ein Ruck, als hätte ihn soeben ein Schnellzug erfasst.

      „Du willst?“, hakte er leichenfahl nach.

      „Klar. Du bist mein bester Freund.“ Abwartend schaute Maggie ihn an und verdrängte die Kussszene zwischen Robin und Marian. „Du knutscht mich aber jetzt nicht ab, oder?“

      „Igitt!“ Alec spuckte aus und schüttelte sich. Maggie atmete tief durch. Diese unappetitliche Angelegenheit war ein Erwachsenending und etwas, das sie niemals tun würde! Eher würde sie sich den Mund zunähen. „Du bist erst neun, Higgins! Nur alte Menschen küssen sich“, fand Alec seine Stimme wieder und Maggie freute sich, dass er sie beim Nachnamen nannte. Das tat er meistens, wenn er sie necken wollte und bedeutete wohl, dass ihre Freundschaft gerettet war.

      „Gehen wir zu den Lämmchen?“, schlug sie vor.

      „Gute Idee.“ Alec grinste von einem Ohr zum anderen, wobei sich eine Zahnlücke zeigte. Bis der Schneidezahn nachgewachsen war, würde sie ihn sowieso nicht heiraten. Demnach hatte sie Zeit genug …

      1. Kapitel

Grafik 67

      Ein denkwürdiger Spätsommertag, dessen Erinnerung in den folgenden Jahren nie zur Gänze verblasste. Als Teenager machten sich Maggie und Alec häufig lustig darüber. Ihre Bedenken des Kusses wegen schwieg Maggie allerdings aus, da sie dieser Sache mit zunehmendem Alter nicht mehr gänzlich negativ gegenüberstand. Immerhin gab es da einen neuen Schüler, der ihr aufgefallen war: Blake O’Connor. Dennoch klebten Alec und sie wie Pech und Schwefel zusammen. Vielleicht lag es daran, dass sie Einzelkinder waren und nur einen Steinwurf voneinander entfernt wohnten. Etwas außerhalb von Redruth, einem gemütlichen kleinen Städtchen, in dem jeder jeden kannte. Aber nirgends war es so schön wie auf der Farm der Campbells.

      Alecs Eltern, Polly und Hank, hatten sich einen Namen als Schafzüchter gemacht. Nebenbei liebte Polly Pferde und brachte ihr das Reiten bei. Fest im Sattel erkundete Maggie alsbald mit Alec das Hinterland. Ackerflächen tauschten sich mit saftigen grünen Wiesen ab. Manchmal erinnerte die Landschaft an ein Schachbrett und allerorts stieß man auf verwitterte Monumente aus grauer Vorzeit. Gerne rasteten sie beim Schloss Carn Brea, das auf einem Felsbrocken errichtet war, der einen Teil des Fundaments bildete. Auch beim Cup and Saucer Rock neben dem Basset-Denkmal vertrieben sie sich die Zeit. In jungen Jahren mit Karten oder Verstecken spielen, jetzt, da sie älter waren, saßen sie oft schweigend nebeneinander und blickten den Hügel hinunter. Meistens mit einer Zigarette in der Hand und dem Gefühl, fürchterlich erwachsen zu sein.

      Für Alec galt das allemal. Aus der Bohnenstange inklusive Zahnlücken wurde mit sechzehn der begehrteste Junge der Schule. Bis zum Umfallen trieb er Sport, war großgewachsen, muskulös und im Sommer braungebrannt, was seine Augen besonders gut zur Geltung brachte. Die zotteligen Haare wichen einem modernen Schnitt. An den Seiten kurz, oben länger und mit Gel durcheinandergewirbelt, was ihn lässiger machte. Vom Bartwuchs ganz zu schweigen, den er eher aus Faulheit ein paar Tage sprießen ließ, bevor er zum Rasierer griff.

       Jedenfalls liefen ihm die Mädchen in Scharen hinterher, verglichen ihn kreischend mit Mel Gibson und waren neidisch, wenn er mit Maggie und seinen Eltern in den Ferien an die Küste fuhr. In St. Agnes besaßen die Campbells ein Cottage auf einem Hochplateau, von wo aus man einen herrlichen Blick über das Meer hatte. Der über zweihundert Jahre alte Granitsteinbau war der einzige Luxus, den sich Polly und Hank gönnten. Als kleines Mädchen war Maggie stets über die Weihnachtstage mitgefahren. Irgendwann reisten die Campbells ausschließlich im Spätsommer dorthin, da sie einen guten Vorarbeiter beschäftigten, auf den sie sich verlassen konnten. Obwohl sich Alecs Dad trotzdem eher grollend fügte, da er sich nur schwer von der Farm loseisen konnte. Aber in der Hinsicht blieb Polly hart. Sie war ein Sommermensch und wollte diese Jahreszeit genießen.

      Es waren herrliche Tage, in denen Alec und Maggie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Wasser planschten oder Sandburgen bauten. Als Teenies lernten sie Surfen und Alec probierte sich im Tauchen. Das war Maggie nicht geheuer, die – wie auch beim Drachenfliegen – lieber am Strand blieb und sich sonnte. An den Abenden gingen sie häufig auf Muschelsuche. Alec beteiligte sich nur mit mäßiger Freude daran und bekam einen regelrechten Lachanfall, als sie eine schillernde Perlmuttmuschel in Herzform aus dem Sand zog und sich kaum beruhigen konnte. Wütend über Alecs Reaktion warf sie das gute Stück in hohem Bogen fort. Jungs konnten sowas von dämlich sein!

      Allerdings blieben ihr Alecs draufgängerische Art und die zunehmende Männlichkeit nicht verborgen. Sogar in der Schule strengte er sich plötzlich an und entwickelte ziemlichen Ehrgeiz, da er plötzlich Tierarzt werden wollte. Den Ausschlag dafür gab das kleine Lämmchen, dem sie gemeinsam an einem kalten Sonntagmorgen auf die Welt geholfen hatten. Leider war es in ihren Armen gestorben. Beide hatten sie wie die Schlosshunde