Bettina Reiter

Maggie


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ziehst?“ Schallend lachend schlug sich Ernie auf die Schenkel. Er war ein Urgestein in Redruth. Seine Witze waren in einem ähnlichen Alter!

      „Wie lustig du bist.“ Maggie nahm die Tasche vom Schreibtisch und klemmte sie sich unter die Achseln, bevor sie zum grasgrünen Regenschirm griff, der auf der Fensterbank lag.

      „Mensch, Maggie, ich freue mich doch, dass deine Mom wieder unter die Leute geht“, lenkte Ernie ein. „Davon abgesehen soll man es vor der Hochzeit ordentlich krachen lassen. Alec hat das verstanden, du ja eher nicht.“

      „Ach ja? Alec hat es krachen lassen?“, wiederholte sie spitz.

      „Tu nicht so, als wüsstest du von nichts.“ Leicht verwirrt blickte Ernie sie an. Zudem wirkte sein Grinsen wie eingefroren.

      „Was soll ich wissen?“ Allmählich wurde es Maggie zu bunt. Nicht nur, dass Alec mittlerweile fast ein Phantom war, schien zu allem Überfluss jeder mehr von ihm mitzukriegen, als sie. „Wir hatten bisher keine Gelegenheit, um über seinen Abend mit den Jungs zu sprechen.“ Alecs Feier hatte vor zwei Tagen stattgefunden.

      Ernie lachte gekünstelt auf. „Ausgerechnet ihr zwei?“ Er wandte sich zum Gehen. „Wer soll das glauben? Ihr klebt zusammen, seitdem ihr klein seid. Deswegen setze ich mich sicher nicht in die Nesseln und plaudere über Dinge, die mich sowieso nichts angehen, da ich …“ Seine Stimme war kaum noch zu hören. Dann flog die Tür ins Schloss. Offensichtlich war er in die Werkstatt gegangen. Toll!

      „Danke für das Gespräch!“, zischte Maggie und verließ das Büro. Natürlich hätte sie Ernie folgen können, um ihn wegen seiner kryptischen Aussagen zur Rede zu stellen, aber sie scheute davor zurück. Und während sie im strömenden Regen zu ihrem Auto lief, fragte sie sich, weshalb sie das tat. Wovor hatte sie solche Angst? Davor, dass Alec etwas vor ihr verbarg? Denn da war zweifelsohne eine Kluft zwischen ihnen. Viele ungesagte Worte und keine Antworten auf ihre vielen Fragen.

      „Maggie, was für ein netter Zufall!“

      Lydia! Ausgerechnet diese Schnepfe.

      Maggie steckte den Schlüssel ins Autoschloss und sperrte ihren Peugeot auf. Sie hatte keine Lust, sich umzudrehen. „Spar dir die gespielte Freundlichkeit, Lydia.“ Diese Frau hatte von Anfang an etwas gegen sie gehabt. Genau genommen, seitdem sie zum ersten Mal im Texas aufgetaucht war. Alec, der sich früher im Gegensatz zu ihr mit Lydia verstanden hatte, machte ebenfalls schon lange einen großen Bogen um sie. Darüber war Maggie keineswegs traurig, da diese Frau jeden umgarnte, der sie länger als zwei Sekunden anschaute. Man erzählte sich sogar, dass sie ständig Affären mit verheirateten oder vergebenen Männern hatte.

      „So kratzbürstig?“, belustigte sich Lydia. „Ist dein Luftschloss geplatzt?“

      Maggie stand mittlerweile in der geöffneten Tür und warf die Tasche auf den Beifahrersitz. „Neidisch?“ In ihr brodelte es.

      „Auf euer verlogenes Glück? Gott bewahre.“

      Wütend wandte sich Maggie um. „Wer sagt das? Die Frau, die seit Ewigkeiten Single ist?“ Natürlich stand Lydias rote Jacke mit dem Pelzkragen weit genug offen, damit man die üppige Oberweite nicht übersehen konnte.

      „Ich komme auf meine Kosten, keine Angst.“ Lächelnd fuhr sich Lydia durch das wasserstoffblonde Haar. Rote Fingernägel, ein grellgeschminktes Gesicht und hautenge Oberteile waren ihre Markenzeichen. „Und lieber habe ich unverbindlichen Sex, als dass ich mich belügen lasse.“ Worauf spielte sie an? Auf Christins einstigen Verrat? Oder auf Alec? „Du merkst wirklich gar nichts“, fügte Lydia mit falschem Mitleid hinzu. „Aber ich werde den Teufel tun und dich aufklären.“ Ihr Lächeln wurde zu einer grässlichen Grimasse. „Nur so viel: Du solltest Alec und Christin im Auge behalten. Die beiden stecken in letzter Zeit ziemlich oft zusammen. Wenn du mich fragst, sieht das nach einem Revival aus.“

      Lydias Spitze traf genau dort, wo es am meisten wehtat. „Es gibt kein Revival, da die beiden nie eine Affäre hatten“, stellte Maggie klar und bemühte sich um Ruhe. Diese Giftschlange durfte ihr zuletzt die Unsicherheit anmerken. „Außerdem ist das lange her und ich vertraue Alec. Das habe ich immer getan.“ Lydia betrachtete sie mit unverhohlener Gefühlskälte. „Weiß deine neue Busenfreundin eigentlich, dass du sie bei mir anschwärzt?“, erkundigte sich Maggie süffisant lächelnd. Was Lydia konnte, konnte sie schon lange! „Du und Christin habt einander echt verdient.“ Mit dieser Verräterin wollte sie erst recht nie wieder etwas zu tun haben. Von wegen beste Freundin! „Und jetzt muss ich los. Mein Mom wartet.“

      „Grüß Trudy von mir“, trug Lydia ihr allen Ernstes auf. „Übrigens: Manchmal kennt man sich einfach zu lange. Das nutzt sich gerne ab wie ein Paar Schuhe, das man jeden Tag trägt. Da hat man mitunter Lust auf etwas Neues.“ Lydia zog einen Schmollmund. „Wie lange kennst du Alec eigentlich schon, und umgekehrt?“ Sie tat, als würde sie gähnen und eilte schließlich auf ihren hohen roten Haken davon. Maggie sandte ihr zornige Blicke hinterher und hasste sich dafür, dass es diese Hexe schaffte, alle Zweifel zu schüren, die in ihr glühten. Kannten Alec und sie sich tatsächlich zu gut und hatten sich deswegen immer weniger zu sagen? Ging er ihr aus dem Weg, weil sie ihn langweilte? Oder traf er sich tatsächlich mit einer anderen? Kein Gedanke, der ihr fremd war. Nur hatte sie ihn bislang nicht zugelassen. Aber was steckte dahinter, wenn ein Mann ständig tausend Gründe nannte, die wichtiger waren, als sich mit seiner Verlobten zu treffen?

      ♥♥♥

      „Ach, Schätzchen“, versuchte ihre Mom sie zehn Minuten später zu beruhigen, mit der sie im Zest verabredet war. Auch mit Alec kam Maggie oft hierher, da sie das English Breakfast und die gemütliche Atmosphäre des Lokals liebte. „Du machst dir zu viele Gedanken. Ich an deiner Stelle würde meinem Bauch vertrauen und nicht dem Stumpfsinn anderer.“

      „Und was, wenn mir mein Bauch sagt, dass irgendetwas nicht stimmt?“ Maggie nippte am Kaffee und blickte durch die große Fensterfront auf die einsame Straße. Bei diesem Sauwetter lockte es nur Hartgesottene vor die Tür. Oder einen wie Alec, der angeblich einige Zäune reparieren wollte …

      „Du hast kalte Füße, das ist alles“, rief ihre Mom aus, als ob alle im Zest schwerhörig wären.

      Mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte sich Maggie auf ihre Mutter und ignorierte die neugierigen Blicke. „Geht es noch lauter?“, zischte sie ihrer Mom zu, die im Stuhl hin und her rutschte. Das Knarzen des Leders ging Maggie genauso auf die Nerven wie die offensichtliche Schützenhilfe für Alec. „Du sagst doch selbst oft genug, dass man einen Mann wie Alec gut im Auge behalten soll, attraktiv wie er ist.“

      „Seit wann gibst du etwas auf mein Geschwafel?“, konterte ihre Mom. „Und falls es dich beruhigt: Auch ich hatte vor der Hochzeit mit deinem Vater erhebliche Zweifel.“

      „Das glaubst du wohl selber nicht!“, unterstellte Maggie ihr. „Seitdem ich denken kann, schwärmst du bei jeder Gelegenheit von eurer Verlobung und der Hochzeit, als wärst du Aschenputtel persönlich. Nie im Leben hattest du Bedenken.“

      „Und ob“, versicherte ihre Mom. „Nebenbei erwähnt ist Aschenputtel die Mutter aller kalten Füße. Immerhin musste sie mit nur einem Schuh durch den Schnee laufen. Ich habe mich schon oft gefragt, warum das keiner bemängelt, aber Märchen sind eben Märchen. Hauptsache, sie haben ein Happy End.“ Ihre Mom kam wie üblich vom Hundertstel ins Tausendstel.

      „Könnten wir bitte beim Thema bleiben?“ Maggie bemerkte, dass sie die Tasse nach wie vor in beiden Händen hielt und stellte sie auf den Unterteller. Kaum getan, fasste die Mutter nach ihrer Hand. Sie fühlte sich warm an und Maggie spürte unendliche Geborgenheit. Auch wenn die Ratschläge ihrer Mom zuweilen gewöhnungsbedürftig waren wie manche Eigenheit, gab es keine bessere Mutter als sie.

      „Was willst du hören, Schätzchen?“, fragte ihre Mom, die irgendwo in den 70er und 80er Jahren hängengeblieben war. Mit Vorliebe trug sie weite Hippie-Hemden, Schlaghosen und breite Bänder im brünetten Haar. Farblich auf ihre vielen Brillen abgestimmt, wofür sie ein Faible hatte. „Soll ich dir von der Hochzeit abraten? Bloß, weil der Junge eine Augenweide ist? Da sorgt man sich schon