Bettina Reiter

Maggie


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unweit von Doktor Donald McGarrets Praxis geparkt hatte.

      Den Arzt kannte sie seit Kindertagen. Er strahlte Väterlichkeit aus, nahm sich viel Zeit für seine Patienten und sprach genauso ausführlich über sich selbst. Stets mit einem Augenzwinkern, da er sehr humorvoll war. Kein Wunder, dass viele Patienten fröhlicher die Praxis verließen, als dass sie sie betreten hatten. Einige kamen sogar nur der Antiquitäten wegen, da Doktor McGarret gerne Flohmärkte besuchte und allerhand von dem alten Zeug weiterverkaufte. Sie selbst hatte einen alten Bilderrahmen erstanden, den er ihr eine halbe Stunde lang ans Herz legte. Besser gesagt hatte er den Ladenhüter mit leidvoller Miene wie einen Goldklumpen angepriesen, den niemand zu würdigen wisse. Um dem Elend ein Ende zu bereiten und da ihr der Doc einen äußerst niedrigen Preis machte, hatte sie zugegriffen.

      Bedauerlicherweise musste sie sich jedoch einen anderen Hausarzt suchen, da ausgerechnet Christin bei ihm zu arbeiten anfing. Und als hätte diese Denunziantin gespürt, dass Maggie an sie dachte, verließ sie just in diesem Augenblick die Praxis.

      Schnell setzte sich Maggie in den Wagen, um ihrer ehemals besten Freundin keine Gelegenheit zu geben, auf sie aufmerksam zu werden. Nach allem, was sich diese Nymphomanin geleistet hatte, wagte sie es trotzdem, sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu grüßen. Unverfrorener ging es wirklich nicht!

      Allerdings musste Maggie zweimal hinschauen, denn ihre einstmals beste Freundin hatte sich stark verändert. Das hüftlange blonde Engelshaar war jetzt pink, schulterlang und mit einem Sidecut versehen. Wenn sie sich nicht täuschte, glitzerte sogar ein Piercing am rechten Nasenflügel. Ohne Zweifel war aus dem braven Vorzeigemädchen von einst eine flippige junge Frau geworden. Obwohl die krasse Veränderung besser zu ihrer Art passte. Christin hatte bei Demos meistens in der ersten Reihe gestanden, liebte Rockmusik und alles Unkonventionelle. Zugegeben, sie sah nicht schlecht aus, dennoch war das kein Vergleich zu früher.

      Oder suchte sie nur nach negativen Dingen, da ihr die Begegnung sauer aufstieß? So sauer, dass sich Maggie vorstellte, wie sie Christin über den Haufen fuhr, die vor der Praxis gemächlich hin und her schlenderte. Vermutlich wartete sie auf Lydia. Immerhin verband die beiden seit geraumer Zeit eine innige Freundschaft, obwohl Christin Maggies Abneigung gegen Lydia früher geteilt hatte. Doch ihre ehemals beste Freundin kümmerte sich weder um ihr Geschwätz von gestern noch bestach sie durch Aufrichtigkeit. Obwohl es viele Momente gab, an die sich Maggie trotz allem gerne erinnerte. Insbesondere an ihre erste Begegnung im Kino.

      Christin, die mit ihren Eltern vor zehn Jahren von Wales hierhergezogen war, hatte beim Öffnen der Colaflasche die halben Zuschauer nass gespritzt. Viele verließen empört den Saal. Einige wenige – Alec und sie eingeschlossen – hatten Tränen gelacht. Das war der Beginn ihrer Freundschaft gewesen, die ihr unendlich viel bedeutet hatte. Bis sie dahinter kam, dass ihr die Arzthelferin Alec abspenstig machen wollte, denn irgendwann begann Christin offensiv mit Alec zu flirten und war jedes Mal beleidigt, wenn Maggie sie darauf ansprach. Was unterstellst du mir da?, hatte sie sich nicht nur einmal über die Vorwürfe beschwert. Haltlos, gemein, ungerecht – das waren nur einige Worte, die ihre Unschuld untermauern sollten.

      Dann kamen die Tage, in denen sie wegen einer heftigen Grippe ans Bett gefesselt war.

      Christin besuchte sie jeden Tag, was sie jedoch nur am Rande wahrgenommen hatte. Zu schläfrig und matt war sie gewesen. Sprichwörtlich außer Gefecht gesetzt, erfuhr sie erst nach ihrer Genesung, dass Christin diese Zeit genutzt hatte, um Alec nach allen Regeln der Kunst zu verführen, indem sie sich nackt in dessen Bett legte!

      Polly gegenüber hatte Christin behauptet, mit Alec über diverse Ideen für die Hochzeit sprechen zu wollen und bat darum, in seinem Zimmer auf ihn warten zu dürfen. Doch weder Polly und erst recht nicht Alec hatten ihr von dieser Intrige erzählt, sondern Christin selbst war es gewesen. Unter Tränen gestand sie, dass sie sich in Alec verliebt habe und beteuerte, wie sehr sie ihre List bereuen würde. Mitsamt den Gefühlen, die sie nicht abstellen könne. Als Maggie nachbohrte, ob ihr Plan aufgegangen sei, hüllte sich Christin jedoch in Schweigen und wirkte wie eine ertappte Sünderin. Alec hingegen war richtiggehend böse geworden, als Maggie auch ihn löcherte. Das hatte wiederum sie fürchterlich erbost. Immerhin hatte er das Ganze unter den Teppich kehren wollen und bekanntlich machte Gelegenheit Diebe.

      Jedenfalls hatten sich Alec und sie nie zuvor so gestritten wie Anfang dieses Jahres. Bei genauerer Betrachtung war seitdem der Wurm drin in ihrer Beziehung. Das Misstrauen hatte sich wie ein Widerhaken in Maggies Herz gebohrt, wenngleich sie Alec einen Verrat wie diesen nicht zutraute. Nicht zutrauen wollte. Leider war sie gegen ihre Eifersucht machtlos. Andererseits hatte sie vor fünf Minuten Adonis höchstpersönlich erlebt. Von einem solchen Lüstling war Alec meilenweit entfernt und …

      „Was zum Teufel …“ Perplex starrte Maggie zu dem Mann, der geradewegs auf die Praxis zusteuerte. Das war Alec! Christin eilte auf ihn zu. Hatte sie auf ihn gewartet? Maggies Hände umklammerten das Lenkrad, bis es wehtat. Ein noch heftigerer Schmerz rammte sich in ihr Herz, als Christin Alec umarmte. Statt diese Geste unbeteiligt über sich ergehen zu lassen, erwiderte er sie. Wie ein Paar standen die beiden da und es dauerte, bis sie sich voneinander lösten, was Maggie hinter einem Tränenschleier wahrnahm. Ebenso wie die Tatsache, dass Alec und Christin gemeinsam in die kleine Seitenstraße verschwanden!

      ♥♥♥

      Maggie saß vor dem Schminkspiegel in ihrem Zimmer und betrachtete sich. Dabei fuhr sie sich ständig durch das leicht gewellte Haar und befeuchtete mit der Zunge die trockene Oberlippe, deren Amorbogen nur angedeutet war. Gerade deswegen verglich man sie gerne mit Julia Roberts. Auch Alec tat es oft, insbesondere wenn sie lachte. Mona Lisas Lächeln, sagte er manchmal dazu, was dem gleichnamigen Film mit der Schauspielerin entstammte.

      Hämisch lächelte sich Maggie selbst zu. „Das hast du jetzt von deiner bescheuerten Gutgläubigkeit“, flüsterte sie. „Vermutlich läuft das Ganze schon länger, als du es dir in deinen kühnsten Träumen vorstellen könntest, Maggie Higgins.“

      „Mit wem redest du, Schätzchen?“ Wie ein Geist, den keiner gerufen hatte, platzte ihre Mom ins Zimmer, die sich verwundert umschaute. „Wieso hast du nicht gepackt. Alec holt dich morgen in aller Frühe ab.“

      „Da bin ich mir nicht mehr sicher, Mom.“

      „Was soll das heißen?“ Sie sank auf Maggies Bett, auf dem die bunte Steppdecke lag, an der ihre Mom jahrelang genäht hatte. „Du warst bereits gestern so komisch, als du heimgekommen bist.“

      „Ich habe Alec und Christin gesehen“, presste Maggie hervor und griff zur Haarbürste.

      „Na und? Auch wenn du mit ihr gebrochen hast, können die beiden weiterhin miteinander befreundet sein.“

      „Sie haben sich umarmt.“

      „So lange sie sich nicht küssen, ist doch alles in bester Ordnung.“

      Maggie suchte im Spiegel den Blick ihrer Mutter und drehte die Bürste unaufhörlich in der Hand. „Soll mich das etwa trösten?“

      „Kleines, du machst dich nur unnötig verrückt.“ Ihre Mom nahm die giftgrüne Brille ab und rieb sich das rechte Auge.

      „Findest du?“ Maggie fühlte sich neuerlich unverstanden. Zu ihrem Leidwesen hatte ihre Mom ein riesengroßes Herz und für jeden ein Quäntchen Mitleid übrig. Egal, wie wenig man es verdiente. „Ich habe Alec gestern angerufen und gefragt, ob er mit dem Zaun fertig geworden ist. Er meinte, dass er fünf Minuten vor meinem Anruf den Hammer beiseitegelegt hätte.“ Tränen traten in ihre Augen. „In Wahrheit hat er besagte fünf Minuten zuvor Christin von der Praxis abgeholt!“

      „Hast du deine Beobachtung erwähnt?“

      „Wieso sollte ich?“

      „Um dich nicht weiter zu quälen.“ Umständlich setzte ihre Mom die Brille wieder auf, die farblich zum Samthaarband passte.

      „Glaubst du im Ernst, dass er mir die Wahrheit sagen würde? Wahrscheinlich belügen mich beide bereits seit Christins Geständnis.“

      „Eine Frau, die liebt, kämpft mit allen Mitteln“,