Bettina Reiter

Maggie


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      „Apropos zufrieden: Ich war bombastisch am Telefon!“, lobte sich Sam zum x-ten Mal selbst. „Der Tussi hat es glatt die Sprache verschlagen.“ Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Gläser klirrten grell, doch das schreckte keinen der Gäste auf. Die meisten waren ohnehin besoffen oder spielten Pool-Billard auf eine Weise, dass Finley vom bloßen Hinschauen schlecht wurde. Die Kugeln platzierte man kurzerhand dorthin, wo man sie brauchte. Bierflaschen standen mitten im Spielfeld. Ein Mann in Ledermontur aschte trotz Rauchverbot in die linke Ecke, in welche sein Gegenüber die schwarze Kugel beim Anstoß versenkt hatte und sich von den anderen feiern ließ … „Du hörst mir ja gar nicht zu, Fin“, beschwerte sich Sam, die zum Bierglas griff. Ihre robuste Natur haute sicher so schnell nichts um.

      „Weil du dich wiederholst.“

      „Na und? Lydia bist du los. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.“ Ein paar ordentliche Schlucke wanderten in ihre Kehle, ehe sie das Glas lautstark abstellte. „Wobei ich an deiner Stelle das Festnetz abmelden würde.“ Schon komisch. Sonst hatte Lydia ständig am alten Handy angerufen. „Glaub mir, die hat es kapiert, sonst hätte sie nicht aufgelegt.“

      „Lydia hat sich einen Tag nicht gemeldet. Warten wir’s ab.“

      „Wow, dein Optimismus ist echt ansteckend“, rügte Dex ihn und fuhr sich durch die rote Lockenpracht, die wie ein zerrupftes Vogelnest aussah. Allerdings wie eins von einem Riesenvogel.

      „Du bist so süß, wenn du dich aufregst“, raunte Sam seinem Freund zu und nahm dessen Hand. Himmel, mussten sie ständig flirten? Vor allem in seinem Beisein! Ohne Rücksicht auf seinen Liebeskummer! Da hatten sich wirklich zwei Elefanten im Porzellanladen gefunden. Bereits bei Dex’ Ankunft wirkten sie wie hypnotisierte Kaninchen. Eine Stunde später hatte die Luft zwischen ihnen zum Fremdschämen geknistert. Wiederum eine Stunde darauf war lautes Stöhnen aus dem Gästezimmer gedrungen, was mittlerweile zur normalen Geräuschkulisse in der Villa gehörte und Finley den letzten Nerv raubte. Abgesehen davon vernachlässigte Sam ihre Arbeit sträflich. Am meisten regte es ihn jedoch auf, dass die Liebe für alle anderen Menschen die natürlichste und unkomplizierteste Sache der Welt zu sein schien.

      „Habe ich dir heute schon gesagt, wie wunderschön du aussiehst in diesem roten Holzfällerhemd und der weißen Leggins?“ Dex schenkte Sam einen schmalzigen Augenaufschlag. „Du hast übrigens ein tolles Lokal ausgesucht.“ Das grenzte allmählich an Hochverrat! Dex schätzte ebenfalls schönes Ambiente und gutes Essen, was man ihm deutlich ansah. Im Normalfall hätte er diesen Saftladen sofort wieder verlassen, der sich im hintersten Winkel von Berlin befand. Weiter hinten ging es gar nicht mehr. Selbstredend, dass die verstaubten Billig-Holzmöbel jeglichem Geschmack entbehrten, und auf dem langen Tresen zeigten sich haufenweise eingetrocknete Ringe nebst Fingerabdrücken. Vermutlich lebten einige Gäste gar nicht mehr, die welche hinterlassen hatten.

      „Du weißt immer, was einer Frau schmeichelt“, Sam kuschelte sich an Dex.

      „Nur in deiner Gegenwart“, mutierte Dex zum Romantiker und wischte sich mit dem Ärmelsaum über die schweißige Stirn. Sogar sein Haaransatz war feucht. „Liebe ist das schönste Gefühl und …“ Abrupt unterbrach sich Dex. „Du siehst blass aus, Finley. Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Wenn nicht Dex, wer sonst wäre prädestiniert für den Beruf des Psychologen?

      „Mein Gott, der Junge kann was ab“, hielt sich Sams Mitleid in Grenzen. „Wir sollten ihn nicht ständig in Watte packen. Immerhin haben wir lange genug versucht, ihm zu helfen.“

      „Ach ja? In den letzten fünf Tagen habe ich euch kaum zu Gesicht bekommen.“

      „Glaubst du, uns fiel der Abstand leicht?“, wehrte sich Sam und lehnte sich zurück, da eine bis zum Hals tätowierte Kellnerin die Spaghetti brachte. Neben Burger die einzige Speise, die hier angeboten wurde. Eigentlich hatte Finley nichts bestellen wollen, wurde jedoch von Sam und Dex überstimmt. „Wir wollten dir eben nicht auf den Geist gehen. Du brauchst absolute Ruhe.“

      „Stimmt. Man hört keinen Mucks von euch“, lästerte Finley.

      „Tja, was man nicht alles für seinen besten Freund tut“, meinte Dex mit selbstzufriedener Miene, und seufzte. „Ich wünschte, dass ich dich schon früher in Berlin besucht hätte. Dann wären mir viele einsame Jahre erspart geblieben. Doch mit wem rede ich da? Von Einsamkeit verstehst du mehr als ich, Finley.“ Wehe dem, der tatsächlich einmal Dex’ Hilfe brauchen sollte! „Und jetzt lasst uns essen, ehe die Köstlichkeit kalt wird.“ Dex und Sam griffen zum Besteck. Finley dachte nicht im Traum daran, es ihnen gleichzutun und schaute angewidert auf die Pampe. Seine zwei todesmutigen Freunde saugten die Spaghetti hingegen in ihre hungrigen Münder. Leider in einem Höllentempo, weshalb die Soße in alle Richtungen spritzte. Entsetzt begutachtete Finley sein neues weißes Hemd, das binnen Sekunden mit roten Punkten besprenkelt war, als wäre er von einer Schlägerei in die nächste geraten.

      „Spinnt ihr?“, erboste sich Finley, dessen Laune sowieso auf dem Gefrierpunkt war. „Das gute Stück habe ich erst gestern gekauft! Wenn sich dieser Mist nicht rauswaschen lässt, werdet ihr mir das Hemd ersetzen. Immerhin ist es von einem Designer.“

      „Kein Problem“, versicherte Dex tief über den Teller gebeugt, und saugte wieder los. Dann drückte er Sam einen Kuss auf die Wange und hinterließ einen roten Abdruck. Als hätte sie nicht schon genug Soße im Gesicht! „Das mit dem Hemd erinnert mich übrigens an Maggie.“ Dex lachte leise. „Sie hat sich auf deine Markenschuhe erbrochen, weißt du noch? Sofern ich mich entsinne, hast du ihr nie etwas in Rechnung gestellt.“

      „Musst du Maggie erwähnen?“ Unwillig schob Finley den Teller beiseite.

      „Das nennt man Konfrontations-Therapie. Aber gut“, zeigte Dex endlich ein Einsehen. „Dann reden wir über Sam und mich.“ Er machte eine feierliche Miene. „Finley, Sams Einladung zum Essen hat einen Grund und du sollst ihn als Erster erfahren: Wir wollen heiraten.“

      „Was?“, entsetzte sich Finley. Wo war ein Loch, wenn man es brauchte? Gut, er saß in einem, doch jetzt wäre er gern eine winzig kleine Maus gewesen, um sich zu verkriechen. Weil er plötzlich unendlichen Neid auf seinen Freund verspürte, obwohl er sich für ihn und Sam freuen müsste. „Äh, ist das nicht ein wenig übereilt?“ Egal, ob zu früh oder nicht, Liebe kam einfach. Nur um ihn machte sie einen riesigen Bogen, als wäre er es nicht wert. Oh ja, er hatte verdammtes Selbstmitleid. Aber irgendjemandem musste er schließlich leidtun!

      „Übereilt kann man das nicht nennen. Bislang steht nur die Einladungsliste“, informierte Sam ihn glücksstrahlend. „Die Sitzordnung haben wir gestern fertiggestellt und jetzt halte dich fest: Das Standesamt hat unseren Wunschtermin frei!“ Nein, von übereilt konnte man wahrlich nicht sprechen. Eher von einem Höllentempo … „In zwei Monaten werde ich Mrs. Dexter heißen.“ Sie ließ die Gabel auf die Nudeln fallen, klatschte aufgeregt wie ein Teenager in die Hände und quietschte ohrenbetäubend, was nur Frauen zustande brachten. „Eine Hochzeit auf St. Mary’s, ist das nicht klasse?“

      „Du bist natürlich eingeladen.“ Dex schleckte die Gabel ab. „Als mein Trauzeuge, versteht sich. Allerdings solltest du bessere Laune mitbringen.“

      Nein, nein und nochmals nein! Das war zu viel. Es war einfach zu viel. Hochzeiten hatte Finley schon immer verabscheut und angesichts seiner aussichtslosen Liebe tat er es noch mehr. „Könnt ihr nicht warten, bis ich Maggie halbwegs vergessen habe?“

      „Sorry, mumifiziert wollte ich nun wirklich nicht vor den Altar treten“, zeigte sich Sam bockig. „Zumal Dex der erste anständige Mann in meinem Leben ist. Den lasse ich sicher nicht mehr vom Haken. Von Arschlöchern, die eine Frau nur in die Kiste bringen wollen, habe ich die Nase gestrichen voll. Dazu zähle ich im Übrigen auch dich. Ohne deine verlogenen Komplimente hätte ich mich niemals auf dich eingelassen.“

      Unangenehm berührt wagte Finley einen Seitenblick zu Dex, der sich die Gabel vor das Gesicht hielt und an einigen Strähnen herumzupfte. „Du weißt davon?“, kombinierte er, weil sich diese Gelassenheit ansonsten nicht erklären ließ.

      „Wir haben keine Geheimnisse voreinander“, antwortete