Brigitte Pyka-Behrends

Johannes Wiedergänger


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überflüssig zu erwähnen, dass der Beitrag abgelehnt wurde. Die Verlegerin faxte: Nee, liebe Klara, so war das nicht gemeint. Gemeint war das Verliebt sein, das romantische, und nicht ein Katalog von Männern, die sich zum Affen machen.

      Es stimmt zwar, dass ich auf der Suche nach einem liebevollen Mann, der nur mich meinen konnte und dies auf eine ganz und gar schüchterne Kleinjungenart mir offenbarte (wenn es die Stunde der Werbung gebot), auch einen Makler, einen Tänzer und einen Taxifahrer kennenlernte, an Sylvester, ein Abend, an dem es sich beschwipst gut kennenlernen lässt. Mit dem Tänzer hatte ich ausgelassen in einer Disco getanzt; der Makler hatte währenddessen allein am Tresen der Bar gestanden und trübsinnig in sein Bierglas geguckt, bis ich auch ihn zu einem kleinen Tanz animierte. Der Taxifahrer hatte mich in den frühen Morgenstunden nach Hause gefahren. Und weil ich eine gelungene Sylvesternacht verbracht hatte und ganz obenauf war, lud ich auch den Taxifahrer sowie vorher die beiden anderen Jungs zu einem Frühstück ein. An drei aufeinander folgenden Wochenendtagen versteht sich, denn an Werktagen hatte ich zu arbeiten. So gegen vierzehn Uhr an einem Samstag oder Sonntag in einem Lokal am Landwehrkanal schön frühstücken. Wie es eben damals eben so war mit der Frühstückszeit in Kreuzberg und heute, wenn die Pandemie oder die kalte Jahreszeit den Menschen nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht, wohl auch noch.

      Es gab diese drei Frühstücke zu zweit – und das war es auch schon. Kein weiteres Interesse aneinander bei dem jeweiligen Frühstückspaar.

      Diese drei Begegnungen fanden also im Winter statt und während ich auf meinem kleinen blauen Sofa lag und grübelte, hatten wir Sommer. Ich weiß das noch, weil viele Fenster offen standen und es um mich herum sehr laut war.

      Also könnte es ein Kollege gewesen sein, in den ich mich verguckt hatte. Es gab da so eine unschöne Geschichte, in der ich überengagiert war, an diesen Mann heranzukommen. Dem ich allerdings suspekt war, weil ich als Finanzbuchhalterin seine Vorgesetzte war in der Kultureinrichtung, in der wir beide an Zahlen arbeiteten. Den Film Enthüllung mit Michael Douglas und Demi Moore kann er allerdings noch nicht gesehen haben. Der lief erst Jahre später an. Aber die Angst des Mannes vor Abhängigkeit und Erpressbarkeit durch die Frau dürfte sehr alt sein. Aus der Zeit des Gartens Eden vielleicht.

      Ja, es könnte dieser Mitarbeiter gewesen sein, der mich über Wochen gegen die Wand laufen ließ. Bis ich mir irgendwann ein paar Flaschen Wein kaufte, für einen Freitag im Kulturzentrum mich krankmeldete und ein verlängertes Wochenende auf dem Sofa verbrachte.

      Wann hatte es jemals in meinem Leben eine Begegnung mit einem Mann gegeben, die durch reine Liebe geprägt war, muss meine erste Frage gewesen sein, die meinen Kopf Schritt für Schritt zu der Begegnung mit Johannes führte. Damals, als wir Kinder waren. Eine Begegnung, in der kaum mehr als vierzehn Wörter gewechselt wurden. Ich heiße Johannes. Und wie heißt du? Klara. (Vielleicht ja, vielleicht nein, gab ich ihm die Antwort.) Darf ich deine Tasche tragen, Klara? Und es war ein Blick (seiner), der nur Freude darüber ausdrückte, mich begleiten zu dürfen. Während ich, schüchtern wie ich war, nach diesem Augen-Blick wahrscheinlich schnell meinen Kopf wieder abwandte.

      (Reine Liebe, frage ich mich heute, ein paar Jahrzehnte nach dem dreitätigen Aufenthalt auf meinem Sofa in der Kreuzberger Wohnung. Was verstand ich eigentlich darunter? Wohl einfach nur Freude an einer Begegnung. Ich finde dich nett, Klara, gehen wir zusammen den Weg in die Schule? Eine Begegnung ganz ohne Kalkül, so wie sie später oft stattfanden. Nur war ich damals einer solchen Begegnung nicht gewachsen. Nicht frei genug dafür.)

      Was hatten meine Eltern sich eigentlich dabei gedacht, grübelte ich weiter auf meinem Sofa, als der eine Teil so überaus belustigt auflachend meinem Vater, dem anderen Teil dieser ehelichen Verbindung, die zarte Romanze zwischen Johannes und mir verriet. Und der andere Teil flugs das Haus verließ, mit geballten Fäusten und im Laufschritt, in Richtung einer Künstlerwerkstatt, um seine Eigentumsrechte an mir deutlich zu machen. Denn so muss es gewesen sein, so war mein Vater, kombinierte ich. Johannes hätte sich doch sonst am nächsten Tag wieder blicken lassen. Was hatte mein Vater sich bloß dabei gedacht? Dass eine Sechs- , Siebenjährige sich mit einem etwa achtjährigen Jungen in die Büsche schlägt?

      Also war doch der Mann schuld an all meinen kaputten oder erst gar nicht zustande gekommenen Liebesverhältnissen, den sogenannten. Also mein Vater war schuldig. Aber den konnte ich nicht mehr zur Rede stellen, weil er schon lange tot war. Meine Mutter, die Helfershelferin, wollte ich verschonen. Oder richtiger: Die Ausreden, die sie parat haben würde, wollte ich nicht hören. Es war damals eben so, würde sie sagen: eine andere Zeit. Gott, mach doch nicht immer aus einer Mücke einen Elefanten oder sie hätte gesagt: Das passte doch gar nicht zusammen, du und der Sohn eines Künstlers. Mach dich nicht lächerlich, du bist jetzt eine erwachsene Frau!

      Was war aus Johannes geworden? Wo lebte er heute? Meine Wiederentdeckung des Johannes hatte mich neugierig gemacht. Doch meine Recherchen über seinen Verbleib blieben ergebnislos. Das Internet gab es noch nicht. Ich rief eine ehemalige Schulfreundin in meiner Heimatstadt an. Sie konnte mir nicht weiterhelfen, obwohl sie alles und jeden kannte in der Kleinstadt, in der wir groß geworden waren, und auch immer bestens informiert war über Klatsch und Tratsch.

      Nee, sagte Monika am Telefon. Den Nachnamen kenne ich überhaupt nicht. Bist du dir sicher?

      Ja, ich war mir absolut sicher, da meine Mutter mir damals den Familiennamen von Johannes genannt hatte. Ihr tat es wohl leid, mich an meinen Vater verraten zu haben: Klara hat einen Kavalier! Also suchte sie am nächsten Tag das Gespräch mit mir. Der Vater von Johannes ist Künstler, sagte sie. Und wie sie das Wort Künstler betonte, lag zugleich eine gewisse Achtung vor einem künstlerischen Dasein darin wie auch ihre Abgrenzung dazu. Ein Künstler ist jemand, der nicht arbeitet, aber holla, wenn er mit Basteln sein Geld verdienen kann, Respekt. So klang damals Mutti für mich.

      Du kennst doch die kleinen Skulpturen, die längs des Flusses und im Stadtgarten aufgestellt sind, Monika, versuchte ich meiner Schulfreundin während unseres Telefonats auf einen Sprung in die Erinnerung zu helfen.

      Skulpturen?!, fragte sie. Ich kenne keine Skulpturen an unserem Fluss oder im Stadtgarten. Monika lachte: Ich würde auch nie darauf achten und wenn sie mir ins Auge fielen, empfände ich sie wahrscheinlich als störend in der Natur. Sie lachte wieder. Was ist eigentlich los mit dir, Klara?

      Ach nix, antwortete ich. War bloß eine Frage, eine Erinnerung, die mir durch den Kopf schoss, weil ich ein paar Tage allein zu Hause war. Tat mir wahrscheinlich nicht gut.

      Im Telefonbuch fand ich Johannes nicht. Aber natürlich hätte ich ihm auch niemals einen Brief geschrieben oder ihn angerufen. Oder doch? Aber was wäre das für ein Dialog gewesen?

      Hallo, hier ist Klara.

      Ja bitte?

      Ja, ich rufe an, weil du mir damals im Jahre Schnee angeboten hast, meine Schultasche zu tragen. Erinnerst du dich?

      Ähm … nein … ja, doch! Klara. Die mit dem Pferdeschwanz, oder? Und warum rufst du mich nach zwei Jahrzehnten an? Um dich zu bedanken, oder brauchst du meine Unterstützung noch einmal? Er lacht.

      Ich drücke ihn weg und schäme mich für diesen Anruf. Noch Jahre später hätte ich diesen Anruf bereut. Gut, dass er mangels Telefonnummer nicht stattfinden konnte.

      Aber die Schultasche, die zu tragen er sich ritterlich angeboten hatte, brachte mich auf eine Idee, oder richtiger: Ein lange gehegter Wunsch meldete sich mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Ich würde ihn so schnell wie möglich in die Tat umsetzen. Ich würde das Abitur machen. Genau. Eine Abendschule besuchen, besser noch eine Tagesschule. Sprechen hatte ich in den Jahren meiner Berufstätigkeit auch vor einer breiteren Öffentlichkeit gelernt – und wie! Ich konnte so spitz formulieren, dass andere die Flucht vor mir ergriffen. Ich hätte viel zu tun, um das Abitur nachzuholen, viel zu lernen und Geld hatte ich genug, um damit zwei, drei Jahre über die Runden zu kommen. Vielleicht bekäme ich sogar BAföG. Ich wäre eine fleißige Schülerin (wenn auch eine im vorgeschrittenen Alter) und hätte keine Zeit mehr, mich in Sehnsüchten nach reiner Liebe zu suhlen. Eigentlich hätte ich dann so gut wie gar keine freie Zeit mehr. Aber wofür eine freie Zeit, wenn ich sie so verplemperte wie an diesem Wochenende. Obwohl: hatte ich die letzten beiden Tage wirklich verplempert, oder