Brigitte Pyka-Behrends

Johannes Wiedergänger


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einem Tisch zugeteilt, an dem zwei alleinreisende Frau ihren Platz gefunden haben. Denn auch zwei Frauen, die zusammen verreisen, sind irgendwie alleinreisend, weil es an einer männlichen Begleitung mangelt. Ich stellte mich vor, bat um Entschuldigung für die Störung ihrer Zweisamkeit und nahm Platz. Wir drei lächelten uns an. Es passte irgendwie gut zusammen mit uns.

      Tja, und dann tauchte eine vierte Person an unserem Tisch auf für gemeinsame Frühstücke und Abendessen in den kommenden Tagen.

      Aufgefallen war er mir bisher nicht. Wie auch? Etwa achtzig Gäste, schätzte ich, beherbergte unser Schiff, und ich hatte nicht jeden männlichen Gast unter die Lupe nehmen können, um ihn auf seinen Personenstand hin zu überprüfen. Hatte eh nur nach einem weiblichen Single Ausschau gehalten. Nach einer Gefährtin. Vielleicht, wenn er sich während des Check-ins so in Schale geworfen hätte wie jetzt, als er zum Dinner erschien, wäre er mir ins Auge gesprungen und ich hätte ihn gleich abgestempelt als Depp.

      Er tauchte in einem schwarzen Anzug, einem weißen Hemd und einer knallroten Fliege auf und machte eine tiefe Verbeugung. Darf ich mich den Damen vorstellen? Mein Name ist Hirsch. Doktor Hirsch.

      Ich war perplex. Wen haben wir denn da?, dachte ich. Den kenne ich doch. Er kleidet sich zwar wie ein Depp, hat aber gute Manieren. So wie es sich gehört. Aber seine Berührungsängste werden deutlich durch das Weglassen des Vornamens und natürlich durch die Wahl seiner Kleidung. Ich kenne dich, du Hirsch. Das fühlte ich in dem Moment sofort. Denn ich hatte auch seine Zahnlücke gesehen, als er Hirsch und ich aussprach. Er zog die Oberlippe etwas hoch beim Buchstaben i.

      Er wirft einen kurzen Blick in unsere Frauenrunde, und von mir bekommt er eine aufmunternde Reaktion: Ich lächele ihn an. Fast mütterlich. Was mir bisher noch nie gelungen ist: einen Mann mütterlich anzulächeln.

      Ich blicke zu Ulla hinüber und sehe, sie amüsiert sich. Sie hat Mühe, ihr Grinsen zu verbergen. Ihre Mutter aber war völlig aus dem Häuschen vor Freude. Beinahe wäre sie aufgestanden, um dem Herrn Doktor den Stuhl zurechtzuschieben. Ulla hinderte sie daran mit einer entschlossenen Handbewegung. Herr Doktor schaffte es auch selbst, und kaum saß er, informierte ihn Ullas Mutter darüber, eine hohe Meinung von Doktoren zu haben. Ihr Schwiegersohn sei auch einer, allerdings kein Mediziner. Ob er denn einer sei. Er nickte nur kurz und zog aus der Brusttasche seines Jacketts ein Handy heraus, mit dem er sich während unseres Abendessens beschäftigte. Seine Höflichkeit hatte mit seiner Vorstellung ein Ende gefunden. Kein einziges Wort mehr, keinen Blick zu einer von uns drei Damen während der gesamten Mahlzeit. Er spielte mit seinem Handy, hörte vielleicht Musik, tippte ein paar Nummern ein, drückte sie wieder weg – auch während er eine Suppe löffelte oder mit der Gabel in seinem Fisch stocherte, hielt er sein Handy in der Hand oder ans Ohr. Seine Ignoranz machte auch eine Unterhaltung unter uns Frauen ein bisschen zäh. Allzu Persönliches wollten wir vor diesem Phantom an unserem Tisch nicht austauschen. Also sprachen wir vielleicht ein bisschen über die Stationen dieser Reise und sahen zu, unsere Teller zügig zu leeren, um in der Bar ein Glas Wein zu trinken. Wir erhoben uns und wünschten ihm noch einen schönen Abend. Er nickte nur.

      Johannes, du Kind, dachte ich, während ich mich hinter seinem Stuhl zur Tür hinausschlängelte. Was hast du bloß aus dir gemacht? Wo ist deine Unbefangenheit geblieben? (Wenn du es denn bist.)

      Was war das denn eben?, fragte Ullas Mutter, nachdem der Barkeeper drei Gläser Weißwein und eine Flasche Mineralwasser auf unseren kleinen Tisch gestellt hatte. Die Mutter ist sehr verunsichert und fordert eine Antwort.

      Erst einmal Prost, antwortete Ulla, und auf ein DU, wenn´s recht ist? Sie blickte mich fragend an. Aber gern. Also Ulla, Klara und Almuth. Wir hoben unsere Gläser und stießen auf unsere junge Bekanntschaft an.

      Also, was war das eben mit dem Herrn Doktor, bohrte Almuth nach: Der war doch so nett, als er an unseren Tisch kam. So gut erzogen. So ein richtig feiner Herr, mit dem ich mich gern ein bisschen unterhalten hätte. Und kaum stelle ich ihm eine Frage, verschließt er sich wie eine Auster und spielt an seinem Ding herum, diesem Handy. So etwas habe ich noch nie erlebt!

      Vielleicht hast du die falsche Frage gestellt, Mutti, schlägt Ulla vor. Könnte ja sein, er fühlte sich bedroht. Fürchtete eine längere Sprechstunde mit der Auflistung all der Wehwehchen, die eine ältere Dame so haben kann. Vielleicht hatte er einfach keinen Bock, bei dir Visite zu machen.

      Blödsinn! Die Mutti schnaubt: Als würde ich einem Arzt nicht seinen Urlaub gönnen. Und dass der ihn nötig hat, das sah ich doch sofort, so dünn wie er ist!

      Was mich nur wundert, ist seine Anspruchslosigkeit.

      Almuth hebt ihren Daumen: Erstens, er ist Arzt. Zweitens (hebt den Zeigerfinger), Ärzte verdienen gut. Drittens (Mittelfinger), warum gibt der sich dann mit einer popeligen Flussfahrt zufrieden?

      Ulla lacht böse auf: Aha, jetzt machen wir also eine popelige Flussfahrt. Bis vor ein paar Tagen hieß die noch romantische Rheinschifffahrt vorbei an Burgen und Weinbergen und war das schönste Geburtstagsgeschenk, das du dir denken konntest. Interessant, Mutter.

      So meine ich das doch gar nicht, Ulla, wendet die Mutti müde ein. Ich meine doch nur, als Mediziner kann der sich doch etwas anderes leisten als auf einem solchen Kahn herumzugondeln und auf lauter uninteressante Menschen zu treffen.

      Aua. Meint Almuth auch mich? Dann wird es Zeit, mich zu verabschieden und meine Außenkabine mit Balkon aufzusuchen. Vorher lass ich aber noch zu, dass Ulla der Kragen platzt. Sie hat mein Verständnis.

      Mediziner, Mediziner, schnaubt sie. Vielleicht ist der schon längst kein Mediziner mehr. Vielleicht hat er seine Approbation verloren, weil er mit Drogen gehandelt hat. Was auch seine popeligen Reiseansprüche erklären könnte und die langweilige Gesellschaft, die er in Kauf nehmen muss. Übrigens auch seine groteske Kleidung. Ein Anzug, der schon längst aus der Mode ist und in dessen Taschen mit Sicherheit Mottenkugeln steckten – ich habe es doch gerochen! Und dann diese alberne knallrote Fliege! Ich hab gedacht, ich werd nicht mehr, als ich ihn in der Tür stehen sah. Und dann kommt er auch noch an unseren Tisch und knallt bei seiner Verbeugung fast mit dem Kopf darauf!

      Nun muss ich einfach lachen! Zu schön, Ullas Schilderung meines eigenen Eindrucks. Und meine beiden Begleiterinnen lachen auch. Die Stimmung zwischen uns ist wieder in Ordnung. Morgen früh legt das Schiff in Mainz an und wir werden uns zusammen die Sehenswürdigkeiten der Stadt ansehen: den Dom (noch einer), vielleicht das Gutenbergmuseum oder das Römisch-Germanische Zentralmuseum. Vielleicht trinken wir aber auch einfach nur Kaffee auf dem Marktplatz, abhängig vom Wetter, denn auch heute ließ sich die Sonne nicht blicken. Ich will aufstehen, um mich zu verabschieden, da hält Ulla meinen Arm fest und flüstert mir zu: Kennst du ihn, den Herrn Hirsch? Ich hatte den Eindruck.

      Was antworten? Ich hebe meine Schultern und gebe zu, mir nicht sicher zu sein. Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich werde es herausfinden, sage ich.

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