Wolfgang Ommerborn

Dunkles Wasser - Heller Mond


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eine Suppe aus Schweinerippchen und verschiedenen Kräutern und Gewürzen, Hongzaoji, geschmortes Hühnerfleisch in rotfermentiertem Reis mit Nudeln, und Baoxin Yuwan, mit gehacktem Schweinefleisch gefüllte Fischbällchen. Es roch gut und es schmeckte gut. Frau Lang, die schon lange bei der Familie Li angestellt war, war eine ausgezeichnete Köchin. Während Zhuowu aß, berichtete er von seiner Begegnung mit den Piraten. Alle zeigten sich erschrocken und entsetzt, aber zugleich auch froh und erleichtert, dass er den Angriff lebend überstanden hatte.

      „Du hast wirklich Glück gehabt“, sagte sein Vater nachdenklich, „mit diesen Verbrechern ist nicht zu spaßen. Sei froh, dass du den Kaufmann an deiner Seite hattest. Wir müssen seiner Familie in Fuzhou ein Dankesschreiben zukommen lassen.“

      Zhuowu nickte zustimmend. Dann erhob Li Baizhai feierlich seinen Becher mit Wein und prostete seinem Sohn zu.

      „Aber nun wollen wir endlich auf deinen Erfolg bei der Prüfung trinken. Wir haben schon vorgestern davon erfahren. Jemand vom Kreisamt hat es uns mitgeteilt. Ich bin stolz, dass du so gut abgeschnitten hast.“

      Zhuowu und sein Vater leerten ihre Becher. Es war ein halbsüßer Huangjiu von goldgelber Farbe aus Shaoxing, den sein Vater besonders gerne trank. Er wurde aus Reis und Körnern anderer Getreidesorten mit einem geringen Zuckeranteil hergestellt. Darum besaß er einen angenehm milden, leicht süßlichen Geschmack.

      Zhuowu musste von der Prüfung und seinem Aufenthalt in Fuzhou berichten. Er erzählte auch von seinem Besuch des Trommelberges und der Begegnung mit dem Mönch Rukong. Über Anning, den er in Fuzhou kennengelernt hatte, und dessen traurigem Ende sagte er aber nichts. Auf einmal kam Longting in den Garten gelaufen.

      „Herr Li, der Leiter des Kreisamtes, der Ehrwürdige Herr Wang, ist gekommen. Er möchte Eurem Sohn gratulieren.“

      „Na, das hat sich ja schnell herumgesprochen, dass du hier bist“, sagte Li Baizhai an seinen Sohn gewandt.

      „Ich habe den Kreisvorsteher in den Empfangsraum geführt. Er wartet dort“, fügte Longting noch hinzu.

      Zhuowu und sein Vater folgten dem Diener zum Empfangsraum, der mit schönen Möbeln aus dunklem Mahagoniholz und verschiedenen Vasen, Tierskulpturen und Rollbildern mit Landschaftsmotiven und Kalligraphien ausgestattet war. Herr Wang saß auf einem Stuhl mit hoher Rückenlehne, der neben einem Tisch an der Wand stand, und nippte an einer Teetasse. Er trug ein kostbares grünes Seidengewand und hatte seine schwarze Amtskappe neben sich auf die Tischplatte gelegt. Mit seinem an einen bleichen Vollmond erinnernden Gesicht, dem kahlen Schädel und dem runden Bauch sah er aus wie der dickbäuchige Buddha. Als er die beiden Herren Li eintreten sah, stand er auf und ging freudestrahlend auf sie zu.

      „Junger Herr Li, großartig, welch ein Erfolg für unseren Kreis, der Viertbeste beim Provinzexamen. Das hatten wir hier noch nie … Herr Li, Ihr könnt stolz auf Euren Sohn sein.“

      Herr Wang überschlug sich fast vor Begeisterung. Longting brachte einen Krug mit Huangjiu und drei Becher.

      „Darauf müssen wir anstoßen“, rief Herr Wang.

      Die drei prosteten einander zu und tranken die Becher leer.

      „Heute Abend gibt es Ihnen zu Ehren im Kreisamt ein Festessen“, verkündete Herr Wang feierlich und zu Zhuowus Vater gewandt fügte er hinzu, „natürlich seid auch Ihr, Herr Li, eingeladen daran teilzunehmen. Der Ruhm Eures Sohnes wirft Glanz auf unsere bescheidene Kreisstadt.“

      Zhuowus Vater war sein Stolz anzumerken. Er selbst hatte nur das Präfekturexamen erfolgreich absolviert und den ersten akademischen Grad eines Shengyuan erlangt, aber dann nicht mehr weitergemacht. Darum hatte er auch nie einen Beamtenposten ausgeübt, sondern verdiente sein Geld als privater Lehrer für Kinder wohlhabender Familien in Jinjiang. Zhuowu war von der Einladung wenig begeistert. Aber er wusste, dass es üblich war, besonders erfolgreiche Examenskandidaten mit einem Bankett im Kreisamt zu ehren.

      „Nun, ich muss mich noch um die Vorbereitungen für heute Abend kümmern“, entschuldigte sich Herr Wang kurze Zeit später und kehrte in sein Amt zurück.

      Nachdem Zhuowu und sein Vater am frühen Abend von dem Ehrenbankett wieder zu Hause eingetroffen waren, begaben sie sich in den Garten und ließen sich für eine Weile im Pavillon nieder, um dort gemeinsam Huangjiu zu trinken. Erst jetzt fühlte sich Zhuowu entspannt. Es war ein schöner Abend. Die Luft war lau und mild. Die silberne Mondsichel hing über dem Pavillon und der schwarze Himmel war voller funkelnder Sterne. Es war still. Die Zikaden, die den ganzen Tag bis in die Abenddämmerung ihren an- und abschwellenden zirpenden Gesang hatten ertönen lassen, waren verstummt.

      Zhuowu kam noch einmal auf das Erlebnis mit den Piraten zu sprechen.

      „Als ich von den Piraten bedroht wurde und dem Tod direkt in die Augen gesehen habe, ist etwas Merkwürdiges in mir geschehen“, erklärte er.

      Sein Vater sah ihn fragend an.

      „Zuerst hatte ich Todesangst und war voller Verzweiflung. Ich wollte meine Angst herausschreien. Aber dann überkam mich plötzlich ein Gefühl innerer Gelassenheit und Gleichgültigkeit. Ich hatte mich, angesichts der Ausweglosigkeit meiner Lage mit meinem Schicksal, mit meinem, wie ich überzeugt war, sicheren Tod abgefunden. In dem Moment waren Angst und Verzweiflung verschwunden. Ich war bereit zu sterben, weil mir das als unabänderlich erschien.“

      Li Baizhai nickte nachdenklich.

      „Ich verstehe, was du meinst. Bei dir hat eine Art Schutzmechanismus eingesetzt. Er hat dich davor bewahrt, in dieser von dir als hoffnungslos empfundenen Situation emotional zusammenzubrechen. In meiner Jugend habe ich während einer Gebirgswanderung einmal einen daoistischen Einsiedler getroffen, der mir erklärt hat, man müsse jegliche Gefühle, seien sie mit Angst, Schmerzen oder Kummer, mit Freude oder Glück verbunden, überwinden und in einen Zustand völliger Affektlosigkeit kommen. Wenn man diesen in seinem Leben erreicht hat, kann einem nichts mehr etwas anhaben. Dann ist man vollkommen frei.“

      „Es ist sicherlich schwer, ein entsprechendes Leben zu führen“, bemerkte Zhuowu, „aber in der Situation auf dem Schiff war ich wahrscheinlich für einen Moment in einem solchen Zustand.“

      „Es war ein existentieller Ausnahmezustand. Du warst überzeugt, getötet zu werden …“

      Li Baizhai machte ein ernstes Gesicht. Er blickte seinen Sohn an und seufzte.

      „Zum Glück ist das nicht geschehen …“, fuhr er dann erleichtert fort, „aber wie dem auch sei, du kannst daran auch sehen, wie flüchtig das Leben ist und wie schnell uns der Tod ereilen kann ...“

      „Das ist richtig“, erwiderte Zhuowu, „und dieses Erlebnis hat mir deutlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass ich mein Leben sinnvoll nutze. Die Frage ist nur, welchen Weg ich einschlagen soll …“

      „Das ist eine gute Frage, Zhuowu. Was hast du also vor, möchtest du auch noch die Hauptstadtprüfung und Palastprüfung in Beijing absolvieren?“

      „Ich weiß es nicht. Das würde wieder Zeit in Anspruch nehmen. Ich möchte endlich selbst für Meihua und die Kinder sorgen können.“

      „Wir können euch weiter unterstützen. Unsere Mittel sind zwar bescheiden, aber sie würden reichen. Wir sind doch alle nicht sehr anspruchsvoll.“

      Zhuowu schüttelte den Kopf.

      „Ich denke, dass ich erst einmal in einem Amt arbeiten werde. Bestimmt wird mir bald ein Posten zugeteilt.“

      „Aber eine hohe Stellung bekommst du nur, wenn du bei den Prüfungen in der Hauptstadt erfolgreich bist und den Grad eines Jinshi erlangst.“

      „Ich weiß, aber ich frage mich, ob ich das wirklich will.“

      „Nun, du musst das wissen. Ich will dir da nicht reinreden. Aber denk noch einmal darüber nach. Du wirst schon die richtige Entscheidung treffen. Und vielleicht ist es wirklich nicht schlecht, als Beamter erst einmal auf Kreis- oder Präfekturebene Erfahrungen zu sammeln. Die Hauptstadtexamina kannst du immer noch machen.“

      Dann