zu Wort und nimmt theatralisch einen Schluck von seinem Getränk nach dieser unfassbaren Weisheit. Idiot.
Ich beäuge ihn mit erhobenen Augenbrauen.
"Oho, der Meister hat gesprochen", ruft Lucas und tut so, als würde er sich vor Aiden beugen.
Alle anderen lachen.
"Das stimmt nicht", sage ich und schaue auf mein Glas.
Alle in der Runde schauen mich an, als hätte ich ihnen erzählt, dass ich Krebs heilen könnte. Sie scheinen darauf zu warten, dass ich mehr sage.
"Also nehme ich an, dass du an Liebe auf den ersten Blick glaubst?", frage ich Aiden mutig und beäuge ihn.
"Liebe auf den ersten Blick ist ein Mythos. Doch von Anfang zu merken, dass jemand zu einem gehört, nicht. Oder würdest du etwa das Gegenteil behaupten?", sagt er mit fester Stimme und richtet sich auf.
Ich zucke abwegig mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Ich denke, das ist Schwachsinn. So etwas wie geistliche Verbindungen oder Seelenverwandtschaft existiert einfach nicht. Sonst wären die Menschen heutzutage glücklich, weil sie mit den richtigen Leuten agieren."
"Die Menschen sind unglücklich, weil sie sehen, was sie sehen wollen. Zu denken, dass geistliche Verbindungen nicht existieren, macht dich zu einen von ihnen. Wenn du richtig hinsiehst, weißt du von der ersten Sekunde an, wer zu dir gehört und wer nicht. Vielleicht solltest du mehr Bronté lesen." Er grinst verhöhnt und nimmt noch einen Schluck von seinem Getränk, ohne den Blick von meinen Augen zu nehmen.
Ich kneife die Augen zusammen und merke schon wie sich mir tausend Worte im Kopf zusammenbrauen.
Als ich gerade etwas Gemeines sagen will, stoppt mich Aby. "Okay, wenn zwei Philosophen sich streiten, sollte man dann aufhören, wenn es am schönsten wird", lacht sie und hebt ihr Bier in die Luft. "Auf einen schönen Abend!"
Kapitel 3
"Du warst aber schon mal verliebt, oder?" Aby sieht mich mit erhobenen Brauen an.
Irgendwie werden die Fragen immer persönlicher.
"Na ja ... was heißt schon verliebt." Meine Worte sind nicht mehr als ein undeutliches Gemurmel, bedacht darauf sie nicht anzusehen.
"Wie? Du willst uns doch jetzt nicht verklickern, dass du noch nie verliebt warst!"
Ich versuche mich an meinen Freund aus der zehnten Klasse zu erinnern und suche nach irgendeinem Anzeichen, das mir sagen könnte, dass es Liebe war. War es definitiv nicht. Er einfach eine Notlösung dafür, dass ich die einzige war, die noch nie einen Freund hatte, mehr nicht. Außerdem war er ein Vollidiot.
Auch der Rest der Gruppe sieht mich jetzt verblüfft an. Sogar Aiden scheint überrascht zu sein.
"Also hattest du auch noch keinen Freund?" Auch Noah betrachtet mich argwöhnisch.
"Doch, hatte ich. In der zehnten Klasse war ich mal mit jemandem fünf Monate zusammen."
"Aber du hast ihn nicht geliebt?" Aby scheint außer sich zu sein.
"Nein." Ich räuspere mich einmal. "Ich meine, ich war damals gerade mal sechzehn geworden. Ich mochte ihn und wollte wissen wie es ist, einen Freund zu haben, aber ..." Ich komme mir wirklich bescheuert vor. Eigentlich sollte ich mich doch gar nicht verteidigen müssen. So etwas tun Jugendliche doch, oder? Beziehungen haben und sie wieder beenden. Hier scheint es ein Tabuthema zu sein. Ich versuche, vom Thema abzulenken und frage Lucas über sein Studium über Wirtschaftsmathematik aus. Hauptsache, ich muss diese blöden Fragen nicht mehr über mich ergehen lassen.
Aby und ich kamen erst um ein Uhr nachts am Campus an. Für meine Verhältnisse war das viel zu spät und ich nehme mir vor, es bei diesem einen Abend zu belassen. Konzentration auf das Wichtige ist angesagt. Und das ist der Unterricht und die Literatur. Da geht nichts dran vorbei, obwohl der Abend eigentlich unterhaltsam war.
Als ich im Bett liege, um endlich schlafen zu können, gehen mir zu viele Gedanken durch den Kopf. Vor allem muss ich an Aiden denken. Kurzerhand entschließe ich, meinen Laptop anzumachen und meine Gedanken niederzuschreiben. Ich dachte an den Abend heute. Ich schrieb über Aiden und seine Arroganz. Dass er an geistliche Verbindungen glaubt und On The Rocks trinkt. Wie er nach Jasmin roch.
Ich träume in dieser Nacht von grünen Augen und meinem ersten Buch.
Als ich am nächsten Tag den Kurs für Literatur betrete, fällt mir auf, dass Aiden schon da ist. Er sitzt wieder in der letzten Reihe und redet gerade mit einem Mädchen, das neben ihm sitzt. Sie schmachtet ihn an, als würde er ihr gerade erzählen, dass er letzte Nacht die Welt vor einem Meteoriten gerettet hat. Außerdem quetscht sie ihm ihre Brüste schon fast komplett ins Gesicht. Ich dachte immer, solche Frauen gibt es nur in Filmen und Büchern. Ich gehe auf die letzte Reihe zu und setze mich ans andere Ende, um Aiden und dem blonden Busenwunder bloß nicht zu nahe zu sein.
"Rave, setz dich doch nach vorne zu uns!"
Ich schaue nach vorne und sehe Leon, der mir von der Mitte des Raums aus zuwinkt.
Ich wundere mich, warum mir nicht vorher aufgefallen ist, dass Leon hier auch in diesem Kurs ist und wieso er mir es gestern nicht erzählt hat. Aber egal. Zwischen so vielen Leuten zu sitzen scheint mir keine gute Idee zu sein. Es ist schlicht weg einfach unmöglich, sich in diesem Trubel zu konzentrieren und ich muss mich verbessern, um - genau wie Aiden - mein erstes Buch herauszubringen. Dieser Neid ist wirklich unerträglich, ich sollte damit aufhören.
"Nein, danke. Ich bleibe lieber hier hinten!", rufe ich Leon zurück und lächle ihn dabei an, um ihm nicht das Gefühl zu geben, ich hätte etwas gegen ihn.
Leon sieht mich stirnrunzelnd an, nickt aber dann einverstanden.
Als ich mich zu meinem Rucksack bücke, um meinen Block rauszuholen, fällt mein Blick auf Aiden.
Er sieht mich resigniert an.
Ich kneife leicht meine Augen zusammen und sehe ihn fragend an. Soll er sich doch wieder Blondchen widmen. Sie scheint ja quasi nach seiner Aufmerksamkeit zu betteln.
"So, Ruhe, bitte", ruft Professor Snow durch den Saal. "Ich hoffe, ihr habt gestern schon ordentlich viel aufgeschrieben, immerhin kann viel am ersten Schultag passieren. Heute beschäftigen wir uns mit dem Thema 'Sinn des Lebens'. Lasst uns mal ein wenig philosophieren. Irgendwelche Vorschläge?"
Schon meldet sich die erste Schülerin. "Ich finde, der Sinn des Lebens ist leben."
"Ja, das ist richtig, Saskia. Aber werden wir mal ein wenig genauer. Was genau bedeutet denn 'leben'?"
"Partys und Sex!", schreit ein Schüler lachend.
Die Klasse stimmt mit ein und auch der Professor muss lachen.
Ich reiße nur meine Augen auf und wundere mich, was in dem Kopf dieses Schülers vor sich geht. Partys und Sex ist kein gutes Konzept, um ein erfülltes Leben zu leben. Außer man ist interessiert an Geschlechtskrankheiten und einem Alkoholproblem.
"Okay, ich möchte, dass wir jetzt reihum gehen und jeder einmal - in ein, zwei Worten - sagt, was für ihn der Sinn des Lebens ist", schlägt Professor Snow vor.
Schon fängt die Runde an. Manche sagen Kinder kriegen, reich werden, etwas Wunderbares erschaffen und reisen.
Dann ist Aiden dran. "Menschen", sagt er einfach, nach kurzem Überlegen.
Ich spüre sogar kurz seinen Blick auf mir.
Menschen? Was meint er denn damit?
Als ich an der Reihe bin, steht meine Antwort fest. "Erfolg."
Der Professor sieht mich mit hochgezogenen Brauen an. Er hat wohl erwartet, dass ich wie alle anderen Mädchen Liebe oder so etwas wie Heiraten sage. Aber nein, für mich steht Erfolg an erster Stelle und das wird sich auch nicht ändern.
Nach den Kursen beschließe ich, Scar anzurufen. Ich setze mich auf eine Bank am Campus und