Summer Alesilia

Ein Trip quer durch das Chaos


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schnallte sich eilig an, während Mike die Auffahrt befuhr. Nach kurzer Zeit begann es zu regnen und er schaltete die Scheibenwischer ein. Laura folgte der Bewegung der Wischer, die einem abgehakten Intervall folgten und völlig anders liefen als die eines modernen Autos. Sie ließ ihren Blick über den Innenraum des alten Opels gleiten. Alles war eckig und kantig. Das Radio mit manueller Senderwahl und Drehrädchen musste noch das Ursprüngliche sein.

      Auch wenn sie mit altem Krempel nichts anfangen konnte, fand sie diesen in die Jahre gekommen Opel, originell und besonders. Obwohl sie ihn nicht kannte, fand sie, dass er gut zu ihm passte.

      Sie blickte zu ihm hinüber und ihr Blick fiel auf seine lockigen und chaotischen Haare. Irgendwie sah es wie das Fell eines Lämmchens aus. Innerlich grinste sie über ihren Gedankengang. Sie erinnerte sich an das kürzlich geführte Gespräch.

      »Du sagtest, das Auto ist älter als du? Was heißt das?« Sie sah ihn abwartend an.

      »Neunundsiebzig gebaut«, war seine schlichte Antwort.

      »Okay, dann bist du jünger als … einundvierzig«, stellte sie sachlich fest. »Siehst auch nicht so aus.«

      »Hm«, gab er monoton von sich, ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen.

      Was war mit ihm los? Mike sah nett aus, war aber dem Anschein nach einer von der mürrischen Art und wirkte zusätzlich noch genervt.

      Gut, er musste ihr keinen Roman erzählen, aber ein bisschen Small Talk konnte man doch halten. Sie beschloss, es erneut zu versuchen. Vielleicht wollte er nur nicht über sich reden.

      »Hardy also? Wie kommt man auf diesen Namen?«

      Er sah kurz zu ihr, bevor er den Blick wieder auf die Straße richtete.

      »Interessiert dich das wirklich?«, fragte er brummend.

      »Sonst hätte ich nicht gefragt. Außer du willst nicht mit mir reden.«

      Mike blickte eine ganze Weile auf die Straße. Er schaltete den Wischer aus, da es aufgehört hatte zu regnen. Sie dachte schon, dass sie keine Antwort mehr bekäme.

      »Hardy ist der Spitzname meines Nachbarn. Er hat mir bei der Restauration des Autos geholfen. Er ist nur wenige Monate, nachdem wir ihn fertig aufgebaut hatten, unerwartet verstorben. Das hat mich damals sehr getroffen. Mein Auto habe ich aus diesem Grund nach ihm benannt. Es ist ein Andenken an ihn und an die Arbeit, die wir zusammen gemacht haben«, begann er zu erklären.

      Laura schwieg eine Weile. Es war eine faszinierende, wenn auch traurige Geschichte.

      »Das tut mir leid. Woran ist er gestorben? Wenn er mit dir zusammengearbeitet hat, war er sicher körperlich fit.«

      Mike schwieg eine Weile. Sollte er einer fremden Person solch ein persönliches Erlebnis erzählen. Genauso spontan, wie er sie mitgenommen hatte, beschloss er nun, ihr mehr zu erzählen. Was hatte er auch zu verlieren.

      »Er war fit. Er war vierundsechzig und noch nicht lange in Pension. Hardy war Kfz-Meister und verfügte über umfangreiches Wissen. Wie ich später erfuhr, litt er an Magenkrebs, nahm seine Beschwerden aber nicht ernst genug, um zum Arzt zu gehen. Erst als es zu spät für eine sinnvolle Therapie war und die Symptome stärker wurden, ist er in ärztliche Behandlung.«

      Ein flüchtiger Blick zu Laura verriet ihm, dass sie gespannt lauschte. Ihr Gesicht drückte Mitgefühl und Bedauern aus.

      »Das hört sich schrecklich an«, murmelte sie.

      »Als wir am Wagen gearbeitet haben, ließ er sich nichts anmerken. Vielleicht waren die Schmerzen nicht so stark, ich kann es nicht sagen. Bemerkt habe ich jedenfalls nichts. Es war auch keine Arbeit im wahren Sinn. Wir hatten Spaß. Er gab Anweisungen, was ich zu tun hatte, und er half mir, wenn es nötig war. Ich glaube, das Gefühl gebraucht zu werden und nicht vollkommen nutzlos zu sein, hat ihn alle Sorgen vergessen lassen. Oft saßen wir nach der Arbeit noch lange zusammen und haben geredet. Er erzählte Anekdoten von seinem Beruf und ich habe über mein Hobby gesprochen.«

      »Dann hast du nicht nur einen Nachbarn, sondern vor allem einen Freund verloren. Das tut mir leid«, sprach Laura und wirkte betroffen.

      Mike brummte. Beide schwiegen eine Weile.

      »Du hast also diesen Opel zusammen mit deinem Nachbarn Hardy hergerichtet und ihn später so getauft?«

      Mike nickte und sie erkannte ein verhaltenes Lächeln auf seinen Lippen.

      »Eigentlich heißt er Harald. Aber er mochte diesen Namen nicht und wollte lieber Hardy genannt werden«, fügte er hinzu.

      Laura wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also schwieg sie. Sie war froh, dass die gedrückte Stimme nicht länger vorherrschte.

      Mike mochte die Stille aber nicht, wenn jemand bei ihm war. So bedrückte ihn das Schweigen und er überlegte fieberhaft, was er mit ihr reden konnte. Es kam ihm merkwürdig vor, dass eine Frau per Anhalter fuhr.

      »Warum standst du am Parkplatz und hast eine Mitfahrgelegenheit gesucht? Das ist doch gefährlich. Ich könnte ein Verrückter sein.«

      Mike lachte leise auf.

      Laura fand seine Aussage witzig, was sie ihre Meinung über ihn revidieren ließ.

      Als sie an die Situation von vorhin dachte, bekam sie direkt schlechte Laune.

      »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Erst hat eine Warnlampe in meinem Auto aufgeleuchtet, also bin ich direkt bei der nächsten Raststätte abgefahren. Ich war unsicher und wusste nicht, was ich machen soll. Da ist mir eingefallen, was ein Freund mal zu mir gesagt hat. Ich solle zuerst in der Bedienungsanleitung nachsehen, wenn eine Warnleuchte angeht und nicht in Panik geraten.

      Also habe ich meinen Ford abgestellt und wollte in der Anleitung nachlesen, was das Symbol bedeutet. Da stand dann, dass eine Motorstörung vorliegt und ich umgehend eine Fachwerkstatt aufsuchen soll. Ich wollte zurückfahren, da ich nur eine halbe Stunde von Zuhause entfernt war. Aber mein Wagen ließ sich nicht mehr starten.

      Ich wollte mir über die Pannennotrufnummer helfen lassen. Sie meinten nur, dass sie mein Fahrzeug erst am späten Nachmittag abschleppen könnten, weil gerade so viel los wäre. Einen Anspruch auf einen Leihwagen hätte ich nicht, da ich nicht weit genug von meinem Wohnort entfernt wäre.«

      Laura beendete ihren Redeschwall. Sie wirkte aufgebracht. Mike fragte sich nach wie vor, warum sie per Anhalter fuhr. Sie hatte viel erklärt, aber er verstand den Grund nicht. Schließlich hätte sie auf den Pannendienst warten können oder sich von jemandem abholen lassen können.

      Was war so dringend? Sollte er sie fragen?

      Eigentlich war es ihm egal. Er war nicht für ihre Probleme zuständig. Ihre Wege würden sich bei Hannover trennen. Als er darüber nachdachte, spürte er ihren Blick auf sich und sah kurz hinüber. Eilig sah sie zurück auf die Straße vor sich.

      Laura war klar, dass per Anhalter fahren eine gefährliche Sache war. Aber was sollte sie sonst machen? Sie musste heute unbedingt nach Hannover. Sonst würde es nur Diskussionen geben. Und enttäuschen wollte sie auch keinen.

      Es war eine halbe Stunde Fahrt vergangen, in der keiner von beiden gesprochen hatte. Beide lauschten der Musik im Radio oder den Nachrichten.

      Mike hatte sich damit abgefunden, keine weitere Erklärung von ihr zu bekommen, und erneut fragen wollte er auch nicht.

      Plötzlich ertönte aus dem Fußraum der Beifahrerseite Musik. Eilig kramte Laura ihr Handy aus der Tasche hervor und nahm das Gespräch eilig an.

      »Hallo … ja ich bin schon unterwegs … normal sollte ich bis heute Abend da sein … natürlich … bis dann.«

      Mike blickte kurz zur Laura hinüber und bemerkte ihren strengen Gesichtsausdruck.

      Das war einer der unerfreulichen Anrufe. Irgendwie wollte er sie aufmuntern, warum wusste er selbst nicht, schob es aber erneut seinem Bauchgefühl in die Schuhe.

      »Möchtest du einen Energydrink?«