Katja Pelzer

Wie schaffen das die Schwäne?


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selbst gegeben hat. Aber alle drei nicken mit über den Teller geneigten Köpfen und brummen etwas Zustimmendes.

      „Wie war’s in der Schule?“, fragt sie weiter, als wollte sie ihre Familie sprechen hören. Als ertrüge sie die Ruhe rund um den Tisch nicht, die Philipp in guten Zeiten als „gefräßige Stille“ bezeichnet hätte.

      Hannah ist selbst erst vor zwei Stunden von der Arbeit nach Hause gekommen und hatte vorher noch keine Zeit sie zu fragen, weil sie direkt in ihre Sportklamotten gestiegen und vor dem Kochen noch eine Runde gejoggt ist.

      Sie will auf keinen Fall zunehmen, jetzt, wo sie wieder einen Job hat und nicht mehr stundenlang im Fitness-Center trainieren kann.

      Patrick antwortet „gut“.

      Lena antwortet „gut“ und grinst mit dem Mund voller Spaghetti.

      „Ich habe gerade über Greta Thunberg gelesen“, sagt Philipp unvermittelt.

      „Die ist cool“, sagt Patrick.

      „Findest du? Na, ich weiß nicht, was ich von den Demos und vor allem den Schulstreiks halten soll“, sagt Philipp.

      „Ist schon klar“, sagt Patrick. „Du bist ja auch nicht gerade ein Verfechter des grünen Lebens.“

      Philipp schluckt eine strenge Antwort hinunter, obwohl er Patricks Ton unangemessen findet. Er will aber am Tisch keinen Streit.

      „Warum streikt ihr nicht einfach samstags? Dann verpasst ihr keinen Unterricht“, sagt er stattdessen. „Dann brauchen wir Eltern uns kein Programm für euch Kids zu überlegen oder mit euch shoppen gehen und furchtbar viel Geld dabei ausgeben. Das wären dann doch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe!“

      „Ne, klar! Das ist doch genau der Punkt. Wenn wir samstags streiken würden, würde es doch niemanden interessieren!“

      „Also deine Mutter und ich sind niemals auf die Straße gegangen. Wir haben weder für noch gegen irgendetwas demonstriert. Und es ist nicht so, dass uns die Dinge egal waren.“

      „Also ich hätte lieber Unterricht“, sagt Lena und schaut ihren Vater aus ernsten glänzenden braunen Augen an. „Ich glaube nicht an die Demos. Die anderen nehmen es doch eh nur zum Vorwand um blau zu machen und rumzualbern. Und was ändert das schon?“

      Philipp schaut seine Tochter überrascht an und liebt sie für diesen Satz noch ein bisschen mehr.

      Diese ganze grüne Hysterie geht ihm irgendwie mächtig auf den Sack.

      Er ist stolz auf seinen BMW. Den glänzenden, makellosen schwarzen Lack. Er drückt gerne auf die Tube. Das ist für ihn Freiheit. Das sagt er natürlich nicht laut. Aber immerhin fliegt die ganze Familie gerne mehrmals im Jahr in den Urlaub. Vor allem Hannah hat das immer genossen.

      Das lassen sie sich nicht nehmen. Das kann doch keine Sünde sein.

      Glück ist keine Sünde. Man könnte ja genauso gut aufhören zu atmen.

      Leben bedeutet nun mal alles rauszuholen, Vermehrung. Möglichst von allem. Und wenn Philipp mal sparsam ist, dann nicht der Umwelt zu liebe. Mehr ist dann eben nicht drin. Für seine Lieben buckelt er jeden Tag. Es soll ihnen gut gehen. An nichts fehlen. Schön will er es ihnen machen. So schön es geht. „Verzicht und Lebensfreude das schließt sich doch aus“, das ist die Meinung, die Philipp auch seinen Freunden gegenüber vertritt. Und die meisten stimmen ihm zu.

      So schlimm wird’s schon nicht kommen mit dem Klimawandel. In diesem Punkt ist er sich mit Trump einig. Solange es im Winter so eiskalt wird, kann es mit der Erderwärmung nicht weit her sein.

      „Die meisten meinen es schon ernst“, widerspricht Patrick und unterbricht damit Philipps Gedanken. „Deine Freundinnen vielleicht nicht“, fügt er an Lena gewandt hinzu. „Die schnallen ja eh nichts. Die sind zu sehr mit ihren Wimpern-Extensions beschäftigt und mit Nase bohren.“

      Lena rollt die Augen und streckt ihrem Bruder die Zunge heraus.

      Philipp hasst Streit beim Essen.

      „Und? Wie war’s bei der Arbeit?“, fragt er jetzt Hannah um vom Thema abzulenken. Er gibt sich interessiert, obwohl er nur mittelgut findet, dass Hannah wieder arbeitet. Irgendjemand muss sich schließlich um die alltäglichen Dinge kümmern. Auch für die Kinder war es schöner, als sie noch zu Hause war, wenn sie aus der Schule kamen, da ist er ganz sicher.

      „Das ist deine Meinung“, kontert Hannah, jedes Mal, wenn er das Thema anspricht. „Die Kinder beschweren sich nie, dass ich arbeite.“

      Hannah ist Mädchen für alles in einem Büro. Früher hieß das „Sekretärin“, heute nennt man Frauen wie sie „Assistentin“.

      Albern findet Philipp das. „Dieser ganze Label-Wahnsinn! Der nimmt in letzter Zeit Überhand“, sagt er bei jeder Gelegenheit. Ha! Trennung, ist auch so ein Label. Wie das klingt, denkt Philipp in diesem Moment triumphierend. Nach etwas ganz anderem als dem, was hier gerade abgeht.

      Sie sitzen alle um den Tisch und essen gemeinsam, unterhalten sich. Eine ganz normale Familie, an einem ganz normalen Abend in einer ganz normalen Woche.

      „Alter“, sagt Patrick da unvermittelt. Eigentlich ruft er es eher. Philipp hat einige Zeit gebraucht, um sich bei diesem Wort nicht jedes Mal automatisch angesprochen zu fühlen. Mittlerweile erwischt er sich manchmal sogar selbst dabei, dass er „Alter“, sagt, wenn er sich mit seinen Freunden unterhält.

      „Habt ihr das von dem Zikaden-Pilz gehört?“, das ist jetzt wieder Patrick. Und sofort hat er die Aufmerksamkeit von Eltern und Schwester. Er mag das. Kennt es aber auch nicht anders. Menschen hören ihm zu. Das ist einfach so. Vor allem die Mädchen. Es gibt gerade drei, die ihm immer ganz besonders gerne und andächtig zuhören. Und jetzt also seine Familie. Zumindest sein Vater und seine Schwester schauen ihn gespannt und erwartungsvoll mit fragenden Augen an. Seine Mutter schüttelt den Kopf.

      Patrick kostet sein retardierendes Moment genüsslich aus.

      „Die Zikaden sind von so ’nem Pilz befallen, der halluzinogene Wirkstoffe enthält, so wie Magic Mushrooms. Dadurch verlieren sie Glieder, Flügel und Geschlechtsorgane.“

      „Ääääh“, sagt Lena. „Kannst du das bitte nach dem Essen erzählen?“ Sie schüttelt sich angewidert.

      „Geht ganz schnell“, sagt Patrick. „Also bevor sie draufgehen, poppen sie noch schnell so viele andere Zikaden wie möglich. Dadurch verbreitet sich der Pilz immer weiter.“

      „Man beachte, die interessante Wortwahl! Danke, für deinen überaus positiven und plastischen Beitrag zu dieser Essensrunde“, sagt Philipp.

      Aber irgendwie ist er auch stolz auf seinen Sohn, der sich für so vieles interessiert und unbedingt Journalist werden will. Das sagt er ihm bloß nicht.

      Hannah reagiert nicht auf Patrick Anekdote aus dem Tierreich. Sie schaut ausdruckslos vor sich hin. Tatsächlich hat sie gar nicht richtig zugehört.

      Sie ist in Gedanken bei ihren Eltern.

      Gila, ihre Mutter, hat ihr heute Nachmittag am Telefon erzählt, dass Enno, Hannahs Vater, sich seit ein paar Tagen seltsam verhält.

      „Es ist eher so ein Gefühl in der Magengrube, weißt du, Kind!Es gab eigentlich nichts Besonderes, nur eben dieses komische Gefühl“, hat Gila gesagt. „Außer vielleicht, dass mich dein Vater einmal nicht erkannt hat. Ein anderes Mal war er wütend, weil ich angeblich weggegangen bin, ohne ihm Bescheid zu sagen. Was nicht stimmt!“, wie Gila beteuerte. „Ich sage immer Bescheid!“

      „Mami, vielleicht ist das ganz normal. Das liegt sicher einfach nur am Alter“, hat Hannah gesagt. „Er wird halt vergesslich!“ Gleichzeitig schämte sie sich, dass sie nicht mehr auf ihre Mutter eingehen konnte. Sie hatten telefoniert, während sie noch bei der Arbeit war.

      Ihre Mutter hat sofort protestiert: „Also normal finde ich das überhaupt nicht. Ich finde sein Verhalten seltsam!“

      Als Hannah einhängte, hatte sie dann