Lucy van Geldern

Traumtänzer


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ist das Info-Blatt vom Tanzclub. Da sind die Kurse ebenso verzeichnet wie die Trainingszeiten.«

      Er reichte Conny den Prospekt. Neugierig nahm sie das bunt bedruckte Etwas entgegen und stöberte darin herum. Ulrike lehnte sich hinüber und las mit.

      »Danke.« Conny gab Andreas den Prospekt zurück. Viel Neues stand da nicht drin. »Ich habe mir in den letzten Tagen die Homepage angesehen.«

      »Stimmt, die Homepage ist viel aussagekräftiger. Aber die Frage ist jetzt«, begann Andreas, »ob wir mit unseren Tanzkenntnissen zusammenpassen? Anfänger sind wir alle nicht, wenn ich das richtig sehe. Ich denke mal, der Kurs für Fortgeschrittene mit dem späteren Ziel der Turnierreife passt zu uns.«

      Fragend sah Andreas die beiden Mädchen an. Conny konnte sich des Gefühls nicht verwehren, dass er vor einer Absage Angst hatte.

      »Ja, dieser Kurs dürfte zu uns passen. Ulrike und ich haben unsere Grundkenntnisse im Internat durch mehrere Lehrgänge erweitert. Hin und wieder waren wir auch auf einem Turnier dabei.«

      »Das ist prima und gibt Anlass zum Optimismus. Ich schlage vor, dass wir uns am Montag im Tanzclub treffen und uns anmelden.«

      Aufmerksam sah Andreas sich im Café um. »Schade, hier gibt es keine Tanzfläche, sonst hätte ich glatt eine Runde mit dir gedreht, Conny.«

      »Na ja, das holen wir demnächst nach«, sagte Ulrike mit einem feinen Lächeln, der das Tempo von Andreas nicht geheuer war. »Wenn es klappt, tanzen wir noch oft genug miteinander.«

      *

      Überdimensional groß und bedrohlich, sie aus seinen roten Augen anblinzelnd, stürzte sich der Drachen auf Conny. Kräftig flatterten die bunten, bauschigen Flügel und wirbelten die Luft auf. Erschrocken machte sie einen Satz zur Seite, voll auf die Füße von Andreas.

      »Aua.« Mehr vor Überraschung als vor Schmerz schrie er auf. Er ruderte mit den Armen und bekam Conny zu fassen. Unmittelbar neben ihnen klatschte das Ungeheuer auf den Boden.

      »Das war knapp. Eigentlich dachte ich, Feuer spuckende Drachen sind ausgestorben.« Erleichtert atmete Conny auf und musterte den gefallenen Drachen. Ungefährlich und ohne Leben lag er vor ihr.

      »Das täuscht«, lachte Martin, und strich sich durch die gerade eben gekämmten Haare, so dass sie wieder strubbelig in alle Richtungen standen. »Die Ungeheuer gibt es heute noch. In jungen Jahren tarnen sie sich allerdings hervorragend.«

      Und Andreas fügte spöttisch hinzu: »Vor so ein bisschen Pappe und Stoff Angst zu haben, dazu gehört einiges.« Erst jetzt bemerkte Conny, dass er sie noch immer umfangen hielt. Langsam und sehr zögerlich befreite sie sich aus der kräftigen Umarmung. An seinem Blick erkannte sie, wie sehr er es bedauerte, sie nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe zu fühlen.

      »Wo sind wir denn hier gelandet?« Skeptisch sah Martin sich in dem Korridor um. »An der Tür stand doch ...«

      »Wir haben uns nicht geirrt«, stellte Andreas fest und blickte sich noch einmal genauer um.

      Die Mitarbeiter des Tanzclubs waren eifrig dabei, Figuren und Dekorationsstücke umzuräumen. Keiner beachtete die Vier, die inmitten des Chaos ein wenig verloren herumstanden.

      »An wen müssen wir uns wenden?«, fragte Ulrike.

      »Auf der Homepage stand ein Ansprechpartner.« Conny krauste die Stirn und überlegte fieberhaft. »Mir fällt der Name nicht mehr ein. Kommt einer von euch darauf?«

      Einheitliches Kopfschütteln.

      »Wir müssen uns durchfragen«, meinte Andreas und ging frohen Mutes auf eine Frau mittleren Alters zu, die sich bemühte, die Stoffbahnen des Drachens zu bändigen.

      »Entschuldigen Sie ...«, begann er. »Ich suche den Tanzlehrer. Wir vier«, er deutete hinter sich, »haben den Aushang in der Uni gelesen.«

      Ohne in ihrer Arbeit innezuhalten, nickte die Frau. »Da drinnen im Saal, bei den Ruinen finden Sie Herrn Koberer. Er ist zuständig.«

      Andreas bedankte sich und wagte sich zwischen die Kulissenschieber. Behutsam schlüpften sie an den Dekorationen vorbei in den Saal, stiegen im Gänsemarsch über Holzleisten und bückten sich, als eine Leinwand auf sie zusegelte.

      Die Ruinen erwiesen sich als Konstrukte aus Pappmaché und Sperrholz.

      »Vorsicht, nicht anfassen«, warnte ein Mann in einer fleckigen Latzhose. »Was kann ich für Sie tun?«

      »Wir möchten uns für den Fortgeschrittenenkurs im Paartanz anmelden«, sagte Conny und atmete tief durch. Der Geruch nach Farbe stach ihr in die Nase. »Sind Sie Herr Koberer?«

      »Ja.« Er richtete sich auf. Sie schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er lächelte freundlich und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Kommen Sie mit ins Büro. Ich werde nachsehen, ob ich noch Platz in dieser Gruppe habe.«

      Sie folgten ihm hinaus in den Korridor bis an dessen hinteres Ende. In dem kleinen Zimmer zog er einen Ordner hervor und blätterte darin.

      »Sie haben Glück. Sechs Plätze sind noch frei.«

      »Dann sind es jetzt nur noch zwei«, sagte Andreas rasch. Erleichtert beobachtete Conny, wie Herr Koberer Anmeldebögen aus einer Schublade kramte und sie ihnen zuschob.

      »Bitte ausfüllen und unterschreiben.«

      Conny nahm den einzigen Kugelschreiber, der auf dem unordentlichen Schreibtisch lag, und machte den Anfang. Dann kamen Ulrike und Martin. Ganz zum Schluss füllte Andreas sein Formular aus. Verträumt beobachtete Conny ihn dabei. Seine schmalen Finger hielten den Schreiber in unnachahmlicher Eleganz. Jede seiner Bewegungen faszinierte sie. In Gedanken malte sie sich aus, wie es sein würde, wenn er sie liebevoll in den Arm nahm und sie das Spiel seiner Muskeln spürte.

      »Danke schön.« Herr Koberer nickte. »Die Kursgebühr bezahlen Sie bitte bar oder per Überweisung. Der Unterricht fängt am Mittwochabend statt.«

      Er begleitete die Studenten bis zum Ausgang und verabschiedete sich von ihnen. Schwungvoll öffnete Martin die Tür, und sie traten auf die Straße hinaus.

      »Was machen wir nun?«, fragte Andreas. »Wir haben es geschafft. Habt ihr Lust, noch einen Schluck bei Ernies zu trinken?«

      Ohne lange zu überlegen, nickte Conny. »Gern. Das muss gefeiert werden.«

      »Also, auf zu Ernies!« Übermütig hakte sich Andreas bei Conny unter und zog sie sachte davon.

      Conny schloss einen Augenblick die Augen. Sie glaubte, einen halben Meter über dem Boden zu schweben. Ihre Studienzeit schien unter einem guten Stern zu stehen.

      Um die Nachmittagszeit war die Kneipe schlecht besucht. Ein wenig verloren saßen sie da und ließen sich etwas zu trinken bringen.

      »Also Prost. Auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit.« Andreas hob sein Glas, und die anderen kamen diesem Beispiel nach.

      »Ich freue mich schon auf die erste Tanzstunde. Das wird sicherlich lustig«, sagte Martin in die Runde. »Im Club wimmelt es immer von Zuschauern. Da hast du sofort das Gefühl, als würden deine Schuhe wie Leim am Boden kleben.«

      »Leim, ja genau. Danke für das Stichwort, Martin.« Andreas stellte sein Glas mit Schwung ab. »Könnt ihr Mädels mit Leim umgehen?«

      Die Frage irritierte Conny. Worauf wollte er hinaus?

      »Wozu wird diese Fähigkeit benötigt? Denkst du ans Dekorieren des Saals?«

      »Das kommt bestimmt irgendwann auf uns zu. Nein, ich dachte an etwas anderes. Es geht jetzt auch nicht um Leim, sondern um Kleister. Also, wie sieht es aus? Ja oder nein.«

      »Natürlich können wir. Mein Appartement ist das beste Beispiel.«

      »Ihr scheut auch nicht davor zurück, Tapeten von den Wänden zu reißen? Abgebrochene Fingernägel und Farbkleckse im Gesicht werden mit stoischer Ruhe hingenommen? Kein hysterisches Gejammer?«

      »Dumme