Sanne Prag

Kein Sommernachtstraum


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Stunde später wachte er wieder auf. Es war gut, dass er angezogen war. Denn nun würde das „Hotel“ bald leben. Er glättete seine Haare und zog den Kragen gerade. Kein Geräusch. Da nahm er den Schlüssel, um zu dem anderen Gebäude zu gehen - absperren. Eine absolut notwendige Maßnahme, damit sich keiner in die dunklen Löcher verirrte. Vielleicht war auch noch der eine oder andere Sessel unter dem Haufen, den er liegen gesehen hatte…

      Als er die Türe aufmachte, lag dort etwas, was er am Vortag nicht gesehen hatte. Es war ziemlich groß – er hätte es sehen müssen, sogar beim Licht vom Handy.

      Es war ein Mensch.

      Da lag ein Mensch und aus seinem Rücken ragte eine dünne Stange – ein Pfeil. Er berührte ihn vorsichtig – fühlte sich an wie Metall. Das Gesicht konnte er nicht sehen. Aber es war ein Mann.

      Ihm war heiß und kalt gleichzeitig. Es war nicht die erste Leiche, die er in seinem Leben fand. - Seine seltsamen Jobs brachten immer wieder Probleme mit sich. Aber es stellte sich auch immer wieder in solchen Situationen die gleiche Frage: Wie sieht man, ob man die Rettung rufen muss oder ob das nicht mehr notwendig ist und man nur die Polizei verständigt? In Büchern fanden die immer ganz leicht heraus, ob da noch ein Pulsschlag war oder nicht. Er war nie sicher.

      Er versuchte, einen Puls zu fühlen. Die Hand fühlte sich kalt und teigig an. Der Hals auch. Vielleicht war der aber nur unterkühlt? Die Rettung konnte da nichts mehr ausrichten, oder doch?

      Er sperrte die Türe sorgfältig zu, lief ein Stück in den Wald und rief Wolfgang an.

      „Sei doch nicht so ungeduldig“, sagte die tiefe Stimme. „Ich bin schon auf der Strecke.“

      „Ich habe hier einen Toten, ermordet mit einem Pfeil.“ Ezra sparte sich die Einleitungen – man kannte sich seit über 25 Jahren. „Gehört das zum Programm?“

      Am anderen Ende war es still.

      „Ich muss zumindest die Rettung rufen. Vielleicht ist noch Leben in ihm.“

      „Ja, musst du, anders geht es nicht. Ich bin in ein wenig mehr als einer Stunde bei dir.“ Wolfgang sagte das ganz ruhig, - kalt und ruhig.

      VORMITTAG

      Red Warhol war nicht mehr. Er hatte aufgehört, große Veranstaltungen zu steuern, ob politisch oder nicht politisch. Da musste es jemanden geben, dem es wichtig war, dass Red Warhol nicht mehr am Steuer saß. Warum? Wer? Und dann noch mit einem Pfeil. Das war so falsch…

      Ezra versuchte, sich zur Ordnung zu rufen: Er musste bei jedem seiner Gäste einzeln vorsprechen wegen des Todesfalles. Er fühlte sich fiebrig, unruhig und natürlich überfordert. Er wartete.

      Nach einiger Zeit kam die Rettung. Es war schließlich eine einsame Gegend.

      Dann kam die Polizei.

      Dann kam Wolfgang.

      Die Polizei hatte den Schlüssel übernommen. Wolfgang musste ein Gespräch führen, dann hatte er den Schlüssel. Ezra ging mit ihm.

      Wolfgang beugte sich über den Toten und betrachtete den Pfeil genau. „Du hast recht - ist Metall, eine ungewöhnlichen Legierung - besondere Anfertigung, sehr leicht – und sehr teuer. Nein, das war kein Spiel, das war absolut ernst.“

      Ezra war verwirrt: „Bitte wer würde einen Pfeil verwenden, außer dem grünen Bogenschützen?“

      „Einfach jemand, der keinen Lärm machen wollte und gut damit umgehen kann. Das gehört nicht ins Reich der Fantasie, da ist Planung am Werk.

      Überleg einmal, wenn du jemanden an einem belebten Ort aus dieser Welt entfernen möchtest. Wie würdest du das machen? Mitten unter Menschen erstechen? Natürlich gibt es extrem feine Klingen, die gehen in den Körper rein wie in Butter, aber trotzdem musst du Kraft aufwenden, du musst eine wuchtige Handbewegung machen. Die ist zu sehen. Manchmal geht der mit der Klinge im Körper dann noch eine Strecke, aber verlassen kannst du dich nicht darauf. Er kann dir auch gleich vor die Füße kippen. Und was sagst du dann? Habe mich nur gekratzt?

      Ein Präzessionsgewehr ist eine gute Sache. Da bist du so weit weg, dass du nach dem Schuss in Ruhe einpacken kannst und gehen, während alle zusammenlaufen, weil es gekracht hat. Bis die dich gefunden haben, bist du über alle Berge. Ist aber hier unmöglich. Wo sollte ein Scharfschütze Aufstellung nehmen? Wie sollte er jemanden bestimmten treffen mitten im Wald – ich sehe keinen Jagdstand und keine Möglichkeit. Bleibt vergiften – ist auch nicht so einfach…“

      Ezra sah seinen Freund unsicher an. Der Arbeitsplatz hatte ihn verdorben – der war mit organisiertem Mord inzwischen auf Du und Du.

      Da setzte Wolfgang seine Überlegungen fort: „Und jetzt denke einmal, die Person hat einen kleinen Spezialbogen – die brauchen zwar viel Kraft, sind aber nur 70 cm lang, und diese besonderen Pfeile – extrem dünn, extrem scharf. Der kann gut damit umgehen, weiß genau, was zu tun ist... Aus einer Deckung heraus auf einige Meter in den Rücken – kein Laut. Das Opfer erkennt den Mörder nicht einmal, wenn es überlebt.

      Kommt jemand zufällig ums Eck, womit man an einem belebten Ort ja rechnen muss, so ist das kein Malheur. Der oder die sieht den Mann zusammenbrechen - allein. Niemand in der Nähe. Bis er oder sie erkennt, was da abgegangen ist, ist der Schütze im Gebüsch leise verschwunden, - wahrscheinlich ins Haus und bestellt unschuldig sein Bier. Er spannt den Bogen ab. Das Gerät ist so dünn und leicht, dass du es überall völlig unsichtbar im Gewand tragen kannst und unschuldig unter Menschen gehen, im Sommergewand, Minuten nach dem Mord. Es macht keinen Lärm, es schwirrt nur, kein Mensch nimmt im Haus solch ein Geräusch wahr – das hört nur vielleicht das Opfer.“

      Wolfgang kniete sich hin und hob den Toten ein wenig an. Der schien inzwischen ziemlich steif. Er schaute unter den Körper. „Ja, habe ich mir gedacht. Wurde bald nach der Tat hier abgelegt. Erschossen dürfte er im Hof worden sein. Ich hatte schon das Gefühl, dass hier Schleifspuren sind, und das Blut ist verwischt. – Und das versteh ich nun überhaupt nicht.“ Wolfgang runzelte die Stirne und hockte neben dem Toten. „Warum das? Warum wurde er denn weggebracht? Das ist doch genau das Risiko, das vermieden werden sollte mit dem Pfeil. Zuerst wird alles genau geplant, sodass keine Nähe, keine Berührung mit dem Opfer stattfindet, alles auf Entfernung. Jemand will nicht in der Nähe des Opfers gesehen werden, was ja logisch ist. Und dann schleift er den Toten weg? Warum?“

      VORMITTAG

      Ezra überließ es Wolfgang, mit den Behörden umzugehen, und begab sich zum Zimmer von Frau Dr. Dilmon. Er klopfte, bekam keine Antwort, klopfte energischer. Er konnte ihr in dieser Situation nicht gestatten, sich zu verkriechen. Schließlich öffnete sie sehr abweisend.

      Ezra fühlte sich zur Mitteilung verpflichtet, war aber auch neugierig auf ihre Reaktion. Wolfgang pflegte immer zu sagen: „Er ist neugierig wie ein Affe.“ „Ich muss Ihnen etwas Unangenehmes mitteilen: Red Warhol wurde heute Nacht ermordet“, stammelte er – es war doch nicht so leicht, solch extrem schwierige Dinge zu sagen - zu einer so unwilligen Person.

      Hortense Dilmon stand ganz starr, zuckte mit keiner Wimper. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Ganz ruhig, eine Hand auf der Türschnalle, hörte sie die Nachricht. Schließlich, nach einer langen, stummen Zeit ging sie zur Seite und bedeutete ihm, einzutreten. Das Zimmer wirkte unbewohnt. Nichts zeigte einen Mieter, kein Kleidungsstück, keine Taschen, keine Gegenstände irgendwelcher Art. Das Bett gemacht, die Tagesdecke glatt. Sie zeigte auf einen Sessel. „Was ist passiert?“, fragte sie still.

      „Er wurde erschossen, die Polizei ist im Haus. Die Rettung konnte nichts mehr ausrichten…“ Diese Mitteilung war sehr ungenau, oberflächlich, mit wenig Aussage. Das fand Ezra richtig. Er wusste aus anderen Erfahrungen, dass die Polizei Wert darauf legte, möglichst wenig Information nach draußen zu lassen. Wolfgangs „Firma“ hatte sicher die gleichen Regeln wie die Polizei. Ezra fühlte sich als Teil von Wolfgangs System. Es war schließlich sein Dienstgeber, somit seine Verpflichtung.

      Er