Sanne Prag

Kein Sommernachtstraum


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und nichts war so wichtig wie das Nichts. Dieser Mann hatte eine harte Zeit hinter sich, das war zu sehen. Er wirkte dennoch mächtig. Seine Schultern brauchten viel Platz, seine Augen unter tiefen Brauen waren scharf und seine Bewegungen gerade und direkt. Der war sicher in der Lage einige bedeutende Lichtblicke zu liefern. Welche Fragen waren die interessantesten?

      Ezra konnte sich nicht erklären, wieso keiner wusste, ob Dr. Dilmon Dr. Dilmon war. Was war da in Südamerika abgegangen? Wer hatte ein Interesse an der Biologin? Wer wollte sie austauschen und warum?

      „Ich bin Red Warhol“, sagte der Mann in diesem Moment.

      Bei Ezra klingelte es laut in der Informationsabteilung. Red Warhol war eine journalistische Größe. Er hatte ihn persönlich noch nie getroffen, aber trotzdem war der Name allgegenwärtig. In Presse, in Politik – Aufdeckung, Aktionen … Red Warhol saß am Steuer. Saß er auch hier am Steuer?

      Der berühmte Mann saugte langsam an seinem Glas mit dem goldgelben Inhalt. Dann sagte er: „Das da ist gut, aber es tut mir nicht gut – ich brauche es nur einfach.“ Sein Gesicht wirkte zerknittert. War zu viel Alkohol das Problem? Ezra arbeitete an einer Frage, die aufdeckend aber nicht zu intim war. Auf zu Intimes würde er keine Antwort bekommen und er war schließlich auf Antworten angewiesen beim Blinde -Kuh-Spielen. „Wie könnten wir das hier bestmöglich regeln?“, fragte er daher in der Rolle des gut Informierten so lässig wie möglich.

      Red Warhol hob den Blick müde aus seinem Glas: „Das Problem ist – wir können im Moment nur abwarten, bis einige Fragen geklärt sind. Passt mir auch nicht, aber so ist es.“ Er sagte das tief traurig. Ezra hatte sich den Mann immer vorgestellt wie einen Jockey, der das wildeste aller Pferde ritt. So wie der da vor ihm stand, konnte er kaum einen alten Haflinger reiten – so erschöpft.

      Ezra nahm ein anderes Glas und begann, es mit seinem Tuch glänzend zu reiben. Voll konzentriert hielt er es gegen das Licht und blickte durch: „Warum ist denn der Fehler passiert?“, fragte er so unschuldig wie möglich. Seiner Erfahrung nach war das eine gute Frage, die meistens eine Antwort bekam, auch wenn man nicht wusste, was sie bedeutete.

      „Ein Fehler war‘s ja nicht, eigentlich“, sagte der Journalist auch sofort. „Ich hatte ihn völlig aus den Augen verloren.“ – Diese Antwort war eine Herausforderung.

      Ezra konzentrierte sich wieder auf sein Glas, die nächste Frage war besonders heikel. Sie durfte nicht in die falsche Richtung gehen. Schließlich meinte er: „… nach der gemeinsamen Zeit?“

      „Ich hatte genug. Das muss man doch verstehen. Ich hatte die ganze Geschichte satt.“ Der Journalist nahm einen tiefen Schluck und hielt Ezra das Glas wieder hin. „Ich habe mich einfach um ihn nicht mehr gekümmert, und jetzt verbreitet er Unsinn.“

      Ezra füllte sorgfältig nach: „Und glaubt das irgendwer?“, sagte er leise zum Glas, das er dem anderen in die Hand gab, um ihn am Reden zu halten. Es ist schwierig, vorsichtige Fragen zu stellen, wenn man keine Ahnung hat, was man fragen könnte.

      „Das Ganze war damals eine blöde Schweinerei“, murrte Warhol in den Cognac hinein. Dann schaute er Ezra fest an: „Das Schlimme war – es war klein“, das fauchte er wütend. „Das Ganze war winzig, flach, bedeutungslos. Es war kleiner Schmutz, schmierig. Ich musste mir die Hände mit kleinem Schmutz beschmieren. Ich mache gerne große Sachen. Ich stehe gerne hinter mächtigen Aktionen – er hat mich klein gemacht. Er hat mich gezwungen, mich mit kleinem Schmutz zu befassen. Und jetzt haben wir mit ihm ein echtes Problem.“ Er knallte das leere Glas auf die Theke und ging.

      Gut, Ezra hatte verstanden – soweit da irgendetwas zu verstehen war – da gab es jemanden, mit dem hatte Warhol einmal gemeinsame Sache gemacht – oder etwas in der Art. Nachher gab es ein Zerwürfnis und man warf sich gegenseitig kleine, schmierige Sachen vor, über die er nicht mehr sprechen wollte. Und wo war der andere jetzt? Wer war der andere?

      Hatte der im Moment für diese Situation hier im Wald Bedeutung? Welche?

      2 UHR

      Das ältere Pärchen legte den Schlüssel bei Ezra auf die Theke. Die beiden hatten Zimmer 8. Sie lächelte glücklich und sagte: „Das Wasser läuft nicht mehr in unserem Bad.“ Sie hatte brennend rotes Haar und hellgrüne Augen und einen unglaublichen Hut auf dem Kopf. Er hatte einen Bart wie eine Seekuh und lächelte nicht – nein, niemals. Er maß Ezra herausfordernd mit bösem Blick. Sie zwitscherte: „Es ist so schwierig ohne Wasser. Ich glaube doch, dass das geregelt werden muss …“ Sie schaute Ezra erwartungsvoll an, vielleicht wie einen Schutzengel. „Wissen Sie, das Dingsda steckt.“ Sie machte eine Drehbewegung mit der Hand. Ezra vermutete daraufhin, dass das „Dingsda“ der Hahn war. Ließ sich anscheinend nicht mehr drehen. Ezra versprach, der Sache auf den Grund zu gehen.

      „Was ist denn heute Menü?“, fragte sie. Ihr Partner schaute feindlich.

      Ans Essen hatte er noch nicht wirklich gedacht. Ezra musste improvisieren. Hatten die womöglich mit Pension gebucht? Er konnte sich kaum vorstellen, dass die beiden vom Geheimdienst waren, also wahrscheinlich Statisten oder irrtümlich echte Gäste, ohne Wissen.

      Die glaubten womöglich, in einem echten Hotel zu sein.

      Für Leute vom Geheimdienst konnte er offen improvisieren, aber für Statisten, die sie eingesetzt hatten, um dem Hotel Leben zu geben und für echte Gäste, die sie eingeladen hatten, oder die sich verirrt hatten, musste womöglich Essen bereitgestellt werden. Keiner hatte ihm gesagt, was das Angebot gewesen war. Es musste wohl ein Angebot gegeben haben, wenn die ein Hotel vortäuschen wollten, nicht wahr?

      Er wollte so gerne herausfinden, wer zur Ausstattung gehörte, wer zur Organisation und wer zufällig da war. Die vom Geheimdienst sahen wahrscheinlich überhaupt nicht danach aus. Die kamen sicher nicht mit den üblichen hellen Mänteln und schwarzer Brille.

      Wer war wer?

      Die sahen vielleicht ganz unwahrscheinlich aus, so wie diese beiden. Wenn die beiden doch vom Geheimdienst waren, wäre ein nicht vorhandenes Nachtmahl nicht schlimm. Aber bei gewöhnlichen Gästen, die glauben sollten, dass hier im Wald ein normales Hotel steht, mussten die Abmachungen eingehalten werden … Welche Abmachungen?

      Während sich in Ezras Kopf die Planung drehte wie ein Ringelspiel, das immer schneller wurde, beschloss er, sich auf das zu besinnen, was möglich war. Es war viel zu spät, um ein fertiges Mittagessen zu zaubern. Keine Chance. „Wir haben Halbpension ab 18 Uhr“, murmelte er und blätterte in seinem Buch, in dem nichts stand. Nur die Spinnweben waren inzwischen abgewischt. Die Dame schaute ihn erwartungsvoll an. Er musste etwas erfinden, das gut klang und bis 18 Uhr zu schaffen war. Zwei kleine Menüs mussten reichen. Leise Panik stieg aus seinem Magen Richtung Hals. Er konnte sich leicht vertun und etwas vorschlagen, das nicht zu beschaffen war. Unsicher murmelte er: „So viel ich von der Küche erfahren habe, gibt es Suppe, Ente mit Rotkraut oder Palatschinken mit Füllung nach Wunsch…“ Klang das gut genug?

      „Was sagst du?“, fragte sie zu ihrem Partner hin. Er grunzte unwillig. „Er möchte gerne die Ente, und ich auch“, zwitscherte sie. Könnten Sie das in der Küche melden?“ In welcher Küche, dachte Ezra, zeigte sich aber voll gutem Willen.

      „Wir suchen die Steinkreise“, rief sie noch fröhlich von der Türe. Steinkreise? Welche Steinkreise? Wer braucht einen Steinkreis und wozu? Die Frage konnte ihn nur kurz beschäftigen, denn eilig begab er sich auf die Suche nach seinen helfenden Hausgeistern. Kochen war nicht wirklich seine Stärke. Zur Not konnte er das auch, aber es würde den Stress gewaltig erhöhen, wenn er jetzt ein warmes Nachtmahl bis 18 Uhr zaubern müsste.

      Er fand alle im unbewohnten Obergeschoß bei einer friedlichen Zigarette mit Kaffee. Ezra verteilte Lob, um die drei in gute Stimmung zu versetzen, die Reinigung war ziemlich weit fortgeschritten. Schließlich kam er auf das Problem mit der Küche zu sprechen. Bisher hatte er nur Würstchen und Toast bereitgehalten wegen seiner schwarzen Tafeln. Diese Auswahl hätte er selbst auch mit unzulänglichem Equipment anbieten können. Nun war die Lage aber ernst. Das Menü musste um 18 Uhr fertig sein, und dort, wo einst die Küche gewesen war, war derzeit ein dunkles Loch.