Sanne Prag

Kein Sommernachtstraum


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in einigen Kilometern Entfernung … Hoffentlich in wenigen Kilometern Entfernung …

      Aber jetzt in diesem Moment musste sie mit dem Alienangriff fertigwerden. Sie versuchte, in sich hineinzulächeln. Aber der Witz gelang nicht so richtig. Die Einsamkeit umschlang sie rücksichtslos. Vernunft befahl ihr, auszusteigen und die Straße weiterzugehen – irgendwo musste die ja hinführen, das war die Aufgabe von Straßen. Vielleicht war ja das „Waldhotel“ näher, als sie dachte?

      Den letzten Ort der Sicherheit zu verlassen, kostete einige Mühe. Der Widerstand war heftig. Sich panisch auf dem Sitz einzuringeln war so naheliegend …

      Vorsichtig stieg sie aus und ging um das stille Auto herum. Dann packte sie die notwendigsten Kleidungsstücke aus ihrem kleinen Koffer in einen Sack, hängte noch ihre Tasche über die Schulter, stellte das Pannendreieck auf und versuchte, sich sportlich aktiv zu fühlen. Die Bewegung war nicht das Problem – es fühlte sich gut an, Beine zu haben, auf denen man schnell weglaufen konnte, vor was auch immer… Sie gab sich einen Stoß ins Dunkle hinein. Es fühlte sich an wie ein Sprung vom Zehnmeterbrett. Dann aber begann sie, forsch auszuschreiten – sie wollte sich forsch fühlen.

      Der Wald führte neben der Straße weiter und weiter – sie hatte Sehnsucht nach einer Wiese – wenigstens einer Wiese. Eigentlich hatte sie Sehnsucht nach bewohnten Häusern mit Licht. – Ein Lichtlein im Dunklen wie im Märchen, das war es, was eine gute Fee für sie herzaubern sollte …

      War da ein seltsames Geräusch? Hatte sie etwas gehört? Wahrscheinlich akustische Halluzinationen, weil sie so angespannt war.

      Nein, da war ein seltsames Geräusch. Es klang wie ein musikalisches Surren. Was war das?

      Ein kleiner Weg führte in den Wald in der Richtung, aus der sie glaubte, den seltsamen Ton zu hören. Es klang jetzt wie Luft in Telegraphendrähten. Wie eine Harfe, die seltsam gespielt wird – aber doch bitte nicht mitten in der Nacht. Vorsichtig folgte sie dem Pfad ein kleines Stück, schaute immer über die Schulter, um die Straße noch im Blick zu haben. Das Geräusch war jetzt von anderen Tönen begleitet. Es war deutlich, es war erzeugt – von Menschen? Durch die Bäume war ein blasser Schein zu sehen, bläulich. Wenn es Menschen waren, dann könnte vielleicht Hilfe zu holen sein. Räuberbanden waren ja inzwischen selten geworden – oder nicht? Die wohnten jetzt in den Städten, nicht im Wald.

      Sie verhielt sich sehr leise – sicher war sicher. Es schien etwas wie eine Lichtung vor ihr zu liegen, von der die Töne kamen.

      Vorsichtig spähte sie durch das Buschwerk. Das Geräusch war jetzt klar von ungewöhnlichen Instrumenten erzeugt. Sie konnte aber noch immer nicht sagen, wovon genau es erzeugt war. Ein fremder Klang – erinnerte sie ein bisschen an ein Didgeridoo, luftig, wie Musik vom Wind.

      Da lief etwas über den schmalen Spalt, den der Wald an der Mündung des Weges in die Lichtung frei ließ. Es war etwa so groß wie sie. Es war hell. Judith hatte ein Gefühl in ihrem Brustbein, das schlagartig alle anderen Gefühle verdrängte. „Da sieht man, wozu Ängste fähig sind“, dachte sie. Etwas hatte sie ein Alien sehen lassen. Sie kroch geräuschlos näher. Zwischen den Bäumen durch starrte sie auf etwas im schwachen Licht, bis ihr die Augen weh taten.

      Auf der Lichtung bewegten sich Geschöpfe seltsam, wie in Zeitlupe. Helle, glatte Gestalten, und jede hatte Antennen auf dem Kopf, die aussahen wie Fühler von Insekten. Der Klang des Didgeridoo veränderte sich nur wenig. Die Gestalten schienen im Kreis zu gehen, aber jeder Schritt war übertrieben lang, die dünnen Beine wurden bis zur Brust hochgezogen und dann lang vorgestreckt. Und so wanderten die rundum. Es war nicht grauenhaft – es war nur unmenschlich.

      Judith stand zwischen den Büschen und wagte kaum, Luft zu holen. An der Szene veränderte sich die ganze Zeit nichts. Die Gestalten gingen wie in Zeitlupe im Kreis. Die Antennen waren nicht gleich, fiel ihr auf. Manche hatten 2 Fühler und manche nur ein Ding, das aussah wie eine antike Fernsehantenne in Schlingen und Mustern gedreht auf dem Kopf. Und wieso leuchteten die Gestalten blass? Es war kein Licht im Umkreis zu sehen. Sie waren nicht beleuchtet, sie leuchteten selbst.

      Während sie dort stand, entwickelte sich kalter Schweiß in ihren Achseln und unter ihrer Brust. Schließlich kam sie zu einer Entscheidung. Es schien nicht wirklich möglich, in dieser Szene nach dem Weg zu fragen. Nein! Sie zog sich vorsichtig zurück, sehr vorsichtig.

      Als sie die Straße wieder unter den Beinen hatte, war es vor allem wichtig, dass die kleinen Steinchen unter ihren Schuhen still blieben, kein Knirschen, kein Rascheln. Das, was sie da gesehen hatte, war sicher keine Erfindung ihrer gereizten Fantasie. Sie hatte tatsächlich etwas wahrgenommen, das wie Aliens ausschaute … Was tun mit der Erfahrung? Wer immer es war, schien sie nicht bemerkt zu haben. Sie wollte auch weiter nicht bemerkt werden, nein … sicher nicht.

      Sie versuchte, sehr schnell wegzukommen, ohne ein Geräusch zu machen. Am Straßenrand stand die dunkle Form eines schlafenden Traktors – hatte vielleicht auch einen Defekt, zeigte aber Spuren von Zivilisation. Immer wieder über die Schulter schauend lief sie möglichst lautlos die Straße entlang und kalter Schweiß sickerte in ihr Gewand.

      Der Wald nahm noch immer kein Ende, die Straße wand sich bergauf. Sie hoffte so sehr auf ein Ortsschild. Diese weißen Tafeln mit der schwarzen Schrift wurden zum Ziel ihrer Sehnsucht. Schon mehrmals war vor ihr eine Erweiterung in der Wald-Wand erschienen. Eine Fata Morgana für ihr Verlangen – aber da waren nur Baumstämme, keine Lichtung, keine Wiese. Irgendwo musste diese Straße hinführen, das war ihre Aufgabe. Oder nicht?

      Schließlich kam sie wieder zu einer Erweiterung, die sie nicht mehr ernst genommen hatte. Der Himmel hatte sich inzwischen von dunkel zu blass verfärbt, und sie stand über einem Dorf in der Tiefe mit allem, was ein Dorf zu bieten hatte, außer Licht. Es schlief noch, was ja auch zu erwarten war.

      Sie ging den Hang hinunter fand eine Bank zwischen den Häusern und setzte sich, um den Morgen zu erwarten.

      ZEITIGER MORGEN

      Als alle Ansprechstellen wieder erwacht waren, fand sie einen kleinen dünnen Mann namens Hiltinger, der auch Autos reparieren konnte, und stellte fest, dass sie in der Nacht auf der Anhöhe an ihrem Waldgasthof vorbeigelaufen war. So machte sie sich auf, um den Berg wieder zu ersteigen, fröhlich und guter Dinge. Ein herrliches Selbst begleitete sie, das jede schwierige Situation meistern konnte, was sie ja in dieser Nacht bewiesen hatte …

      Der Waldgasthof rief nach ihr. Es war dringend nötig, dass sie zum angegebenen Zeitpunkt dort war. Abmachung war 11 Uhr. Ein gut bezahlter Auftrag mit Urlaub.

      Die seltsame Forderung war vor acht Tagen an sie herangetragen worden. Sie war sehr vorsichtig gewesen mit ihrer Zustimmung. Dann hatte sie überlegt, was für Gefahren tatsächlich über sie kommen konnten. Was war gefährlich daran, zwei Wochen Urlaub zu machen und dabei ein Urteil über eine fremde Frau abzugeben? Dass es hier um kein offizielles Gutachten ging, hatte sie klargestellt, dass sie möglicherweise zu keinem Urteil käme, hatte sie auch eingewendet. Das könnte schon passieren, hatte ihr Auftraggeber gemeint – aber bestmöglich wäre ja auch schon eine Hilfe.

      Sie sollte bestmöglich was beurteilen? Um was genau ging es? Da war er sehr zugeknöpft gewesen. Schließlich versuchte er eine Erklärung, ohne tatsächlich etwas zu sagen: „Die Einheit, die mit dem Problem umgehen muss, hat sehr unterschiedliche Wege, um mit dem Problem umzugehen …“, quetschte er heraus. Er hieß Schneider und saß bei ihr in der Praxis, ein kleiner grauer Mann, der nett wirkte und daran gewöhnt war, Befehle auszugeben, ohne mitzuteilen, was er eigentlich wollte.

      Judith hatte mit einigermaßen fester Stimme ihren Standpunkt behauptet: „Ich kann ja nicht die Fähigkeiten dieser Dame beurteilen, ohne zu wissen, um welche Fähigkeiten es sich eigentlich handeln soll. Soll sie als Kaninchenzüchterin oder in der Buchhaltung ihre Frau stellen oder soll sie vielleicht eine gute Mutter für kleine Staatsangehörige sein?“

      Er hüstelte und dachte eine Weile. „Nun“, sagte er schließlich langsam, „eigentlich sollte sie eine Biologin sein, die Feldforschung in Südamerika gemacht hat.“ Stille.

      Judith