Sanne Prag

Kein Sommernachtstraum


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für einen Job ging, denn das hatte sie schon zweimal gemacht. Sie war damals still neben dem zuständigen Machthaber gesessen, hatte sich bemüht, wie eine Sekretärin auszusehen. Nachher wurde gefragt, was sie von der Person denn wohl dachte.

      Eigentlich mochte sie solche Situationen nicht, denn nie wäre sie auf die Idee gekommen, einen Menschen in einer Stunde beurteilen zu wollen. Sie war damals ausgewichen, hatte bestimmte Fähigkeiten erwähnt, hatte Zurückhaltung geübt, einen Hinweis auf Verhalten gegeben, das zu erwarten wäre, ohne wirklich ein Urteil zu fällen. Das schien aber trotzdem gute Ergebnisse gebracht zu haben. Denn die Anwesenheit des kleinen, grauen Herren in ihrer Praxis war eine Folge dieser Beurteilungen. „Ich soll herausfinden, ob sie tatsächlich etwas von Biologie versteht?“ Judith fand das seltsam.

      „Nein, falls sie nicht Biologin ist, hat sie sicher so viel Wissen, dass sie zu keinem Urteil kämen“, sagte er sachlich. Es dauerte wieder eine Weile. Judith saß die Pause aus. „Es ist mehr die Frage, was sie für eine Art Mensch ist.“

      „Und was wollen Sie dann daran beurteilen?“ Judith fühlte sich inzwischen wie ein Dachshund, der sich in einen Dachs verbissen hatte - tief in seiner Höhle.

      Es dauerte wieder: „Sie war gekidnappt worden und wir wissen nicht, ob es sich tatsächlich um Frau Dr. Dilmon handelt.“ Judith hatte das Gefühl, er hätte in dem Moment alle Schutzkleidung abgelegt, sich herausgewunden aus seiner Rüstung und stand nackt und bloß vor ihr mit dieser Aussage.

      In ihrem Kopf kreisten Bilder, Fragen, Entwicklungen.

      „Ja aber die Identität muss sich doch viel sicherer feststellen lassen? Da muss es doch viel klarere Möglichkeiten geben als meine Beurteilung?“

      „Wir wollen keinesfalls, dass sie unser Mistrauen merkt, und außerdem geht es auch um ein Mehr an Information. Wenn sie nicht Dr. Dilmon ist, möchten wir ihr Verhalten einschätzen können.“

      „Das heißt sie darf nicht merken, dass ich sie beobachte und deshalb sind auch Fotos und so simple Dinge wie Fragen an eine Schwester oder ein Freund nicht möglich.“

      „Wenn sie nicht Frau Dr. Dilmon ist, versucht sie, es zu sein. Sie hatte eine Gesichtsoperation.“ Nach einiger Stille fügte er noch hinzu: „… und ich kann sie nicht einfach bitten, sich auszuziehen, um zu schauen, ob sie ein Muttermal neben dem Nabel hat.“ Wieder war eine Pause. „Das Muttermal im Gesicht ist vorhanden, aber das wäre ja wohl auch künstlich machbar. – Wir wollen auf keinen Fall, dass sie unseren Zweifel merkt“, wiederholte er. Und dann nach einer langen Pause: „Wenn die Frau nicht Dr. Dilmon ist, kann sie uns unter bestimmten Umständen viel nützen … Dafür benötigen wir sie.“

      Jetzt brauchte Judith eine Denkpause. „Sie wollen also, dass ich beurteile, was für eine Art von Mensch Frau Dr. Dilmon ist, damit sie beurteilen, wie sie mit ihr umgehen?“

      „Nicht nur. Es geht mehr um die Frage, was weiterhin von ihr zu erwarten ist und wie man dem begegnen kann.“

      Judith zog nur mehr die Braue hoch und saß zurückgelehnt in ihrem Sessel. Sie wollte die Situation mit Abstand betrachten.

      Da sagte er ganz ruhig. „Wenn sie nicht Frau Dilmon ist, muss es ja einen Grund geben, warum sie es sein möchte“

      Das war das Gespräch gewesen, das sie an diesen Ort gebracht hatte. Wer war Frau Dr. Dilmon? Eine Biologin, die man gekidnappt hatte, in Südamerika. Ganz normal, und warum käme dann jemand anderer aus dem Urwald? Warum käme jemand anderer aus der Gefangenschaft?

      Judith wanderte am Rande der Straße und es war inzwischen ziemlich heiß. Die Wiesen wogten und flirrende Hitze stieg aus dem hohen Gras und sie musste noch ein Stück bergauf gehen. Schließlich begann der Wald wieder, angenehm kühl, freundlich, die Ängste der Nacht gab es nicht mehr. Waren die Aliens noch da?

      Aber bei Tag waren auch Aliens ein durchaus machbares Problem – nur nachts war alles ganz anders…

      Ein Wegweiser „Waldhotel“ hing ein wenig traurig an einem Holzpfahl, den hatte sie natürlich in der Nacht nicht bemerkt. Ein Weg führte zwischen sehr hohen, alten Bäumen in die Tiefe.

      Die Gebäude wirkten düster in ihrer Abgeschiedenheit und waren ziemlich groß. Es sah fast aus wie ein kleines Dorf mit einigen Häusern. Fachwerk ragte hoch in den Wald hinauf. Baumwipfel streichelten an düsteren Giebeln.

      Es war knapp nach 10 Uhr - sie hatte es geschafft. Eine erste Erleichterung breitete sich wie Sonne in ihrem Inneren aus. Eingehaltene Termine waren etwas Schönes, wenn man vorher so viele Widerstände niederringen musste besonders. Sie würde sich nun zu einem friedlichen Kaffee niederlassen. Still ging sie durch die fremde Türe und nahm Platz.

      Ein blonder jüngerer Mann lief auf und ab, um in dem Raum neben ihrem breiten Ledersessel etwas herzurichten. An der Wandseite schob er Tische zusammen. Er bedecke sie mit hübschen Tüchern, brachte Wasserkaraffen, Gläser und stellte eine Reihe Sessel zwischen den Tischen und der Wand auf.

      Das konnte doch wohl kein Mittagstisch sein? Oder?

      Ein großer, älterer Mann kam mit einigen Mikrophonen in der Hand und stellte sie auf die Tische. Er schaute sich die Anordnung an. Eines nahm er wieder und fand einen anderen Platz dafür.

      11 UHR

      Es waren Vorbereitungen für eine Pressekonferenz.

      Der Raum füllte sich locker mit Journalisten.

      Der junge blonde Mann schien unruhig zu werden und jemanden zu suchen. Schließlich kam er zu Judith, um zu fragen, ob sie die Psychologin sei. Beide waren erleichtert, ein wenig Klarheit zu haben. Wie ein kleines Stückchen blauer Himmel, der plötzlich durch eine dichte Wolkendecke schaut. Er sagte: „Frau Dr. Dilmon gibt eine Pressekonferenz über ihre glückliche Rettung. Ich habe hier die Hotelbetreuung übernommen. Ich werde Ihnen Ihr Zimmer nach der Pressekonferenz zeigen.“ Leise fügte er hinzu: „Ich denke, die Pressekonferenz ist für Sie ein guter erster Einstieg.“ Damit lief er weiter. Judith erkannte, der Mann weiß, worum es geht. Das war ihr wissender Anker für die nächste Woche. Langsam wurden ihre Muskeln lockerer. Sie suchte sich einen Platz mit guter Sicht auf den langen Tisch und wartete.

      Noch mehr Mikrofone wurden hereingetragen. Es wurde drauf geklopft, woraufhin sie hüstelten, ein Zeichen, dass sie im Arbeitsmodus waren. Der ältere Mann strich angespannt um die Tische, sehr konzentriert.

      Schließlich kam ein moderner jüngerer Mann, schick, sichtbar tüchtig mit Windstoßfrisur. Der große ältere stand jetzt neben dem Tisch. Er hatte ein unauffälliges Aussehen, unscheinbare Kleidung, aber er wirkte gezielt und mächtig. Er war zweifellos einer der Organisatoren. Still stand er dort, seine Schultern angespannt, sein Nacken leicht nach vorne gerichtet, wuchtig wie ein Stier mit einem Ziel vor Augen. Sehr aufmerksam scannte er den Raum. War das ein Kollege von ihrem kleinen grauen Mann? Zweifellos einer, der Fäden in der Hand hielt.

      Eine elegante, grauhaarige Dame, stark geschminkt, setzte sich hinter ein Mikrofon. Also wohl eine Journalistin.

      Judith hatte ein wunderbares Gefühl, nur anwesend zu sein und Forschung zu betreiben, still und ohne Stress, nicht wie letzte Nacht. – Bei einer Pressekonferenz gab es keine Aliens – oder waren das alles verkleidete Aliens? – Bei Tag war auch das kein Problem. Der breite Ältere setzte sich an das Ende des Tisches als ob er den Tisch beherrschen würde.

      Schließlich kam eine einfach gekleidete, schlanke Frau mit sehr großen, dunklen Augen in einem schmalen Gesicht. Sie erforschte die Menschen hinter den Mikros vorsichtig, sehr zurückhaltend, sah aber nicht in den Raum. Judith sah starke Emotion. Die Frau war angespannt und hatte ein Taschentuch in einer Hand, das sie zu einer festen Kugel gedreht hatte. Der flotte junge Mann richtete ihr einen Sessel und nahm ein Mikro in Besitz.

      Sie ließ sich vorsichtig nieder, als ob Stacheln auf dem Sessel wären, und hatte noch immer keinen Blick in den Raum zu den Journalisten gleiten lassen, die Fragen stellen würden.

      Das war Dr. Dilmon oder die Frau, die es sein wollte. Judith fand ihre Haltung unsicher,