Sanne Prag

Kein Sommernachtstraum


Скачать книгу

– mit Spitzendeckchen vor den Fenstern, die langsam zerfielen. Ezra hatte bisher nicht hineingeschaut, ob darin Geschirr war. Er hatte Teller und Schalen in einem großen Karton aus dem Kaufhaus heimgetragen. Auch hatte er einen Eiskasten mit großer Kühleinheit und eine Truhe in einen Raum gestellt, den er zur Speisekammer erklärt hatte. Er hatte gebetet, dass die Steckdosen Leben in sich hatten, denn wie hätte er sonst Würstchen und Toast bereithalten können? Die Steckdosen lebten, auch die in der Speisekammer. Hurra!

      Er hatte eine Mikrowelle mit Grill besorgt und einen Wasserkocher, mehr war nicht möglich gewesen in der kurzen Zeit. Was nun? Wie zwei Menüs für seine Gäste zaubern? Auf jeden Fall heimlich bei der Ausstattung!

      Wo waren die Steinkreise? Musste er das womöglich wissen?

      Aber jetzt musste er zuerst hier und sofort das Problem mit dem Essen lösen.

      Er näherte sich dem gefährlichen Thema achtsam. „Wir haben bereits Gäste, die auf ein warmes Nachtmahl hoffen …“, eröffnete er den Damen. „Ich bin nicht sicher, wie wir das meistern könnten?“ begann er. Alle drei schauten ihn groß an. „Wenn wir das nicht bewältigen, könnte man in ärgster Not ein Catering kommen lassen und erklären, dass der Strom in der Küche ausgefallen ist.“ Seine Stimme klang bedauernd, sie deutete ein Versagen an, Hilflosigkeit, eine Verfehlung, Mangel … All das versuchte er, den Damen nahezubringen. Die Küche musste in Gang kommen, das war klar. Und was machte er, wenn die Damen nicht wollten? Einfach verweigerten? Er fand es verständlich, wenn sie verweigerten. Das durfte aber nicht passieren. Denn vielleicht kamen noch andere Gäste und hatten das Bedürfnis nach einem warmen Nachtmahl. Und eingetragen war auch noch jemand …

      Die drei sahen ihn noch immer groß an. Auch in ihrem Fall war absolut nicht klar, was man ihnen gesagt hatte, welche Erklärung und welche Regeln. Fragen konnte er nicht gut. Aber inzwischen mussten sie bemerkt haben, dass vor Ort eine Gaststätte improvisiert wurde.

      Wie loyal und wie arbeitseifrig waren sie?

      Frauen, so hatte er in seiner Kindheit gelernt, hatten einen freundlichen, positiven und großzügig spendenden Bezug zu Küchen … Ezra wünschte sich eine Küche, die zumindest Essen spenden konnte. Wer wärmt schon gerne Würstchen für Gäste heimlich in seiner Schafkammer auf einem Campingkocher? Er fühlte, er musste den Ehrgeiz seiner Damen wecken …

      Eine der Damen – sie war ziemlich groß und breit – erhob sich. Ezra hatte kurz schreckliche Visionen vom einem Arbeiterführer in Protesthaltung. Sie holte tief Luft und stemmte ihre Hände in die breite Hüfte. Ezra merkte, wie sein Rücken hart wurde.

      „Nun“, meinte sie, „dann werden wir die Küche wohl vorziehen müssen.“

      Wundervoll! Ezra war erleichtert. Es hätte auch anders kommen können.

      Alle begaben sich in den Raum, wo die Aktion stattfinden musste. Dort war bisher nichts passiert. Nur der Staubsauger hatte kurz die rußgeschwärzten Spinnweben von den Wänden und dem Boden geleckt. Der Rest war im Urzustand. Die wellige Platte des Tisches zeigte ein Wischmuster und mitten drauf lag ein seltsamer Stein, den Ezra zuvor noch nicht gesehen hatte. Wieso lag der da? Sah aus wie eine sehr große hellgrün glitzernde Kröte mit anthrazitfarbenen Flecken.

      Die drei Damen stellten ihre Kübel auf dem Boden ab und sahen sich um. Sie waren inzwischen an desolate Verhältnisse gewöhnt. Der Boden bestand aus unregelmäßig gereihten Holzstöcken. Die Zeit hatte eine interessante Landschaft geformt, mit Rissen und Höhenunterschieden, die mit einem herkömmlichen Küchenboden nur wenig gemeinsam hatte. Ezra sah ein kurzes aber sehr beunruhigendes Bild von einer Hygiene-Kontrolle. Das schob er beiseite – keine Zeit.

      Gemeinsam stellten sie über den Kübeln einen Einkaufszettel zusammen und Ezra sprang ins Auto, um alles heranzuschaffen. An sein Empfangspult heftete er ein Papier, dass er um 17.00 Uhr wieder zur Verfügung stehen würde.

      NACHMITTAG

      Ezra kam aus der nächsten größeren Stadt zurück – hatte sicherheitshalber gleich dort eingekauft, wo voraussichtlich auch die schwierigen Güter zu haben waren. Sein Kofferraum war voll. Seine Sitze waren angeräumt und er versuchte, mit einer Hand zu lenken und mit der anderen die Güter am Beifahrersitz am Rutschen zu hindern. Durch den unruhigen Streckenabschnitt im Wald hatte er sich sehr verspannt, saß verkrampft, lenkte mit der Linken und hatte die rechte Hand in den Turm am Beifahrersitz verkrallt. Der Turm schwankte bedenklich und drohte sich aufzulösen, als eine seltsame Gestalt mit einer Kamera hinter einem Baum hervorsprang und ihn fotografierte. Er fuhr ziemlich schnell und konnte nur ungenau einen dünnen Menschen mit Halstuch erkennen und wunderte sich. Er landete in seinem Hotel und sah vor dem Haus einen gelben Sportwagen stehen. Eigentlich hatte er im Moment niemanden zu erwarten gehabt. Mit vollen Armen lief er in die Küche und fragte sich, wer angekommen war. Ein solches Fahrzeug war einem bestimmten Typus Mensch zuzuordnen. Schauspielern vielleicht…

      Im dunklen Raum sah es inzwischen schon deutlich freundlicher aus, wenn auch weit entfernt von dem, was für eine Wirtshausküche üblich war.

      Als er alles ausgeräumt hatte war es 17.05 Uhr. Da kam ein hoher, schmaler Mann mit Halstuch und lehnte sich an den Empfang. War das der Mann aus dem Wald?

      „Guten Tag“, grüßte Ezra beflissen aber auch ein wenig außer Atem. In der Küche hatte er die Damen zurückgelassen, die Rotkraut in einem neuen Topf auftauten und Ente grillten. Eine mobile Herdplatte brachte Wasser zum Sieden und würde nachher auch die Pfannkuchen braten müssen. So nahm alles seinen improvisierten Lauf. Und wer war dieser Gast nun?

      Der Fremde sagte statt einer Begrüßung: „Da hat sich Red wieder mal übertroffen.“

      Ezra war absolut nicht sicher, was darauf zu sagen war. Er lächelte daher, das war immer gut. Und was weiter? „Wie darf ich Sie eintragen?“, murmelte er, das Gästebuch vor sich.

      „Ich bin George Köhler. Red und ich haben eine lange Geschichte.“

      Köhler? Köhler? Er hatte eine lange Geschichte mit Warhol? Hatte Ezra da nicht irgendwas gelesen? Aber der Name war zu häufig, um ihn gleich zuordnen zu können. Was war da gewesen? Ein Gefühl von Krach, Kampf und Krieg klopfte an, betrat aber nicht sein Bewusstsein. Er konnte sich einfach nicht erinnern.

      Herr Köhler bekam Zimmer 11. Zimmer 9 hatte ein Loch im Boden, erinnerte sich Ezra. Er musste aufpassen, dass er das nicht irrtümlich vergab.

      Was genau wollte sein Arbeitgeber mit diesem Waldhotel erreichen? Dr. Dilmon sollte sich hier in Ruhe erholen oder was? Dann war vielleicht ein romantischer Ausflugsort nicht das richtige? Oder doch?

      Da war Lärm vor der Türe. Es klang wie ein sehr großer Schwarm Stare, die sich auf einem Baum mit reifen Kirschen niedergelassen hatten. Der Lärm schwoll an. In der Türe erschien ein Mann in Bergkleidung. Ihm folgte eine jugendliche Horde.

      Ezra hatte eigentlich den Installateur anrufen wollen. Aber der fröhliche Haufen überschwemmte seinen Empfang. Der Herr in Bergkleidung hatte einige Mühe, den Lärm zu übertönen: „Wir wollten zur Antonihütte, aber hier gefällt es uns“, vertraute er Ezra an. Zwei Jungmänner hatten große Holzstöcke aus dem Wald gebracht und führten einen eleganten Degentanz damit auf. Ein blondes Mädchen sah bewundernd zu. „Wir würden gerne bis Sonntag hierbleiben. Gibt’s da vielleicht ein einfaches Lager? Wir sind nicht anspruchsvoll.“

      Ezra litt schwer darunter, keine Ahnung zu haben, was in „seinem“ Hotel weiter geplant war. Er konnte sich aber nicht vorstellen, dass der Haufen eine Abordnung vom Geheimdienst war, daher musste er den Anschein von einem Waldhotel aufrechterhalten. Also überlegte er kurz, wie die Verhältnisse im frisch gereinigten Obergeschoß waren. Hotelverhältnisse waren bei Weitem nicht erreicht, so viel war klar. Er würde einfach einen hohen Preis verlangen, das war die bequemste Form, um die Gruppe wieder auf die Reise zu schicken…

      Ohne Stammeln, immer das Gästebuch vor sich, verlangte er einen wahrhaft königlichen Preis für Zimmer ohne Bad und nur Matratzenlager. Nach einer kurzen Besprechung stimmten alle begeistert zu.

      Das