Jetzt musste er ein wenig Information ausgeben – das ging der Polizei sicher auch so, auch wenn sie nicht wollten: „Ein Pfeil. Muss ein Bogenschütze gewesen sein…“ Fast trotzig gab er das zu.
Es war wieder eine Weile ganz still. „Seit wann wissen Sie das?“, fragte sie.
„Ich habe ihn in der Früh gefunden, war nicht sicher, ob er tot ist, und habe die Rettung verständigt. Dann haben die Dinge ihren Lauf genommen…“
„Die Rettung konnte nichts mehr ausrichten“, stellte sie ruhig fest.
Eine Weile war es wieder still und Ezra wollte sich gerade erheben, als die Frau sich entschlossen aufrichtete. Als ob sie sich aus einer Erstarrung befreien wollte, sich losreißen und neu beginnen… Dr. Dilmon holte frische Luft und sagte mit gepresster Stimme: „Haben Sie auch das seltsame Flugobjekt gestern gesehen?“
Ezra war aus dem Gleichgewicht, mit der Frage hatte er nicht gerechnet. Was sollte er für Erklärungen dazu geben? Was konnte er sagen? War das seine Verantwortung? Andrerseits, lügen war auch sinnlos. Wenn sie das Flugobjekt gesehen hatte, konnte das auch besprochen werden. „Ja, machte ein seltsames Geräusch“, antwortete er. Nach einer Weile fiel ihm ein zu fragen: „Wieso haben Sie das UFO getroffen?“
„Ich war rauchen und habe es gesehen und habe auch Sie gesehen - im Hof.“ Noch immer zeigte sich ihr Gesicht glatt und leer. Ezra wusste nicht, ob das eine Anschuldigung war, ob sie ihn herausfordern wollte? Oder war es ein Ausweichen, um aus Gefühlen zu fliehen, die der Tod von Red Warhol bei ihr aufgerufen hatte … Weg aus dem Trümmerhaufen?
Er, Ezra - nachts im Hof mit Pfeil und Bogen? Was dachte die Frau von ihm? Was dachte sie überhaupt?
Er erhob sich langsam und ging vorsichtig.
VORMITTAG
Als seine nächste Pflicht betrachtete er George Köhler. Auch er musste es erfahren. Auch dort war die Frage: Wie würde er auf den Tod von Red Warhol reagieren?
Was hatte wohl in dem Brief gestanden, der Red Warhol so verärgert hatte? Der auf dem gelben, dicken Büttenpapier?
Köhler öffnete in einem goldenen Seiden-Hausanzug mit großen dunklen Blumen und einem Halstuch. Ezra war geschockt. Wer geht mit einem elegant geschlungenen Halstuch schlafen?
Köhler schaffte es dann wortlos, ihm eine Gnade zu erweisen, indem er die Türe freigab und ihn mit einer Handbewegung ins Zimmer einlud.
„Es gab ein Problem“, eröffnete Ezra tapfer.
Der Mann schenkte ihm einen kühlen, müden Blick.
„Wir hatten einen Todesfall hier in der Nacht.“ Ezra war keineswegs sicher, wie erfahrene Hoteldirektoren solche Mitteilungen verpackten. Aber vielleicht wollte er sie gar nicht allzu sorgfältig verpacken. Vielleicht war direkt, unkompliziert und hart das Richtige. Was für ein Gesicht würde er von Köhler zu sehen bekommen?
„Red Warhol ist erschossen worden“, sagte er daher, um die Reaktion zu sehen.
Zuerst zeigte sich nichts auf dem Gesicht – der Kopf ging ein kleines Stück zurück. Der Mann zog die Luft scharf durch die Zähne, dann plötzlich großes Erstaunen. „Wo denn?“, fragte der Mann in Gold mit künstlich aufgerissenen Augen.
Dass einer wissen wollte, wo, war erstaunlich, die meisten fragten eher, wie. Und was sollte Ezra antworten? Die Wahrheit war: wahrscheinlich im Hof und dann weggeräumt… Sollte er das sagen? War es richtig, so zu antworten?
Er dachte kurz und fasste das Problem dann fest am Schopf, und ließ es im Dunkel: „Die Polizei ist noch vor Ort und untersucht den Fall“, sagte er tonlos – neutral und verschlossen. Das war wohl am besten.
Der andere presste die Lippen zusammen, voll konzentriert – er hatte etwas zu klären. Ezra beobachtete nun ein hektisches Minenspiel. Schließlich stieß der Mann mit dem Halstuch Worte heraus: „Warhol und ich hatten früher unsere Probleme, aber bei diesem Projekt haben wir Frieden geschlossen, gemeinsam geht alles leichter“, tönte er.
Ezra war sehr daran interessiert, was das für Probleme waren. Auch hatte er nicht gewusst, dass das vor Ort ein gemeinsames „Projekt“ war… So konnte er aber nicht danach fragen. Nein, so plump waren keine Antworten zu bekommen…
Was für einen Kampf hatten die beiden wohl gefochten – sicher beruflich – zwei ganz verschiedene Männer waren aneinandergeraten. Worüber? Köhler war wohl auch Journalist? Denn Warhol hatte so gut wie nichts Anderes gemacht – Journalismus und große Aktionen, die oft weit in politische Systeme eingriffen. Eine Auseinandersetzung konnte wohl nur im Beruflichen abgegangen sein. Schauspieler und Journalist, war das möglich? Köhler sah mehr wie ein Schauspieler aus, aber Warhol hätte mit einem Schauspieler nur kurzfristig Berührung gehabt. Wenn die beiden mehr miteinander zu tun hatten, musste Köhler Journalist sein.
Ezra wählte seine Worte sorgfältig. „Aufdeckungsjournalismus hat seine Klippen…“, keine Frage, eine Feststellung – einfach – leicht, ein Lächeln, intensives Betrachten des Schlüsselbundes. Ezra schlüpfte so in die Rolle des devoten Butlers, eines gefälligen aber sehr gut informierten Hotelportiers, des Dieners, der alle Hintergründe kennt, verständnisvoll und wissend… Das hoffte er, auszustrahlen, um etwas Neues zu erfahren, knapp hinter der Türe in George Köhlers Zimmer.
Der gereizte Blick des goldenen Mannes traf ihn jetzt voll, gerade und hart. Der musste darauf eine Antwort geben, konnte diese Situation nicht ohne Erklärung auslaufen lassen. - Er stolperte ein wenig in den nächsten Satz hinein: „Es ist ja ganz normal, dass Journalisten sich gegenseitig genau beobachten. Einer muss wissen, wie der andere arbeitet. Man muss herausfinden, wo die Schweinereien versteckt sind. Anders gibt es keinen griffigen Journalismus.“ Es klang hektisch, laut und wie Rechtfertigung.
Ezra hatte nicht wirklich eine Erleuchtung, aber er schien richtig geraten zu haben. Herr Köhler hatte Herrn Warhol bei irgendetwas erwischt. Irgendeine „Schweinerei“ war aufgedeckt worden. Oder hatte er ihn nicht erwischt und die Schweinerei erfunden? Welche? Hatte das einen Bezug zur augenblicklichen Situation, war diese „Schweinerei“ einen Mord wert?
Herr Köhler machte nun die Türe auf – er wollte Ezra los sein. Und der ging.
Er begab sich zu Zimmer 3, um seine Mitteilung anzubringen. Es dauerte ziemlich lange, bis die Türe aufging. Die Frau hatte perfekt geordnete Haare und eine Sonnenbrille auf. Ezra sagte seinen Satz und wartete auf Reaktion. Aber da kam nichts. Schließlich fragte er noch, ob er helfen könnte…
„Nein“, sagte sie, und ihm blieb nichts übrig, als zu gehen.
Dann kam er zu Zimmer 8. Sie machte auf. Hut hatte sie noch keinen auf. „Ich muss Ihnen sagen, wir haben einen Toten hier im Hotel“, das ging inzwischen ziemlich flüssig.
„Oh“, sagte sie nach einer Weile nachdenklich, „das Ganze ist doch sehr ernst.“ Sie schaute versonnen auf den Stöckelschuh, den sie in der Hand hielt. Dann sagte sie über die Schulter: „Ich dachte nicht, dass es so ernst ist.“ Es klang wie ein kleiner Vorwurf. Dann sah sie Ezra mit ihren grünen Augen Hilfe suchend an: „Und was tun wir jetzt?“
„Die Polizei ist inzwischen im Haus und wird irgendwann bei Ihnen hier vorsprechen. Alles andere geht seinen gewohnten Gang. Soll ich Ihnen in diesem besonderen Fall etwas aufs Zimmer bringen?“ Das sei nicht notwendig, nein.
Wieso ernst? Was war unerwartet ernst? Ezra versuchte, ein Muster zu erkennen. Ein Mord? Aber ja, der ist ernst. Wer erwartet schon einen Mord? Und wer findet ihn dann heiter?
Er begab sich zu Zimmer 7 gegenüber. Der dunkle Mann öffnete nur ungern. Das war zu sehen. Seine Haltung drückte Widerwillen, Ablehnung aus. Sein schwarzes Buch hatte er in der Hand. Ob er es wohl beim Schlafen weglegte? Sicher nicht, der hatte das mit im Bett – wohl unter dem Kopfpolster.
„Ich muss Ihnen sagen, dass wir Polizei im Haus haben“, eröffnete Ezra.
Der Mann zog