George Sand

Geschichte meines Lebens


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Jeder, dem die Mutter erhalten bleibt und der sich ihrer Zärtlichkeit erfreuen kann! er ist zum Guten vorherbestimmt, denn ihm wird das Glück zu Theil, um seiner selbst willen geliebt zu werden.

      „Dein Brief, meine liebe Mutter, hat mein Tagewerk auf das Angenehmste beschlossen; ich erhielt denselben, als ich mit Lecomte — so heißt der Jäger, dessen Sekundant ich war — von einem Spaziergange am andern Ufer des Rheines zurückkam. Er hat mir das Schiff eines ihm befreundeten Kaufmanns gezeigt, das bei dem Eisgang nicht gelitten hat. Es ist sehr hübsch und die Gemächer sind von außerordentlicher Reinlichkeit. Wir haben es nach allen Richtungen besehen; es war ganz mit Waaren angefüllt; der Kaufmann und alle seine Leute waren beschäftigt, es für Holland auszurüsten. Aufseher und Arbeiter bewegten sich auf dem Verdeck. Nur wir, der Jäger und ich, waren unthätig inmitten dieser beschäftigten Menge. Ich hatte mich auf meinen Säbel gestützt, die Pfeife im ... und meine Augen starrten mit dummer Verwunderung in dies Treiben; dabei sagte ich zu mir selbst: „Ich bin in reichern und vornehmem Verhältnissen geboren, als diese großen Kaufleute, die Häuser in der Stadt, Schiffe im Hafen und Koffer voll Gold ihr Eigenthum nennen. Und ich, der Soldat der Republik, besitze nichts als meinen Säbel und meine Pfeife ... Aber Eis und Feuer, Diebe und Grenzwächter stören meinen Schlummer nicht ... wie viele Sorgen bleiben mir erspart! mag die Stadt zusammenstürzen, der Hafen und Alles, was darin ist, versinken — was mach' ich mir daraus! Arbeitet ihr nur für euch selbst, ihr Lumpenhunde, erwerbt euch Geld! wir, wir arbeiten für unser Vaterland und wir werden Ruhm erwerben — mein Beruf wiegt den eurigen auf.“

      „Und darauf ließ ich meinen Jäger am Bord, um mit seinem Freunde, dem Kaufmann, einige Flaschen zu leeren; ich bin dann zu meiner Stiftsdame gegangen — sie hatte mir versprochen, heftige Kopfschmerzen vorzuschützen, um sich vom Besuch des Theaters frei zu machen und um den ganzen Abend allein zu Hause bleiben zu können.“

       Neuntes Kapitel.

       Fortsetzung der Briefe. — Saint-Jean. — Garnisonsleben. — Das „kleine Haus.“ — Abreise von Köln

       Einunddreißigster Brief.

      Von meinem Vater an meine Großmutter.

      Den 21. Ventose Jahr VII (März 1799).

      „Coulaincourt ist endlich abgereist; ich habe ihm Gesundheit und glückliche Reise gewünscht, er hat mir durch tiefe Verbeugungen geantwortet, die noch kälter waren als gewöhnlich — und ich habe nicht geweint. Das ist doch wunderbar!

      „Der General sagt, daß ich mich nicht genug beschäftig; aber womit soll ich mich beschäftigen, wenn er mir nichts zu thun giebt? Ich habe nicht einmal ein Pferd zu reiten und unsere Zeit wird hier damit ausgefüllt, Besuche zu machen, in's Theater und zu Ball zu gehen. Wenn ich nicht die leidenschaftliche Liebe zur Musik besäße, würde ich mich zum Sterben langweilen, denn ich muß die Commandos und die Evolutionen der Escadron in meinem Zimmer studiren, wodurch ich nichts Bedeutendes lerne. Seitdem ich bei meinem Doktor bin, begleite ich dessen Tochter und auf meine Bitte hat auch die schöne Stiftsdame die Musik wieder aufgenommen, in der sie bewunderungswürdige Fertigkeit besitzt. Sie hat ein Klavier aus Mainz kommen lassen und spielt es mit viel Geschmack und Leichtigkeit. Dann spiele ich auch oft Violine und singe bei Madame Maret, der Frau des Oberkriegskommissärs in Köln. In ihrem Hause versammeln sich alle Franzosen, die zur guten Gesellschaft gehören, sogar der General besucht sie zuweilen.

      „Wir haben eine sehr schöne Revüe gehabt, die durch prachtvolles Wetter begünstigt wurde. Da haben sich die Federbüsche und Stickereien mal in vollem Glanze zeigen können. Die Musik war sehr gut und das Alles stieg mir zu Kopfe ... ich war glücklich! Indessen giebt dies Alles nur Luft zum Handwerk, aber es befriedigt mich nicht. Es ist freilich wahr, daß der Krieg wieder begonnen hat, wennicht gar schon erklärt ist — Er muß sein! ich hoffe auf das Signal meiner Beförderung. Diese Hoffnung darf Dich nicht erschrecken. Bedenke, daß in den verschiedenen Corps Ergänzungen nöthig sein werden, und daß endlich auch ich an die Reihe kommen muß. Kennst Du etwas Lächerlicheres als die Unterhandlungen von Rastadt? Man erweist sich von beiden Seiten große Höflichkeiten und man beschießt sich unter Freundschaftsbetheuerungen.

      „Was Du mir von der nächsten Ernte erzählst, ist nicht erfreulich. Aber in meiner optimistischen Weisheit habe ich mir ausgedacht, daß, wenn das Korn selten ist, es auch theuer sein muß, so daß Du nicht dabei verlierst. Es ist wahr, daß die Armen, auf die es zurückfällt, Dir wieder zufallen, und daß Du deren mehr als gewöhnlich zu ernähren haben wirst. So sehe ich denn wohl ein, daß mein Optimismus ein Irrthum ist, und daß sich ein gutes Herz nicht mit dem Reichthum verträgt.

      „Sage zu Saint-Jean, im Heere hätte sich das Gerücht verbreitet, daß alle Männer von vierzig bis fünfundfünfzig Jahren einberufen werden sollten, und daß ich suchen würde, ihn als Koch in das Regiment zu bringen, damit er keinem Feuer, als dem der Küche ausgesetzt wäre — denn ich glaube, daß ihm dasjenige der Batterien nicht zusagen würde.“

      Dieser Saint-Jean, beständiger Gegenstand der Neckereien meines Vaters, war der Kutscher des Hauses und der Gatte der Köchin Andelan. Dies alte Ehepaar ist bei uns gestorben, der Mann nur wenige Monate früher, als meine Großmutter, die es gar nicht erfahren hat, da ihre Lähmung erlaubte, es ihr zu verheimlichen. Saint-Jean war ein sehr drolliger Trunkenbold; sein Leben lang war er übermäßig feig und wurde besonders im Zustande der Trunkenheit von Gespenstern angefallen: von Georgeon, dem Teufel der Vallée-noire; von der weißen Windhündin, von dem großen Thiere, von allen Gestalten, die der Volksaberglaube unserer Gegend erschafft. Wenn er an Posttagen die Briefe von la Châtre holte, traf er zu dieser Reise von einer Meile die feierlichsten Vorbereitungen — und besonders im Winter, wenn er erst beim Anbruch der Nacht zurückkehren sollte. Sobald er sich Morgens durch einige Pinten Landwein ermuntert hatte, zog er ein Paar Stiefeln an, die wenigstens aus der Zeit der Fronde herstammten und hüllte sich in ein Gewand von unbeschreiblicher Form und Farbe. Er nannte dasselbe seine Roquemane — Gott mag wissen, wo er diesen Namen aufgefischt hatte. Dann umarmte er seine Frau; sie brachte respectvoll einen Stuhl herbei und mit seiner Hülfe schwang sich Saint Jean auf einen alten phlegmatischen Schimmel, der ihn in weniger als zwei kleinen Stunden (so war sein Ausdruck) zur Stadt trug. Hier vergaß er sich wieder zwei oder drei „kleine Stunden“ im Wirthshause, vor und nach den Besorgungen, und endlich, beim Einbruch der Dunkelheit, trat er den Rückweg an, den er selten ohne Hindernisse vollbrachte: bald begegnete ihm eine Räuberbande, die ihn durchprügelte; bald stürzte ihm ein ungeheurer Feuerball entgegen und sein „feuriges“ Roß rannte mit ihm querfeldein; bald legte sich der Teufel in irgend welcher Gestalt unter den Bauch seines Pferdes und verhinderte dessen Weitergehen; endlich setzte sich Satan wohl gar hinter ihm auf's Pferd und nahm ein so fürchterliches Gewicht an, daß das arme Thier nothwendiger Weise stürzen mußte. War er um neun Uhr Morgens von Nohant fortgeritten, so gelang es ihm wohl bis neun Uhr Abends zurückgekehrt zu sein, und während er dann langsam seine Mappe öffnete, um meiner Großmutter Briefe und Zeitungen zu überreichen, erzählte er uns mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt die Geschichte seiner Visionen.

      Eines Tages bestand er ein drolliges Abenteuer, dessen er sich eben nicht zu rühmen pflegte. Es war ein nebliger, düstrer Abend und er war auf seinem Heimwege in die tiefen Betrachtungen versunken, welche der Wein verursacht. Plötzlich sah er sich zwei bewaffneten Reitern gegenüber, die jedenfalls Räuber sein mußten. Zur Flucht war nicht mehr Zeit, und nun überfiel ihn plötzlich eine jener muthigen Regungen, die allein durch Furcht hervorgebracht werden. Er hält sein Pferd an, sucht die Räuber zu schrecken, indem er sich selbst zum Räuber macht und schreit mit fürchterlicher Stimme: Halt, meine Herren! das Geld oder das Leben!

      Die Reiter erstaunen über solche Kühnheit, glauben von Banditen umgeben zu sein, ziehen den Säbel und sind drauf und dran, den armen Saint-Jean übel zuzurichten, als sie ihn plötzlich erkennen und in lautes Gelächter ausbrechen. Sie verließen ihn übrigens nicht, ohne ihm eine kleine Strafrede zu halten und ohne ihn mit dem Gefängniß zu bedrohen, wenn er dergleichen noch einmal versuchte. Er hatte die Gendarmerie