George Sand

Geschichte meines Lebens


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komme in's Quartier und begebe mich zum Quartiermeister Boursier, der mich mit seiner gewöhnlichen Lustigkeit und Freimüthigkeit empfängt und umarmt. Er sagt mir, daß die Briefe des Generals noch nicht angelangt sind, aber daß ich mich ganz dazu eigne, mich selbst vorzustellen und zu empfehlen, und darauf führt er mich zum Kommandanten des Depots, der Dupré heißt. Er ist ein Offizier des alten Régime und erinnert mich an unsern Freund la Dominière. Ich sage ihm, wer ich bin und woher ich komme; er umarmt mich ebenfalls, ladet mich zum Abendessen ein, erlaubt mir nicht in der Kaserne zu schlafen und sagt: er hoffe, ich würde mit den Offizieren leben. Und so esse ich denn auch wirklich alle Tage in ihrer und des Kommandanten Gesellschaft.

      Meine Tage bringe ich bei dem Quartiermeister zu und schreibe Dir jetzt in seinem Büreau. An unserm Tische haben wir einen andern jungen Rekruten, der so wie ich, gemeiner Jäger ist; er gehört zu einer der ersten Familien in Lüttich; er spielt die Geige wie Gumino oder Maëstrino, ist überdies klug und liebenswürdig, und der Kommandant, der selbst die Flöte spielt und für Musik schwärmt, liebt ihn sehr, denn er schätzt Talente und gute Erziehung. Ich glaube, daß diese Art von Auszeichnung am meisten zur Vernichtung der Privilegien beitragen wird, die mit vollem Rechte abgeschafft sind und daß die Gleichheit, die unsere Philosophen erträumen, erst dann möglich wird, wenn alle Menschen so viel Bildung erhalten haben, daß sie für einander umgänglich und angenehm sind. Du erschrakst bei dem Gedanken mich als Soldat zu sehen, weil Du meintest, daß ich mich gezwungen sehen würde mit ungebildeten Leuten zu leben.

      „Aber glaube nur, es giebt nicht so viele ungebildete Leute, als man sich gewöhnlich denkt; es kommt viel auf die Anlagen an und die beste Erziehung kann oft die von Natur rohen und ungefälligen Menschen nicht umgestalten. Ich glaube sogar, daß der äußere Anstrich von Politur solchen Charakteren nur dazu dient noch verletzender zu werden, weil sie nicht auf die Entschuldigung fehlender Erziehung Anspruch machen können. So würde ich lieber mit einigen Rekruten zusammenleben, die eben vom Pfluge kommen, als mit Herrn von Caulaincourt und das Benehmen unserer Berry'schen Bauern gefällt mir besser, als das gewisser deutscher Freiherrn. Die Albernheit ist überall unerträglich, der Gutmüthigkeit dagegen kann man Alles verzeihen. Aber ich gestehe, daß ich mich im Umgange mit ungebildeten Menschen nicht lange wohl fühle. Der Gedankenmangel bei Anderen erweckt in mir ein solches Verlangen darnach, daß ich krank davon werden könnte. In dieser Beziehung hast Du mich verwöhnt und wenn ich nicht das Rettungsmittel der Musik gehabt hätte, die mich immer so entzückt, daß ich Alles darüber vergesse, so wäre ich in einigen unvermeidlichen Gesellschaften vor Langerweile gestorben. Was nun Deinen Kummer betrifft, so siehst Du wohl, daß er nicht gegründet ist und daß ich überall liebenswürdige Menschen finde, die mir freundlich entgegenkommen und die mit Deinem Soldaten auf dem vertraulichsten Fuße leben. Der Name eines Enkels vom Marschall von Sachsen, dessen ich mich nie rühme, unter welchem ich aber überall angekündigt und empfohlen werde, ist sicherlich zu meinen Gunsten und ebnet meinen Weg. Er legt mir aber auch eine gewisse Verantwortlichkeit auf und wäre ich ein Tropf oder ein unverschämter Mensch, so würde mich meine Geburt nicht entschuldigen, sondern mich noch unausstehlicher und verdammungswürdiger erscheinen lassen.

      „Unser Werth liegt also in uns selbst, oder vielmehr in den Grundsätzen, welche uns die Erziehung gegeben hat. Und wenn ich etwas werth bin, wenn ich einige Zuneigung einflöße, so kommt es daher, daß Du, meine gute Mutter, Dir so viel Mühe gegeben hast, damit ich Deiner würdig sein möchte.

      „Füge nun noch hinzu, daß mein Glücksstern mich unter die liebenswürdigsten Menschen geführt hat; — das Dragoner-Regiment Schomberg zum Beispiel, das jetzt auch hier ist, gleicht dem meinigen nicht im Geringsten. Seine Offiziere sind sehr hochmüthig und halten auch die gebildetsten jungen Leute in gewisser Entfernung, sobald sie nicht Offiziersrang haben. Bei uns findet gerade das Gegentheil statt; wenn wir unseren Offizieren gefallen, sind sie unsere Kameraden und Genossen; wir gehen Arm in Arm mit ihnen; sie trinken mit uns Bier — und sobald sie und wir in unserm Berufe thätig sind, finden sie uns um so gehorsamer und ehrfurchtsvoller.

      .„Mein Brigadier und mein Wachtmeister erweisen mir hundert Aufmerksamkeiten und hätscheln mich, als ob ich ihr Vorgesetzter wäre — obgleich gerade das Gegentheil stattfindet. Sie haben das Recht mir zu befehlen und mich in Arrest zu schicken und doch bedienen sie mich, als ob sie meine Reitknechte wären. Bei den Uebungen habe ich immer das beste Pferd und diese guten Leute führen es mir gezäumt und gesattelt zu, es fehlt nicht viel, so hielten sie mir auch den Steigbügel. Sobald das Exerzieren vorüber ist, nehmen sie mir das Pferd wieder ab und wollen nicht, daß ich mich weiter darum kümmere; dabei sind sie so drollig, daß ich mit ihnen lache wie ein Buckliger. Mein Fourier ist ein Mann von strengen Erziehungsgrundsätzen, der bei seinen Rekruten den Deschartres spielt. Es sind gute Bauerssöhne, denen er mit Gewalt feine Sitten beibringen will. Er erlaubt ihnen nicht mit Steinen Beilke zu spielen, „weil das zu sehr nach dem Dorfe schmeckt;“ auch bekümmert er sich um ihre Sprache. Gestern kam Einer und meldete: „die Pferde sind alle mitsammen gesattelt.“ — „Wie,“ sagte er mit zornigem Tone, „habe ich Euch nicht hundertmal gesagt, daß es nicht mitsammen heißt? Man sagt ganz einfach: Fourier, wir sein fertig! übrigens thue ich schonst selber nachsehen,“ und mit dieser guten Lehre ging er von dannen.“

      Thionville, den 20. Messidor. Jahr VII. (Juli 1799).

      „Wenn ich lesen könnte, sagt Montauciel, so wäre ich seit zehn Jahren Brigadier. Aber ich, meine gute Mutter, der ich lesen und schreiben kann, bin auf Befehl des Generals zu dieser Würde befördert; und so bin ich thätig in meinem Berufe an der Spitze meiner Compagnie, die sich mit gezogenem Säbel aufstellen mußte, um zu vernehmen, daß sie mir in Allem, was ich befehlen würde, zu gehorchen hätte. Seit diesem ruhmvollen Tage trage ich zwei Tressen auf meinem Aermel und bin Anführer einer Rotte, das heißt von vierundzwanzig Mann, deren Haltung und Frisur ich zu überwachen habe. Dafür habe ich nun aber auch keinen Augenblick für mich; von 6 Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends bleibt mir nicht Zeit zum Niesen.

      „Unsere Trennung ist schmerzlich, aber ich war es mir selber schuldig eine Anstrengung zu machen, um mich diesem an Freuden reichen Leben zu entreißen, in welchem ich durch meine Sorglosigkeit und meine natürliche Trägheit ganz zum Egoisten geworden wäre. Du liebtest mich so sehr, daß Du es vielleicht nicht bemerkt hättest — und während ich nur das Glück hinnahm, das Deine Güte mir bereitet hatte, glaubtest Du, daß Dein Glück mein Werk wäre, und so wäre ich undankbar geworden, ohne es zu wissen und zu bemerken. Aber ich mußte meiner Nichtigkeit, durch mächtige äußere Verhältnisse entrissen werden — worin gewiß etwas Fatalistisches liegt. Dies Verhängniß, das schwache und furchtsame Seelen niederschlägt, ist das Heil Derer, die sich ihm fügen. Christine von Schweden hatte den Wahlspruch: “Fata viam inveniunt“ (das Schicksal bereitet mir den Weg) — ich ziehe Rabelais' Motto vor: „Ducunt volentem fata, nolentum trahunt!“ (das Schicksal leitet die Willigen und reißt die Widerstrebenden fort). Du sollst sehen, daß ich meinen Beruf gefunden habe. In Revolutionszeiten ist's immer das Schwert, das die Schwierigkeiten löst, und wir sind jetzt im Kampfe mit den Feinden, um unsere geistigen Eroberungen zu vertheidigen. Unsere Säbel werden Recht behalten und Deine Freunde, liebe Mutter, Voltaire und Rousseau sind jetzt beweinenswerth. Wer hatte meinem Vater vorausgesagt, als er mit Jean Jacques plauderte, daß er einen Sohn haben würde, der weder General-Pächter, noch General-Einnehmer, weder reich, noch schöngeistig, nicht einmal sehr philosophisch sein, aber halb gezwungen, halb freiwillig als Soldat im Dienst einer Republik stehen würde und daß diese Republik Frankreich wäre? So werden die Ideen zu Thatsachen und führen weiter, als man vermuthet.

      „Leb' wohl, meine liebe Mutter; nach diesen schönen Betrachtungen werde ich den Pferden Hafer geben oder das entfernen lassen, was er hervorbringt.

      Thionville, den 13. Fructidor, Jahr VII. (Sept. 99).

      „Noch immer in Thionville, meine liebe Mutter! von vier Uhr Morgens bis acht Uhr Abends findest Du mich zu Fuße und zu Pferd exerzierend und in meiner