George Sand

Geschichte meines Lebens


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Dupré oder Deinem Freunde Hardy etwas zuzustellen; da sie Dir meine Briefe geschickt haben, können sie Dir vielleicht auch das Geld zugehen lassen. Inzwischen bist Du aber in einem verödeten Lande ohne einen Sou in der Tasche! Wenn Du Dir vom Regimentszahlmeister oder vom Brigadechef etwas vorschießen lassen könntest, würde ich für die Rückzahlung Sorge tragen. Deine Sorglosigkeit in dieser Beziehung peinigt mich. Kartoffeln und Branntwein, welche Nahrung nach solchen Anstrengungen, nach solchen bedeutenden Märschen — und dazu ein fürchterliches Wetter und ein Nachtlager auf überschwemmten Wiesen! Mein armes Kind, welch ein Zustand, welch ein Beruf! In Friedenszeiten werden ja Pferde und Hunde besser versorgt, als die Menschen im Kriege. Und Du widerstehst diesen Mühen! Du vergißst sie, um einem Unglücklichen, den das Schicksal in Deine Nähe geführt hat, das Leben zu retten. Deine gute That hat mich tief gerührt; Dein Mitleid, Deine Beredtsamkeit haben auch die rohen Menschen erweicht, die einem armen Verwundeten den Garaus machen wollten; Du hast ihn dann noch mit Deinen Armen, mit Deinen erschöpften Kräften unterstützt und hast darauf geschlafen, in Deinen Mantel gehüllt, mit größerer Befriedigung, als nach allen Freuden, die meine Sorgfalt Dir bereiten wollte! Nur die Tugend, mein geliebtes Kind, kann dies Entzücken gewähren. Unglücklich Jeder, der es nicht kennt! Aber Du hast es in Deinem Herzen gefunden, denn zu dieser guten Regung hat Dich weder Prahlerei, noch allgemeine Beachtung, noch Nachahmungssucht getrieben. Gott allein hat Dich gesehen! Deine Mutter allein hat Deinen Bericht empfangen und die Liebe zum Guten hat Dich geleitet. Du redest immer von Deinem guten Stern: sei versichert, daß die guten Thaten glückbringend sind, und daß bei Gott keine Wohlthat verloren geht.

      „Da es nun einmal so sein muß, glaube ich, daß Du das beste Theil erwählt hast; und die ungehofften Siege beweisen es mir — Du willst dienen; es ist Dein Wunsch, Deine Bestimmung und ich weiß, daß Du unter dieser Regierung schneller vorwärts kommen kannst, als Du früher zu hoffen gehabt hättest. Die Machthaber von heute werden sich freuen, den letzten Blutsverwandten eines Helden der öffentlichen Sache dienstbar zu machen. Vom Adel ist hier nicht die Rede, sondern von der öffentlichen Dankbarkeit; ich bin nicht ungerecht, ich weiß sehr wohl, daß die sogenannten „geringen Leute“ dieser Dankbarkeit weit fähiger sind, als es die Hochgestellten früher waren. Ich habe das im Laufe meines Lebens beständig erfahren. Die Erstern hatten in dem Verkehr mit mir nur die Erinnerung eines großen Mannes vor Augen, dessen Verdienste um das Vaterland sie schätzten. Die Andern, die auch jede besondere Wohlthat leicht vergessen, hätten aus Neid oder Undankbarkeit seinen Ruhm verlöschen mögen. Sie sahen, daß ich arm war, ohne Einfluß, ohne Verwandte und waren nicht davon gerührt. Die Kronprinzessin sogar, die ihre Heirath meinem Vater verdankte, war unzufrieden, daß ich seinen Namen trug und hätte mich hindern mögen, ihn zu führen — so ungerecht und undankbar macht uns die Eitelkeit!

      „Aber Du, mein Sohn, kannst einen Weg verfolgen, auf welchem Dir solche Hindernisse nicht begegnen. Du besitzest Energie, Muth und Tugend; Du hast nichts wieder auszugleichen, Du hast keine verdächtige Verwandtschaft. Deine ersten Schritte sind dem öffentlichen Leben geweiht und der Weg ist Dir vorgezeichnet. So magst Du ihn denn durchlaufen, mein Sohn, ernte die Lorbeern, bringe sie nach Nohant; ich werde sie an mein Herz legen und mit Thränen benetzen — und diese Thränen werden nicht so bitter sein, als die ich seit vierzehn Tagen geweint habe.

      „Du sagst, daß ich Dich im Januar an mein Herz drücken werde. O Gott! das ist in zwei Monaten! ich kann es noch nicht glauben, aber ich will den einzigen Gegenstand meiner Sorge daraus machen. Ich habe ein Recht darauf! — drei Schlachten! wie laut werde ich davon sprechen. Alle Welt soll es erfahren, daß Du den Feind gesehen, und daß Du Ihn besiegt hast. In la Châtre wird man Dich vergöttern. Meine Betrübniß fand allgemeine Theilnahme, und all Deine Sendung ankam, war es für Alle eine Freude; Saint-Jean trug Deinen Brief im Triumph durch die Straßen und wurde bei jedem Schritte angehalten. Du überwogst Bonaparte ... in la Châtre!

      „Meinen Brief hast Du also am Ufer eines Schweizer-Sees gelesen und er hat, wie Du sagst, den Glanz Deines schönsten Tages vervollständigt? Liebenswürdiges Kind! wie dankbar ist Dir mein Herz für das innige Gefühl! Wie lieb bist Du mir und wie beneide ich den Augenblick der Seligkeit, den ich nicht mit Dir theilen konnte. Wie glücklich hätte es mich gemacht, Dich so zu sehen, wie Du Dich ganz Deinen süßen Erinnerungen hingabst, ganz Deiner Mutter gehörtest. Wie wohl habe ich gethan, daß ich alles Glück, alle Freude meines Lebens, alle Liebe meiner Seele in Dir vereinigt habe. All' mein Gefühl wird nicht genügen, um Dich willkommen zu heißen, Dich zu umarmen, Dich an mein Herz zu drücken — — ich werde sterben vor Freude.

      „Benachrichtige mich doch schnell, wohin ich Dir Geld schicken kann. Es ist wohl nicht möglich, es Dir in das Dorf Weinfelden zu senden, denn Du wirst dort nicht bleiben. Wenn Dein Regiment sich irgendwo festsetzte, würde ich Dir mit jedem Courier zuschicken, was Du verlangtest. Inzwischen erhältst Du hoffentlich die vierzig Thaler, die ich heute an Herrn Dupré abgehen lasse. Es wäre fatal, wenn sie verloren gingen; das Geld ist jetzt so rar, daß sechs Louisd'or ein wahrer Schatz sind. Wo Herr von Harville sich aufhält, weiß ich nicht; ich will ihm aber schleunig schreiben, um seine Güte für Dich in Anspruch zu nehmen und werde meinen Brief nach Paris, rue neuve-des-Capucins, Nr. 531 adressiren.

      „Lebe wohl, mein Kind, schone Dein Leben — das meinige hängt damit zusammen. Schlafe nicht mehr im Wasser! — ach, ich fühle jede Mühseligkeit, die Du erduldest. Dich hat der erste Kanonenschuß nicht erschüttert? Mein Gott, mir zerreißt er das Herz! Ich bin überzeugt, daß er seine Bedeutung den Müttern verdankt. Aber Du hast gelacht, als Du die armen Russen in die Berge flüchten sahest; das Getöse des Kampfes hat Dich erfreut, wie Dich schon als Kind der Lärm erfreute. Doch was hast Du Abends beim Scheine der großen Feuer gesehen? Wenn Du Dich auch bemühst, einen Schleier über diese Schrecknisse zu werfen, meine Einbildungskraft erhebt ihn wieder und ich schaudre so wie Du.

      „Jetzt wirst Du Dich ausruhen? Ach, wie ich das wünsche! Aber auf jeden Fall versäume nicht, mir das einzige Wort zu schreiben: ich lebe. Das ist Alles, was Deine arme Mutter verlangt. Meine freudige Trunkenheit über den Band, den Du mir geschickt hast, wird sich — ich weiß es — nur zu bald in neuen Sorgen verlieren und wenn ich wieder sechs Wochen verleben soll, ohne von Dir zu hören, werden meine Qualen auf's Neue beginnen. Ich schließe meinen Brief mit den Worten des Deinigen: Wie glücklich werde ich sein, wenn ich Dich diesen Winter wiedersehe!

      „Wenn ich Dich sehe, in meiner Stube, an meinem Feuer — bei allen Leckereien, die wir zubereiten, sage ich nur beständig, daß sie für Dich sind. Auch Deine alte Wärterin sagt: „Das ist für Moritz, ich weiß, was er gern hat.“ Deschartres macht schlechten Wein, den er für ausgezeichnet hält und er behauptet, Du würdest ihn gut finden; er weint, wenn er von Dir redet. Als ich zu Saint-Jean sagte, daß Du in drei Schlachten gewesen wärest, schrie er laut auf und rief: „Ach! ist der nicht tapfer, der!“ Mit einem Worte, der Gedanke an Dein Kommen erweckt hier eine allgemeine Trunkenheit. Ich umarme Dich, mein Kind, ich liebe Dich mehr, als mein Leben. Meine Gesundheit bleibt sich immer gleich; ich trinke den Brunnen von Vichy, der mir zuweilen Erleichterung gewährt. Bis zu Deiner Rückkehr möchte ich hergestellt sein, denn wenn Du bei mir bist, will ich über nichts zu klagen haben. In den Generalstab mußt Du jedenfalls eingereiht werden; ich will es durchaus! Unsere arme Freundin in der rue de l'Arcade ist furchtbar unglücklich. Ihr ältester Sohn ist noch immer in Ketten und Banden; der andere bleibt verschwunden; sie erliegt ihrem Kummer und ich wage nicht, ihr von Dir zu erzählen. Der dicke Pfarrer Gallepin ist gestorben; ein Koffer, der von einem Wagen auf ihn fiel, hat ihn erschlagen. Er kam zum vierten Male in unsere Gegend, wurde immer durch Huissiers verfolgt und hatte überall Schulden hinterlassen.

      „Das „kleine Haus“ befindet sich wohl. Er ist ungeheuer groß und hat ein reizendes Lächeln. Ich bekümmere mich täglich um ihn und er kennt mich genau. Du wirft ihn sehen. Lebe wohl, lebe wohl! mein Brief ist der zweite Theil des Deinigen. Aber ich kann nicht mehr sehen ... Reitest Du das Pferd, das Du in ... geholt hast? ist es gut und schön? Jetzt wird man mir noch mein Füllen nehmen, und bald werde ich auf meinen Esel beschränkt sein ... Eben wird mir Licht gebracht und so kann ich noch einige Worte hinzufügen. Ich werde genöthigt sein gewissen Leuten die Hast zu verstecken, mit welcher Du Dich in diesen Kampf gestürzt hast, denn Du hättest Pontgibault, Andrezel, Termont und Anderen gegenüberstehen und gezwungen sein können,