George Sand

Geschichte meines Lebens


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vergiß mich nicht, und sprich mir Muth ein. Das ist sehr nöthig, denn ich habe einen Abschied zu nehmen, der mir sehr schwer fällt. Sie weiß noch nichts von meiner Abreise; aber heute Abend muß ich sie ihr verkündigen und dann werden Thränen die Stelle der Freude vertreten. Ich werde im Schmerze an Dich denken, wie ich im Entzücken an Dich gedacht habe. Mit dem nächsten Courier werde ich Dir ausführlicher berichten; vor dem Abgange des heutigen muß ich, auf Wunsch des Generals, noch an Beurnoville schreiben.

      „Alle Deine Maßregeln für das kleine Haus sind vortrefflich und liebenswürdig. Du schonst meine Eigenliebe, die nicht empfindlich ist, Du kannst es glauben. Ich mache mir über dies Alles viel mehr Vorwürfe, als Du gegen mich aussprichst; aber Du beschützest die Schwachheit, Du verhütest das Unglück, wie gut Du bist, meine Mutter, und wie liebe ich Dich!“

      Köln, 26. Prairial, Jahr VII. (Juni 99).

      „Du bist traurig, meine gute Mutter, ich bin es auch und zwar über Deinen Schmerz; denn was mich betrifft, ich habe Muth und habe mir immer gesagt, daß ich über die Liebe meine Pflicht nicht vergessen dürfte. Aber gegen Deine Leiden habe ich keine Stärke! ich sehe, daß Dein Dasein durch unaufhörliche und übermäßige Besorgniß vergiftet ist. Mein Gott! Du bereitest Dir selbst die schrecklichsten Wahnbilder. Oeffne doch die Augen, liebe Mutter, und überzeuge Dich, daß das Alles nicht so düster ist. Was geschieht denn auch? Ich reise nach Thionville, einer Stadt im Innern des Landes, wo es so ruhig wie möglich ist; die Zuneigung und der Schutz meines Generals folgen mir und er empfiehlt mich dem Eskadron-Chef. Ich kann mich von dort nur auf seinen Befehl entfernen und habe also gar nicht die Freiheit jene Zufälle herauszufordern, welche Du für mich fürchtest [Er betrog sie und mußte sie betrügen.]. Könnte ich Dich doch auf einige Zeit in einen Husaren verwandeln, damit Du sähest, wie leicht das ist, und welche Fülle von Sorglosigkeit dieser Kleidung angehört. Weißt Du, wie ich Köln verlassen werde? In Thränen vielleicht? Nein, die muß ich verschlucken, um mich in den Lärm eines Festes zu stürzen. Als ich den Freunden meine nahe Abreise anzeigte, riefen sie Alle: „Wir wollen ihm ein Ehrengeleit geben; in seinem ersten Quartier wollen wir uns betrinken, um uns im Rausche von einander zu trennen, denn mit vollem Bewußtsein fiele uns das zu schwer.“ Um dies in's Werk zu setzen, werden drei Kabriolets, zwei andere Wagen und fünf Sattelpferde ausgerüstet, die mich nach Bonn begleiten sollen. Ich werde nicht allein durch unsere Tischgesellschaft escortirt, auch ein junger Offizier der leichten Infanterie, ein liebenswürdiger Pariser, der eine ausgezeichnete Erziehung genossen hat. Maulnoir, die Sekretaire des Generals, ein Magazin-Aufseher und ein junger Adjutant des Platz-Kommandanten begleiten uns; letzterer wird der fröhlichen Gesellschaft einiges Ansehen verleihen und wird sie bei dem Lärm, den sie zu machen gedenkt, vor Arretirungen sichern. Es ist doch wirklich sehr angenehm beliebt zu sein, und Du siehst wohl, daß Reichthum und Rang nichts dazu thun. Die Zuneigung beachtet so etwas nicht, besonders in der Jugend, welche die Zeit wirklicher Gleichheit und brüderlicher Freundschaft ist. „Bis jetzt beläuft sich meine Gesellschaft auf etwa zwanzig Personen; aber mein Gefolge vermehrt sich mit jedem Augenblick durch neue Gäste. Diese Stadt ist der Vereinigungspunkt aller Beamten des linken Flügels der Donau-Armee, unter denen sich eine Menge liebenswürdiger junger Leute befinden. Ich bin mit Allen bekannt. Wir schwimmen miteinander, wir fechten, wir spielen Ball, und da ich der Gefährte ihrer Freuden bin, wollen sie nicht, daß ich sie ohne feierliches Lebewohl verlasse. Der Postmeister sogar, ein junger, liebenswürdiger Mann, will sich dabei betheiligen und uns umsonst Wagen und Kabriolets liefern. Ich werde würdevoll zu Pferde sitzen — und wenn Alexander einen ruhmvollen Einzug in Babylon hielt, so glaube ich, daß ich in Bonn einen fröhlichen halten werde.“

       Zehntes Kapitel.

       Fortsetzung der Briefe. — Das Geleit. — Thionville. — Die Ankunft beim Depot. — Wohlwollen der Offiziere. — Der Fourier als Lehrer feiner Sitten. — Der erste Grad. — Eine fromme Lüge.

       Neununddreißigster Brief.

      2. Messidor. Jahr VII. (Juni 99).

      „Meine liebe Mutter! ich habe Köln verlassen, wie ich es Dir vorhergesagt hatte, in Begleitung von Wagen und Pferden, die eine lärmende, ausgelassene Jugend trugen. Der Zug wurde durch Maulnoir und Leroy, Adjutanten des Generals angeführt. Ich ritt zwischen ihnen, Patrontasche und Karabiner auf dem Rücken und mein ungarisches Roß war nach Husarenweise aufgezäumt. Wo wir vorüberkamen, traten die Wachen unter's Gewehr und wer diese Federbüsche im Winde wehen, diese Wagen dahinrollen sah, dachte gewiß nicht, daß es sich um das Geleit eines gewöhnlichen Soldaten handelte.

      „Statt nach Bonn zu gehen, wie wir uns erst vorgenommen hatten, verließen wir die Straße und wendeten uns nach Brühl, einem prächtigen Schlosse, das früher die gewöhnliche Residenz des Kurfürsten war. Dieser Ort war zur Feier des Abschiedes viel passender als Bonn. Erst frühstückte die lustige Bande und dann wurde das Schloß besehen. Es ist eine Nachahmung von Versailles; in den verfallenden Gemächern befinden sich noch schöne, mit Fresken verzierte Plafonds; die Treppe ist breit und hell, wird durch Kariatiden getragen und ist mit Bas-Reliefs geschmückt. Aber trotz aller Pracht trägt das Ganze den unauslöschlichen Stempel des schlechten deutschen Geschmacks. Wenn sie uns copiren, können sie das Uebertreiben nicht lassen, und beschränken sie sich darauf nur nachzuahmen, so wird es eine Nachäfferei. Ich habe mich lange mit dem Jägeroffizier, der so wie ich für die Künste schwärmt, in dem Palast herumgetrieben.

      „Nachher haben wir uns mit der Gesellschaft im Parke vereinigt und nachdem dieser in allen Richtungen durchstreift war, entschlossen wir uns Ball zu schlagen. Wir waren auf einem schönen Rasenplatze von einer prächtigen Hecke umgeben und das Wetter war köstlich. Jeder warf den Rock ab, streckte die Nase in die Luft, verfolgte den Ballon mit den Augen und mühte sich ab nach Herzenslust, bis sich, am Ende einer dunkeln Allee, die Vorbereitungen zum Bankett sehen ließen. Nun wurde das Spiel verlassen. — Alle liefen so schnell sie konnten dem Tische zu und die kleinen Pastetchen wurden verschlungen, noch ehe sie aufgetragen werden konnten. Nach dem Essen, das von Zärtlichkeiten und Thorheiten begleitet war, mußte ich in die Rinde eines großen Baumes, der unsere Mahlzeit beschattet hatte, ein Jagdhorn, einen Säbel und die Anfangsbuchstaben meines Namens einschneiden. Kaum war ich damit fertig, als die Andern ihre Namen ringsumher einschnitten mit der Devise:, unsere Sehnsucht folgt ihm.“ Dann wurde ein Kreis um den Baum gebildet, man begoß ihn mit Wein, man trank in der Runde aus meinem Tschako, den man „die Schale der Freundschaft“ nannte. Als es spät wurde, führten sie mir mein Pferd zu, umarmten mich, ehe ich dasselbe bestieg, umarmten mich abermals, als ich darauf saß, und so verließen wir uns mit thränenden Augen. Ich ritt schnell von dannen und hatte die Kameraden bald aus den Augen verloren.

      „Und nun bin ich allein und reite traurig vorwärts auf der Straße nach Bonn; habe mit einem Schlage meine Freunde und meine Geliebte verloren und finde das Ende des Tages ebenso düster, als sein Anfang glänzend gewesen war. Sicherlich ist dies Abschiednehmen in der Betäubung, der Lustigkeit das Schmerzlichste von Allem. Man waffnet sich nicht mit Muth, die Betrachtungen, die uns Kraft und Muth einflößen könnten, werden zurückgedrängt; man setzt sich zu einem Gastmahl nieder, das ein Bild dauernder Vereinigung ist — und plötzlich findet man sich allein und niedergeschlagen, wie beim Erwachen aus einem Traume ...

      „Lebe wohl, meine geliebte Mutter, ich umarme Dich und setze meine Reise fort.“

      Thionville, den 14. Mezzidor, Jahr VII. (Juli 1799).

      „Oh, meine gute Mutter, höre doch endlich und für immer auf Dich zu ängstigen — ich bin ja glücklich! Hier wie überall gestaltet sich für mich Alles nach Wunsch. Als ich die Stadt betrat, fing ich damit an, in den Laden eines Friseurs zu fallen. Mein Pferd lag vor der Thür und ich lag im Hause, hatte mir aber, wie gewöhnlich, nicht den geringsten Schaden gethan und stand noch schneller