George Sand

Geschichte meines Lebens


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Meilen. Wir haben sie ohne Aufenthalt bei strömendem Regen zurückgelegt, und als wir ankamen, mußten wir auf überschwemmten Wiesen bivouakiren. Aber übermäßige Ermüdung läßt überall Schlaf finden. Wir kamen während des Kampfes an und Abends waren wir Herren der Stadt. Die Feindseligkeiten scheinen sich dem Ende zu nähern; noch zwanzigtägigem Bivouakiren ruhen wir jetzt in dem Dorfe, aus welchem ich Dir schreibe; dies ist der erste Ort, wo mir das möglich war.

      „Das Ziel, das man sich gesteckt hatte, ist nun erfüllt, die Schweiz ist geräumt und wir werden uns jetzt erholen. Aengstige Dich nun nicht um mich, meine liebe Mutter; ich werde Dir so oft als möglich Nachricht von mir geben — und vor Allem sei nicht böse, daß ich Dich erst heute von meinen Schritten benachrichtige. Wenn ich Dir gesagt hätte, daß ich mich zur Armee begeben wollte, hättest Du nicht eingewilligt und hättest die ganze Zeit in verzehrender Unruhe gelebt. Der Krieg ist nur ein Spiel; ich weiß nicht, warum Du ein Ungeheuer daraus machst — es ist wirklich nur eine Kleinigkeit! Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß es mich sehr amüsirt hat, zu sehen, wie die Russen beim Angriff des Glacis die Berge erkletterten; sie bewiesen dabei eine große Leichtigkeit. Die Kopfbedeckungen ihrer Grenadiere gleichen denen der Soldaten im Stück: „die Caravane“. Ihre Reiter, unter denen sich viele Tataren befinden, tragen faltige Hosen, wie Othello, einen kleinen Dolman und eine Mütze in Mörserform; ich schicke Dir eine Skizze davon. Im Kanton Glarus befanden sich an sechstausend dieser Reiter und ihre Pferde, die größtentheils keine Hufeisen haben, sind fast alle am Wege liegen geblieben; die Anstrengung hat sie zu Grunde gerichtet.

      „In diesem Augenblicke erhalte ich zwei Briefe von Dir, vom 5. und vom 8. Fructidor. Wie viel Freude bringen sie und wie wohl thun sie mir, meine gute Mutter! Ich habe auch noch einen vom 25. Thermidor erhalten. Er kam vor sechs Tagen, als wir am Wallenstädter See bivouakirten und ich habe ihn gelesen, während ich auf einem Felsen saß, der in diesen schönen See hineinragt. Es war köstliches Wetter; ich hatte die entzückendste Aussicht vor mir, in mir das Gefühl, meine Pflicht gethan zu haben, indem ich meinem Vaterlande diente, und in meinen Händen war ein Brief von Dir — das war einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens!

      „Was zum Teufel meint Herr von Chabrillant mit den Diensten, die ich den Gargiltese geleistet haben soll? Ich habe die Leute seit länger als einem Jahre nicht gesehen. Man erfindet doch Geschichten, in denen kein Sinn und Verstand ist.

      „Du fragst nach dem Brigadechef. Er heißt Ordener und ist ein Elsasser von vierzig Jahren; er ist groß, hager, sehr ernsthaft, fürchterlich im Gefecht, ausgezeichnet als Anführer und sehr unterrichtet in seinem Fache, in Geschichte und Geographie. Beim ersten Blick erinnert er an Robert, den Räuberhauptmann; aber auf Beurnoville's Empfehlung hat er mich sehr gut aufgenommen.

      „Ich habe, wie ich Dir schon sagte, die 150 Franes, die Du mir schicktest, in Thionville erhalten und vor der Abreise habe ich Alles bezahlt, bis auf die Weinrechnung von zwei Monaten, die dreißig Francs beträgt. Ich muß dies an Hardy bezahlen, der die Auslage für mich gemacht hat; Du siehst übrigens, daß meine Freigebigkeit gegen die Kameraden mich nicht zu Grunde gerichtet hat. Ich bin freilich ohne einen Sou abgereist, aber das war mir lieber, als Schulden zu hinterlassen. Auch muß ich gestehen, daß ich im Kriege keinen Reichthum erworben habe, denn seit vier Monaten ist die Löhnung nicht ausgezahlt. Aber wenn ich Dich auch bitten wollte, mir Geld zu schicken, wüßte ich nicht wohin. Doch sei ruhig; ich kann es eben so gut entbehren, wie die Andern. Wenn Du kannst, schicke mir aber die Adresse des Generals Harville, ich weiß nicht, wo er zu finden ist. Leb wohl, meine liebe Mutter!

      „Dies ist hoffentlich ein langer Brief! Gott mag wissen, wann ich wieder Zeit finden werde, einen ähnlichen zu schreiben. Aber sei überzeugt, daß ich die Gelegenheit dazu nicht versäumen werde. Sorge Dich nicht! ich umarme Dich tausendmal, aus voller Seele! wie werde ich mich freuen, Dich wiederzusehen! Sage zu Deschartres, daß ich während der Kanonade an ihn gedacht habe, sowie auch an meine Bonne — die wohl in's Lager hätte kommen können, um meine Kleider zu besetzen.“

      Ist es nöthig, an die Situation von Europa zu erinnern, mit welcher diese episodische Erzählung aus dem berühmten Schweizer Feldzuge in Verbindung steht? Wenige Worte werden genügen. Unsere Bevollmächtigten am Congreß von Rastatt waren heimtückischer Weise ermordet und der Krieg hatte sich neu entzündet. Masséna, der in Zürich stand, rettete Frankreich, indem er die Schweiz in vierzehn Tagen von den Russen säuberte, die sich unter Suwarow's Leitung mühsam an das andre Ufer des Rheins zurückzogen, während ein Theil ihrer Mannschaften niedergeschossen war oder zerschmettert in den Abgründen Helvetiens lag. Zu derselben Zeit landete Bonaparte, der aus Aegypten zurückkehrte, an Frankreichs Küsten; an dem Tage, als mein Vater den zuletzt mitgetheilten Brief schrieb, meldete sich Napoleon beim Direktorium in Paris und schon begannen sich die Elemente des 18. Brumaire im Geheimen zu regen.

      Ich besitze unglücklicher Weise nur wenige Briefe von meiner Großmutter an ihren Sohn. Einen kann ich hier jedoch folgen lassen; er ist sehr zerrissen und sehr geschwärzt, denn er hat den übrigen Theil des Feldzuges auf der Brust des jungen Soldaten mitgemacht, der ihn endlich im Familienschatz niederlegen konnte.

      Nohant, den 6. Brumaire Jahr VIII.

      „Ach! mein Kind, was hast Du gethan! Du hast ohne meine Zustimmung über Dein Geschick, über Dein Leben und das meinige verfügt und hast mir durch ein sechswöchentliches Schweigen unaussprechliche Qualen bereitet. Deine arme Mutter lebte gar nicht mehr! ich wagte nicht von Dir zu sprechen und die Posttage waren Tage der Todesangst für mich geworden; ich war fast ruhiger, wenn ich auf keine Nachricht hoffen durfte. Die Rückkehr Saint-Jean's war ein fürchterlicher Augenblick; wenn ich ihn die Thüre öffnen hörte, klopfte mein Herz mit Heftigkeit. Der arme Mensch sagte kein Wort und ich war dem Tode nah — o, mein Sohn, fühle nie, was ich gelitten habe!

      „Aber gestern habe ich endlich Deinen lieben, langen Brief erhalten. Mit welcher Hast habe ich ihn ergriffen! wie lange habe ich ihn an mein Herz gedrückt, ohne ihn zu erbrechen — und als ich ihn lesen wollte, war ich so von Thränen überströmt, daß ich nichts zu sehen vermochte. Mein Gott! was hatte ich nicht Alles gefürchtet!

      „Ich besorgte unter andern, daß man Dich nach Holland geschickt haben könnte — und ich verabscheue dies Land und dies Heer, ohne zu wissen, warum. Diese vielen Todten und Verwundeten erfüllten mich mit Entsetzen. Und dann sagte ich mir wieder, daß Du mir Deine Versetzung gemeldet haben würdest und war weit entfernt zu glauben, daß Du Dich bei der siegreichen Armee Masséna's befändest. Ehe ich Deinen Brief gelesen hatte, wollte ich an seine Erfolge gar nicht glauben. Aber Du warst ja bei ihm, mein Sohn, Du hast ihm Glück gebracht, seinen Ruhm verdankt er Dir. Drei Schlachten hast Du in vierzehn Tagen mitgemacht! — und Du bist frisch und gesund, Gott sei Dank! Gott sei gepriesen! Mein Gott, wenn dies die letzten Schlachten wären, wollte ich singen und lachen wie Du — aber der Frieden ist nicht abgeschlossen!

      „Du sagst, daß wir im Begriff sind, in Italien einzudringen. Wenn das wäre, gäbe es kein Ende für unsre Leiden und es wäre doch wohl Zeit, auf das gegenseitige Morden zu verzichten, das uns doch nur ein Gebiet erwirbt, welches wir wieder verlieren. Ich begreife die Beweggründe, die Dich, mein Kind, zu Deiner Handlungsweise bestimmt haben. Es ist klar, daß Herr von Harville Dir nur meinetwegen zu bleiben befahl. Er hat Dich aus Berechnung zum Brigadier gemacht und wird sich darauf beschränken; Beurnoville gegenüber hat er seine Verpflichtung dadurch erfüllt, daß er Dir für den Augenblick hülfreich gewesen ist. Wir wollen ihm dafür dankbar sein, denn er war Dir nichts schuldig und er gehört nicht zu den Männern, die ihren Schutz aufrichtig gewähren oder offen versagen. Du hast ihn vollständig durchschaut. Caulaincourt hat ihn zu diesem Benehmen gebracht, das allen Hochmuth der alten Zeit und alle Strenge der neuen in sich vereinigt. Aber Herr von Latour d'Auvergne wird Dein Verhalten zur Geltung zu bringen wissen. Welch Glück, daß Du ihm begegnet bist, als Du das Boot bei Richterswyl verließest? Er kann nun erzählen, daß Du den Feldzug mitgemacht hast, daß er Dich gesehen hat — er, der nie etwas für sich begehrt, weiß Andere mit großem Eifer geltend zu machen; aber ich fürchte, daß Dein Urlaub vom General Harville abhängt und in diesem Falle würden wir ihn — trotz des Einflusses, den Du mir zuschreibst — nicht leicht erhalten. Jedenfalls will ich schnell mit meinen Erkundigungen, Bitten und Briefen beginnen. Seit einem Monate