George Sand

Geschichte meines Lebens


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zeigen durftest, der Republik zu dienen. Meine Lage ist ziemlich peinlich, denn bei den Einen muß ich so viel als möglich bemerklich machen und zur Geltung bringen, was ich den Andern verschweige. Du willst alle diese Schwierigkeiten mit Deinem Schwerte zerhauen — aber die Zukunft bietet uns durchaus keine Sicherheit. Du betrachtest es als Pflicht Deinem Vaterlande gegen die fremden Mächte zu dienen, ohne Dich um die Folgen zu kümmern, und ich denke nur an Deine Zukunft, an Deine Interessen. Aber ich sehe, daß ich nichts bestimmen kann, und daß wir es dem Geschick anheimgeben müssen.“

      Kanton Appenzell, den 28. vendémiaire VII. Donau-Armee, 3. Division.

      „Aus dem Rheinwaldthale, vom Fuße der Berge, deren blendende Gipfel sich in den Wolken verlieren, aus der Heimath der Nebel und Fröste schreibe ich Dir heute, meine liebe Mutter. Wenn es ein unbewohnbares, elendes, abscheuliches Land giebt, so ist es dieses trotz seiner Schönheit. Die Einwohner sind halb wild, haben kein anderes Eigentum als eine Sennhütte und einiges Vieh, keinen Begriff von Cultur und Handel, leben nur von Wurzeln und Milch, halten sich das ganze Jahr in ihren Bergen auf und haben fast gar keinen Verkehr mit den Städten. Sie waren ganz bestürzt, als sie uns neulich Suppe bereiten sahen, und als wir sie die Bouillon kosten ließen, fanden sie dieselbe abscheulich. Ich hingegen fand sie ausgezeichnet, denn seit zwei Tagen waren wir ohne Brod und Fleisch und gezwungen gewesen ihre Hirtenkost zu essen, die man, wenn man in meinem Alter ist, meinen Appetit hat und unser Handwerk treibt, mit Freuden zu allen Teufeln schicken möchte.

      „Desselben Tages noch, an dem ich Dir das letzte Mal schrieb, verließen wir Weinfelden und gingen nach dem sieben Stunden entfernten St. Gallen. Man schickte uns dann wieder in die Berge und seit zwei Tagen bin ich in Gambs, rechts von Altstätten, mit zwei Jägern als Ordonnanz bei dem General Brunnet — und da man beim Generalstabe nie vor Hunger umkommt, so entschädige ich mich auch ohne Umstände für die Lebensweise in den Bergen und die Frugalität der Hirten.

      „Gewiß bin ich im Augenblicke weit entfernt im Glücke zu sitzen. Ich muß alle Frohndienste, alle Wachen, alle Bivouaks mitmachen, jeder Vorlesung beiwohnen, wie die Andern. Ich warte mein Pferd, ich gehe mit fouragiren, ich lebe von Soldatensuppe und bin glücklich, wenn es welche giebt! Aber wäre auch Alles noch zehnmal schlechter, ich würde nicht bereuen, was ich gethan habe, denn ich fühle, daß Niemand mir etwas vorzuwerfen hat und daß der General Harville Unrecht thut, wenn er mich tadelt. Jedenfalls billigen Beurnoville und Latour d' Auvergne meine Handlungsweise und sie werden mich protegiren. Sie können es jetzt um so besser, da ich nicht nur der Enkel des Marschalls von Sachsen bin, sondern auch Soldat der Republik, und da ich das Interesse, welches sie mir zeigten, gerechtfertigt habe. — Und Du, liebe Mutter, wirst nun nicht mehr als eine verdächtige, an der alten Verfassung hängende Frau betrachtet werden, sondern als die Mutter eines Rächers des Vaterlandes. Auf diesen Standpunkt mußt Du Dich jetzt stellen, meine liebe Mutter; jeder andere Gesichtspunkt ist falsch und unmöglich. — Ich bin im Regiment nicht Jakobiner geworden, aber ich habe begriffen, daß man den geraden Weg gehen muß und dem Vaterlande dienen ohne hinter sich zu blicken. Man muß die Glücksgüter und den Rang nicht bedauern, den uns die Republik genommen hat, sondern sich glücklich schätzen, daß man sich jetzt selbst erwerben kann, was man ehemals nur dem Zufalle und der Geburt verdankte. — Nun wohl, Vater Deschartres, Ihr müßt den Cato von Utica spielen und nicht mehr von der Vergangenheit sprechen. — Ich unterliege durchaus nicht unter der Strenge der militärischen Lebensweise, denn ich wachse zusehends, Alle, die mich seit einem Monate nicht gesehen haben, bemerken es. Ich werde auch nicht mager — im Gegentheil immer breitschulteriger und fühle mich jeden Tag kräftiger und heiterer. Du wirst aber bald selbst Gelegenheit haben über meine Fortschritte in der Länge und Breite zu urtheilen.“

       Zwölftes Kapitel.

       Rückkehr nach Paris. — Vorstellung bei Bonaparte. — Italienischer Feldzug. — Uebergang über den St. Bernhard. — Das Fort von Bard.

      Der Urlaub, auf den mein Vater hoffte, war nicht ohne Schwierigkeiten zu erreichen. Es erforderte den ganzen Einfluß von Latour d'Auvergne. Der Anfang des Jahres 1800 vereinigte Mutter und Sohn in Paris, wo sie auch den Winter zusammen verlebten. Mein Vater wurde Bonaparte vorgestellt, welcher ihm erlaubte zum 1. Jägerregiment überzugehen und den Feldzug unter dem General Dupont mitzumachen, dessen Generalstabe er beigegeben wurde.

      Im Hauptquartiere, Verres, den 4. prairial.

      „Endlich bin ich hier! Es ist nichts Kleines ohne Pferde durch diese Berge, diese schrecklichen Einöden und zerstörten Dörfer zu reisen. Jeden Tag verfehlte ich den Generalstab um eine Tagereise. Endlich hat er dem Fort von Bard gegenüber Halt gemacht, das uns hindert in Italien einzudringen. Wir sind jetzt mitten zwischen den piemontesischen Abgründen. — Gestern stellte ich mich gleich bei meiner Ankunft dem General Dupont vor, der mich sehr gut empfing. Ich bin seinem Generalstabe beigegeben, werde diesen Morgen meine Ausfertigung und meinen Bestallungsbrief erhalten und theile Dir diese Thatsache vor allen mit, um Dich von der Unruhe und Ungeduld zu befreien, die Dir jede vorläufige Erzählung unerträglich gemacht hätte. — Da bin ich denn in einem Lande, wo wir Hungers sterben werden. — Die Gesichter, aus denen der Generalstab zusammengesetzt ist, scheinen mir, mit Ausnahme der drei Generäle, ziemlich albern. Ich bemerke indessen seit den vierundzwanzig Stunden meines Hierseins, daß mir die Adjutanten und der General-Adjutant mehr Rücksicht zeigen als allen Andern, die hier sind, und glaube zu wissen warum. Wenn ich genauer beobachtet habe, werde ich es Dir sagen.

      „Ich habe den St. Bernhard überstiegen. Die Beschreibungen und Bilder, die davon existiren, bleiben hinter den Schrecken der Wirklichkeit zurück. Die Nacht vorher blieb ich in dem Dorfe St. Pierre am Fuße des Berges und den Morgen brach ich nüchtern auf, um nach dem Kloster zu gelangen, das drei Stunden höher liegt, d. h. in den Regionen des Eises und des ewigen Frostes. Dieser dreistündige Weg führt durch Schnee zwischen den Felsen hin; man erblickt keine Pflanze, keinen Baum; Höhlen und Abgründe öffnen sich bei jedem Schritte. Mehrere Lawinen, die Tags zuvor herabgestürzt waren, trugen dazu bei den Weg unbrauchbar zu machen. Mehrere Male sanken wir bis an den Gürtel in den Schnee. Und durch alle diese Hindernisse trug eine halbe Brigade ihre Kanonen und Munitionswagen auf den Schultern und zog sie von Felsen zu Felsen. — Die Thätigkeit und Entschlossenheit, das Schreien und Singen dieser Armee gaben das seltsamste Schauspiel, das man sich denken kann. — Es hatten sich zwei Divisionen in den Bergen vereinigt; sie wurden von General Harville kommandirt, der bei dieser Gelegenheit einmal recht tüchtig durchfror. — Bei den Mönchen angekommen, war er die erste Person, die mir begegnete. Er schien sehr erstaunt mich so hoch oben zu treffen und sagte mir zitternd vor Kälte viele Freundlichkeiten, ohne jedoch meinen ehemaligen Ungehorsam zu erwähnen und ohne Billigung oder Tadel auszusprechen. Vielleicht hätte er es in einem anderen Augenblicke gethan, aber in dem gegenwärtigen dachte er nur daran zu frühstücken und lud mich dazu ein. Aber ich wollte meine Reisegefährten nicht verlassen und dankte ihm. — Während der sehr frugalen Mahlzeit unterhielt ich mich mit dem Prior, welcher sie uns serviren ließ. Er sagte mir, daß sein Kloster der höchste bewohnte Ort in Europa sei und zeigte mir die großen Hunde, welche die von Lawinen verschütteten Reisenden aufsuchen helfen. Bonoparte hatte sie vor einer Stunde geliebkoset und ohne mich zu geniren that ich wie Bonaparte. — Als ich dem Prior mittheilte, daß man die Mönche vom St. Bernhard und ihre Gastfreundschaft bei uns auf das Theater gebracht habe, hörte ich mit Erstaunen, daß er das Stück kannte. — Nachdem wir freundschaftlich Abschied von ihm genommen hatten, stiegen wir sieben Stunden abwärts, um nach dem Thale von Aosta in Piemont zu gelangen. Ich marschirte zehn Stunden und ließ mein Gepäck durch Maulthiere tragen. — In Aosta angekommen, begab ich mich schnell nach dem Palaste des Consuls, um Leclerc zu sehen und die erste Person, die mir begegnete, war Bonaparte. Ich wollte ihm meinen Dank für die Bestallung aussprechen, aber er unterbrach mich barsch mit der Frage, wer ich sei. — Der Enkel des Marschalls von Sachsen. — Ah so