George Sand

Geschichte meines Lebens


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Feinde geweiht wäre, schrieb ich Dir in Colmar, datirte den Brief jedoch aus Thionville und schickte ihn dem Virtuosen Hardy, der ihn auf die Post geben sollte. Unsere Reise dauerte zwanzig Tage, und nachdem wir den Kanton Basel durchstreift hatten, trafen wir im Kanton Glarus mit unserm Regimente zusammen. Hier sieht man jene spitzigen Berge, die von Tannenwäldern bedeckt sind, ihre Häupter tragen ewigen Schnee und ragen in die Wolken; man hört das Tosen der Waldströme, die sich von den Felsen herabstürzen und das Pfeifen des Windes in den Wäldern. Aber Hirtengesänge und Heerdengebrüll war nicht mehr zu finden. Alle Sennhütten waren schleunig verlassen — Alles war bei unserm Anblick entflohen und die Einwohner hatten sich mit ihren Heerden in's Innere des Gebirges zurückgezogen. In den Dörfern war kein lebendes Wesen, der ganze Kanton war ein Bild der Verödung; keine Frucht, kein Glas Milch war zu haben. Zehn Tage lang haben wir von dem schlechten Brote und dem noch schlechtern Fleisch gelebt, welches die Regierung liefert und die übrigen zehn Tage unseres Marsches haben wir uns von halb rohen Kartoffeln genährt — wir hatten nicht Zeit, sie gehörig zu kochen — und wenn wir's haben konnten, von etwas Branntwein.

      „Am 3. Vendémiaire begannen die Feindseligkeiten; wir griffen den Feind, der sich hinter die Limmat und die Linth zurückgezogen hatte, auf allen Punkten an. Um drei Uhr Morgens wurde zum Angriff commandirt — ich hatte so viel vom Eindruck des ersten Kanonenschusses gehört! Ein Jeder spricht davon und keiner vermag die Wirkung zu beschreiben, aber ich habe mir von meinem Eindruck Rechenschaft gegeben und ich versichere Dich, daß er nichts Peinliches hatte, daß er im Gegentheil angenehm war.

      „Denke Dir einen Augenblick feierlicher Erwartung und dann ein plötzliches, herrliches Losbrechen. Es ist der erste Bogenstrich, nachdem wir uns andächtig gesammelt haben, um die Ouvertüre zu hören. Und welche schöne Ouvertüre ist solche regelrechte Kanonade! Dieser Kanonendonner, diese Gewehrsalven, bei Nacht und inmitten von Felsen, die das Getöse verzehnfachen (Du weißt, ich liebe das Getöse), waren von zauberischer Wirkung! Und als die Sonne den Schauplatz erleuchtete und die Rauchwolken vergoldete, war es schöner, als in allen Opern der Welt.

      „Beim Tagesanbruch verließ der Feind seine Stellung zur Linken und zog seine Kräfte zur Rechten bei Uznach zusammen. Wir wendeten uns dorthin. Die Cavalerie blieb in Schlachtordnung hinter der Infanterie, welche sich anschickte, den Fluß zu überschreiten, der uns vom Feinde trennte; unter seinem Feuer wurde eine Brücke geschlagen — es waren Russen, mit denen wir zu thun hatten und diese Leute schlagen sich wahrlich gut. Als die Brücke fertig war, rückten drei Bataillone vor, um sie zu überschreiten; aber kaum warm sie auf dem andern Ufer angelangt, als der Feind mit bedeutenden, uns weit überlegenen Kräften anrückte. Die Truppen, welche die Brücke überschritten hatten, warfen sich in Unordnung darauf zurück; die Hälfte war bereits wieder an das linke Ufer gelangt, als die Brücke, die zu sehr belastet war, zerbrach. Alle, die noch auf dem rechten Ufer waren, suchten nun, als sie die Brücke zerbrochen sahen, ihr Heil in einer verzweifelten Anstrengung: sie ließen die Russen bis auf zwanzig Schritt herankommen und richteten ein fürchterliches Blutbad unter ihnen an. Ich gestehe, daß ich trotz der Bewunderung, die mir die heldenmüthige Vertheidigung unserer Bataillone einflößte, geschaudert habe, als ich so viele Männer fallen sah. Ein Zwölfpfünder, den wir auf der Anhöhe hatten, unterstützte sie mit Erfolg. Die Brücke wurde schleunig wieder hergestellt, man eilte unsern tapfern Soldaten zu Hülfe und das Treffen war entschieden. Wenn die Brücke nicht gebrochen wäre, so hätte der Feind unsere Verwirrung benutzt und die Schlacht wäre verloren gewesen. Da ein sumpfiger Boden der Cavalerie nicht vorzuschreiten erlaubte, haben wir auf dem Schlachtfelde bivouakiren müssen. Um das Feldlazareth zu erreichen, mußten die Verwundeten durch unser Lager getragen werden und die großen Feuer, die wir angezündet hatten, verbreiteten eine Tageshelle. Hier hätte ich, nur für eine Stunde, die höchsten Beherrscher der Nationen neben mir sehen mögen — diejenigen, welche Krieg und Frieden in den Händen halten und sich nicht durch heilige Beweggründe, sondern durch feige persönliche Ursache zum Kriege bestimmen lassen, sollten dies Schauspiel zu ihrer Strafe immer vor Augen haben. Es ist fürchterlich und ich habe nicht geahnt, daß es mir so schmerzlich sein würde.

      „Denselben Abend hatte ich die Freude, einem Menschen das Leben zu retten. Es war ein Oestreicher — ich sah einen Körper nicht weit von unserm Feuer liegen und beobachtete ihn. Er war nur am Beine verwundet, aber von Hunger und Anstrengung so erschöpft, daß er kaum noch athmete. Durch ein Paar Tropfen Branntwein brachte ich ihn wieder zum Bewußtsein und wollte nun unsern Leuten vorschlagen, ihn mit mir in's Lazareth zu tragen. Aber sie waren Alle eingeschlafen, und da sie selbst ganz erschöpft waren, schlugen sie meine Bitte ab. Einer von ihnen schlug mir vor, dem Verwundeten den Garaus zu machen — dieser Gedanke empörte mich. Ich weiß nicht, woher ich das nahm, was ich ihnen sagte, denn ich war selbst von Hunger und Anstrengung abgemattet, aber ich erhitzte mich, ich warf ihnen mit Entrüstung, mit Zorn ihre Härte vor. Endlich erhoben sich zwei von ihnen, um mir beim Forttragen des Verwundeten zu helfen. Wir machten eine Bahre von einem Brete und zwei Karabinern. Ein dritter Jäger, den unser Beispiel mit fortriß, vereinigte sich mit uns; wir hoben unsern Kranken auf und trugen ihn eine halbe Meile weit durch Wasser und Morast, der uns zuweilen bis an's Knie ging, in das Feldlazareth. Unterwegs beklagten sie sich oft über die Last und beriethen sich, ob sie mich mit meinem Verwundeten allein lassen und mir anheimgeben sollten, mich aus der Verlegenheit zu ziehen. Dann rief ich ihnen Muth zu und suchte ihnen auf Soldatenweise die besten philosophischen Lehren beizubringen über das Erbarmen, das man dem Besiegten schuldig ist und über den Wunsch, den wir in solcher Lage für unsere Rettung haben würden. Die Menschen sind im Grunde wirklich nicht bösartig, denn die Aufgabe war hart und doch ließen sich meine armen Kameraden überzeugen. Endlich kamen wir an den Ort, wo der Verwundete Hülfe erlangen konnte; ich empfahl ihn angelegentlich und kehrte mit meinen drei Jägern zurück, hundertmal fröhlicher und im Herzen zufriedener, als käme ich vom schönsten Balle oder aus dem herrlichsten Conzerte. Als ich das Feuer wieder erreichte, legte ich mich auf meinen Mantel und schlief ruhig bis zum Tagesanbruch.

      „Zwei Tage später kamen wir nach Glarus, wo sich der Feind befand. Der General Molitor, der diesen Angriff befehligte, verlangte einen intelligenten Mann aus der Compagnie — ich wurde ihm zugeschickt und begleitete ihn, als er Abends die Stellung des Feindes recognoscirte. Am folgenden Tage griffen wir an und vertrieben den Feind aus der Stadt. Während des Gefechts versah ich den Dienst eines Generaladjutanten, was mich sehr amüsirte; ich überbrachte fast alle seine Befehle den verschiedenen Corps, die er kommandirte. Als sich der Feind vier Meilen weit zurückgezogen hatte, verbrannte er alle Brücken der Linth, und als er sich zwei Tage später mit aller Macht auf unsern rechten Flügel warf, schickte mich der General Molitor nach Zürich, um dem General Massena einen Brief zu überbringen, in welchem er wahrscheinlich Verstärkung begehrte. Ich reiste mit Courierpferden, und obwohl Glarus zwanzig starke Meilen von Zürich entfernt ist, legte ich den Weg in neun Stunden zurück. Am Tage nachher kam ich per Boot auf dem See zurück und landete sieben Meilen von Zürich in Richterswyl. Rathe einmal, wer die erste Person war, die ich erblickte, als ich an's Land trat? Herr von Latour d'Auvergne! der General Humbert war bei ihm. Er erkannte mich, fiel mir um den Hals und ich umarmte ihn mit Entzücken und dann stellte er mich dem General Humbert als den Enkel des Marschalls von Sachsen vor.

      „Der General lud mich zum Abendessen ein und gab mir in seinem Hause Nachtquartier. Das war mir sehr nöthig, denn ich war todtmüde. Am folgenden Tage sprach Herr von Latour d'Auvergne, der im Begriff war, nach Paris zurückzukehren, lange von Dir; er lobte mich, daß ich auf Deine Zärtlichkeit und die Vorsicht des Generals Harville nicht zu viel Rücksicht genommen hätte und fügte hinzu, daß nichts leichter sein würde, als diesen Winter einen Urlaub von drei Decaden zu bekommen, um Dich zu besuchen, daß das Direktorium die Macht hätte, jährlich fünfzig Offiziere zu ernennen, und daß ich zu dieser Zahl gehören könnte. Er wird mit Beurnoville darüber sprechen; er hat sogar Einfluß auf das Direktorium und macht sich anheischig, meinen Urlaub zu erwirken. Also wirst Du es Deinem „verdammten Helden“ zu verdanken haben, wenn Du mich umarmst, liebe Mutter! Ich überlasse mich diesem Gedanken — sehe mich schon in Nohant ankommen und in Deine Arme stürzen. Beurnoville könnte mich in seinen Generalstab ausnehmen, das würde mir die Freiheit geben, Dich öfter zu sehen; das Alles wollen wir diesen Winter besprechen, liebe Mutter. Der Anfang ist schwierig, aber man muß ihn überwinden. Sei versichert, daß ich recht gehandelt habe.