Susanne Sievert

Sternstunde


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als sie mich am Dorfbrunnen entdeckten. Ihre Blicke verfolgten jeden meiner Schritte. Verständlich, denn in meiner schmutzigen und blutigen Kleidung bot ich einen schaurigen Anblick. Meine roten, verfilzten Haare verliehen mir das Aussehen einer Wilden, und mein finsterer Blick versteinerte ihre Bewegungen. Am Dolch haftete noch Blut, von dem ich nicht mehr bestimmen konnte, von wem es stammte. Auf meinem Weg hierher hatte ich schon so viele getötet.

      Aus der Menge trat eine junge Frau, mit hübschen braunen Locken und einem Gesicht, auf dem die Unerfahrenheit geschrieben stand. Der Sand dämpfte ihre Schritte, und dennoch war es das einzige grelle Geräusch, das die Stille durchbrach.

      „Komm mit mir“, sprach die Frau mit hoher Stimme, reichte mir ihre kleine Menschenhand.

      Ihr Blut erinnerte mich an eine Wiese im Frühling. Grün und saftig wuchs das Gras unter den ersten Sonnenstrahlen heran, und die ersten Blumen erwachten aus ihrem Winterschlaf. Der Wind trug ihren süßen Duft über das Land, und alles erleuchtete in einem neuen Licht.

      Je länger ich sie betrachtete und den wundervoll leichten Geruch ihres Blutes einsog, desto schneller alterte die Frau vor meinen Augen. Nur widerwillig löste ich den Blick von dem Menschlein und blinzelte den roten Schleier fort, der meine Sinne benebelte.

      Nicht sie, rief ich mich zur Vernunft. Das brennende Verlangen schmerzte in meiner Brust, doch wegen ihres Bluts hatte ich den Umweg nicht auf mich genommen.

      Warum nicht? fragte ich mich auf der anderen Seite. Die Soldaten des finsteren Königs waren bereits auf dem Weg, und wenn sie eintrafen, würde dieses Dorf bis in den Himmel hinauf brennen. Ich wusste, dass mein Feind ein gutes Feuer schätzte, und nichts brannte so gut wie die Eroberung. Die Menschen werden unter den Schwertern des Königs fallen. Welche Verschwendung wäre ihr Tod für mich?

      „Mein Name ist Dora“, fuhr sie fort, während ich meine Entscheidung von allen Seiten betrachtete.

      „Dora“, wiederholte ich leise. Ein kleiner Name für ein winziges Menschlein.

      „Mir gehört die Schänke, gleich dort vorne.“ Mit ihrem Arm deutete sie an der glotzenden Menschenmenge vorbei auf ein kleines Haus. „Ich biete dir Kleidung und Essen.“

      Die Augen der Menschen glühten auf meinem Rücken, als ich der Frau stumm zu ihrer Schänke folgte. Noch immer wägte ich ab, von ihrem Blut zu kosten. Dora öffnete die Tür. So unauffällig das Haus von außen wirkte, umso gemütlicher war es im Inneren eingerichtet. Auf den Stühlen lagen Felle, Kerzen aus Bienenwachs standen auf den Tischen und verströmten einen angenehm lieblichen Duft. Die Wände hatte Dora mit Ebenholz verkleidet, am Ende des Raumes entdeckte ich neben dem Schanktisch einen Kamin.

      In meinem Dorf hatten wir sehr einfach gelebt. Aus diesem Grund verachteten uns die Menschen. Wir lebten von dem, was die Natur uns bot, schneiderten unsere Kleidung aus der Haut und den Fellen der Tiere, und unsere Hütten bestanden aus Lehm und Holz. Statt auf Stühlen saßen wir auf dem Erdboden, und eben dieser war unser Tisch. Ich spürte einen leichten Stich in meiner Brust, der nicht von Ahm Fens Fluch her rührte. Möglicherweise handelte es sich um Heimweh.

      „Bitte setz´ dich.“ Dora rückte einen Stuhl zurecht, auf den ich mich zögernd niederließ.

      „Ich habe keine Münzen“, antwortete ich. An meinem Akzent musste Dora erkennen, woher ich stammte. „Ich kann dich nicht entlohnen.“

      Einen Augenblick musterte sie mich schweigend.

      „Damit habe ich auch nicht gerechnet, Fremde“, sprach sie schließlich lächelnd. „Ich begnüge mich mit deiner Gesellschaft.“

      Dora drehte sich um und eilte zum Schanktisch. Wenig später kehrte sie mit einem Getränk zurück, das sie Gerstensaft nannte. Es schmeckte scheußlich. Sie brachte mir ebenfalls Obst und Brot, welches ich aus Höflichkeit verspeiste. Die Speisen schmeckten nach Asche und Staub, und das Rauschen ihres Blutes öffnete den verhassten Riss in der Brust Stück für Stück, bis meine Kehle vor Verlangen brannte.

      „Es wäre besser gewesen, du hättest mich den Dorfbewohnern überlassen.“

      „Glaube mir, einen Moment länger und sie hätten dich in der Luft zerrissen. In meiner Schänke bist du vorerst sicher.“

      Dora konnte natürlich nicht wissen, dass es mein Wunsch gewesen war, angegriffen zu werden. Leichter konnte ich nicht an das Blut der Menschen gelangen, ohne mich in der Nacht mit Albträumen zu plagen.

      „Es kommen meist nur Ehemänner hierher, weil sie wissen, dass ich sie nicht an ihre Frauen verpfeife“, lachend schlug sie auf den Tisch. „Du bist nicht sehr gesprächig, oder?“

      Ich hob entschuldigend die Schultern und trank von dem Bier, in der Hoffnung, das Brennen in meiner Kehle zu mildern. Vergebens.

      „Die Dörfler trauen mir nicht. Ich sehe Dinge, verstehst du? Nein, wie könntest du. Ich verstehe es ja selbst nicht. Sie fürchten sich vor meinen Träumen – Visionen, die mir von einem Augenblick zum nächsten erscheinen. Letzte Nacht da...“

      „Hör zu, Menschlein“, unterbrach ich Dora barsch. Wo war ich bloß hinein geraten? Sah ich wie jemand aus, dem man sein Herz ausschüttete? „Gib mir die Kleidung, die du mir versprochen hast und ein Bett. Ich will schlafen. Sobald die Sonne untergegangen ist, breche ich auf. Ich brauche Ruhe, und keine Geschichten.“

      Etwas in ihrem Blick zerbrach, und Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln, die sie mit schneller Hand trocknete. Dora konnte wissen, welchen ungehobelten Klotz sie sich ins Haus schaffte. Sie hatte Visionen, Träume und lud eine Mörderin in ihr Heim ein? Was für eine dumme Gans.

      Auf der anderen Seite war sie nett zu mir. Ich wollte ihr kein Leid zufügen, sondern musste aus ihrer Gegenwart verschwinden, wenn sie nicht unter meinen Händen sterben wollte. Ihr Blut war einfach zu köstlich, und jeder weitere Moment mit ihr trieb mich an den Rand des Wahnsinns.

      „Folge mir“, sprach sie nun leise. Wir standen auf und ich folgte ihr die Stufen zum Dachgeschoss empor.

      Wir betraten ein Zimmer mit einem sauberen Bett in der Mitte des Raumes, einem kleinen Waschtisch mit frischem Wasser und sogar Kleidung, die auf dem Nachttisch bereit lag, als hätte Dora auf mein Erscheinen gewartet.

      Wissend traf mich ihr Blick, als ich ihr dankbar zunickte. Ohne ein weiteres Wort schloss ich die Tür, und erst als ich ihre Schritte verstummen hörte, trat ich an das Fenster und blickte zum Dorfplatz hinunter.

      Als wäre nichts geschehen, gingen die Menschen ihrer Arbeit nach. Meine Nase verfolgte die Spur, die sie hierher geführt hatte und wurde kurze Zeit später fündig. Yeleb trat hinter den Hütten hervor, wurde sogleich von mehreren Menschen bestürmt. Dreckig und schwitzend wehrte er ihre Rufe ab. Eine Greisin mit weißem Haar warf sich vor ihm auf den Boden, schrie und streckte die Hände betend zum Himmel.

      Die Götter verfolgen ihre eigenen Pläne, alte Menschenfrau, dachte ich kopfschüttelnd.

      „Mein Sohn“, vernahm ich ihre Schreie. „Wo ist mein Sohn?“

      Nun stimmten alle Dorfbewohner in den traurigen Gesang der Greisin ein – weinten, schrien und beteten zu ihren Göttern, die auf die Menschen hinab blickten und lachten.

      „Sie sind begraben“, antwortete er nun mit letzter Kraft. „Ich habe sie alle begraben!“

      Yeleb beugte sich zu der alten Frau hinunter, die ihn mit den Fäusten auf die Brust schlug, bis er seine Arme öffnete, um ihr Trost zu spenden.

      Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Dora, die wegen dem Lärm vor die Türe ihrer Schänke trat, und nachdenklich zu mir hinauf blickte.

      Ich kehrte ihr den Rücken zu und erholte mich ein paar Stunden in einem Bett, das auf seltsamen Stelzen gebaut wurde.

      Nachdem die Sonne untergegangen war, verließ ich mit neuer Kleidung das Zimmer und trat die Stufen hinunter, die geräuschvoll unter meinen Schritten knarrten. Vor der Eingangstür traf ich auf Dora. Ihre roten Augen verrieten, dass sie geweint hatte, und ihre Hände hielt sie zitternd hinter ihrem Rücken versteckt.