Roger Reyab

Die verbotenen Bücher


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fragte mich auch manchmal, ob es zu dieser Zeit eigentlich ein El Dorado für andere Kriminelle gewesen sein muss. Ich weiß jetzt nicht, wie viele Polizisten Frankreich insgesamt hat, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass bei diesem Aufgebot von fast hunderttausend Polizeikräften, jeder Verkehrsunfall noch aufgenommen werden konnte. Oder wie war es mit Bankräubern? Ging man dem noch nach und wenn ja, welche Kräfte waren das?

      Ich hatte bei der Berichterstattung vielleicht keine Panik, wie das viele Menschen in den Qualitätsmedien bekundeten, denn ich lebe nicht in Paris und weiß auch nicht, ob ich da Angst gehabt hätte. Ich sah die ganze Zeit nur Polizisten, die überall waren. Das ist doch gut. Dann ist man sicher. Aber gegenteilig zu meinem Empfinden, betonte man immer wieder, dass diese rudimentären kleinen Einheiten nicht ausreichen können, um die Gefahr wirklich zu beherrschen.

      Niemand der Qualitätsjournalisten stellte die Frage, warum man so viele Polizeieinheiten benötigt, um zwei Männer zu fassen.

      Tatsächlich erfuhr man dann auch, dass die Einheiten ganze Landstriche durchsuchten, die aber eigentlich gar nicht so wichtig waren. Eine Reporterin berichtete, dass sie weder Straßensperren noch eine systematische Methodik erkennen konnte. Sie merkte an, dass sie, während sie bei dem Einsatz dabei sein durfte, gesehen hatte, dass man immer nur eine Seite der Ortschaften absuchte, um danach die andere Seite abzusuchen.

      Sie merkte also an, dass es ihr merkwürdig vorkam, dass man so eigentlich alle potenziellen Verbrecher auf sich aufmerksam gemacht hätte und die Terroristen gewarnt hätte. Dieser Bericht der Qualitätsjournalistin fand aber keine weitere Beachtung, da die Medien betonten, dass es eben alles spontane Aktionen seien, mit denen niemand gerechnet hatte und deshalb eine gewisse Chaotik nicht vermeidbar wäre.

      Wir haben Qualitätsjournalisten erlebt, die ständig an irgendwelchen Straßenkreuzungen, auf Äckern, in U-Bahnstationen und in leeren Straßen standen. Die Journalisten verstanden ihr Handwerk aber so perfekt, dass sie stundenlang über Dinge episch redeten, die eigentlich den Aussagewert einer Landschaftsbeschreibung eines Abwasserkanals hatten. Die Qualitätsjournalisten lobten, dass man in Frankreich über alles hautnah und ortsnah berichten konnte. Tatsächlich waren diese Journalisten nicht vor Ort, sondern meist kilometerweit entfernt. Die hochsensiblen Informationen, die uns die Journalisten verkündeten, hatten alle immer etwas Fragwürdiges. Vielleicht, möglicherweise, nach unbestätigten Meldungen, nach unkommentierten Zeugenaussagen, laut einem unbestätigten Pressebericht. Alles war absolut live und deshalb kann man sicher verstehen, dass man nicht alles sofort wissen kann. Da die Qualitätsjournalisten aber nicht fürs Schweigen, sondern für das endlose Lamentieren bezahlt werden, bemühte sich natürlich jeder Reporter und jede Reporterin, den Ereignissen besondere Schwere zu verleihen.

      Man erfuhr erstaunliche Dinge. Einer, der mit James Bond im Bunde stehenden Superkriminellen, hatte seinen Pass in einem Fluchtauto vergessen. Das erinnerte frappant an den Ausweis von Mohamed Atta, der beim Anschlag auf das World Trade Center zwar nichts von den Türmen übrig ließ, im Gegenzug aber seinen Ausweis im pulverisierten Trümmermüll unbeschädigt hinterlassen hatte.

      Man erfuhr, dass die beiden islamischen Terrorkämpfer, sich bei dem Terroranschlag auf die Satirezeitung in der Tür irrten, aber ansonsten auf den Anschlag professionell vorbereitet waren.

      Frankreich befand sich im Schockzustand.

      In endlosen Expertengesprächen wurde immer wieder die etwas naive Frage der Qualitätsmedien aufgegriffen, wie man sich vor so einem Anschlag in Zukunft schützen könne.

      Niemand, der hier mehrfach wahrscheinlich kasernierten Experten, kam auf die Idee, einfach zu sagen, dass man sich davor natürlich nicht schützen kann. Zwar sagten einige Experten, dass es vielleicht immer ein Restrisiko geben würde, aber man alles tun müsse, um schon den Keim zu erfassen und zu neutralisieren.

      Sehr schnell wusste die Polizei in Frankreich, wer diese furchtbaren Attentate verübt hatte. Obwohl auf den spärlichen Bildaufnahmen nur absolut vermummte Menschen zu identifizieren waren, die über irgendeine Straße liefen, war man sich sicher, dass man die Identität der beiden Superkriminellen verlässlich ausgemacht hatte.

      Man sah diese Bilder überall. Der eine Mann hatte eine Glatze und der andere Mann einen Bart. Man erfuhr aber auch, dass es noch einen dritten Mann gab, der offensichtlich farbig war, und irgendwie mit den Attentätern familiär und ideologisch verbunden war.

      Dieser Mann hatte eine Polizistin getötet und verschwand dann einen langen Tag lang aus dem Fokus der Ermittler. Obwohl niemand wusste, wo der Mann denn war, wie er bei einem solchen Polizeiaufgebot mit schweren Waffen entkommen konnte, und man auch nicht wusste, wo er schlief oder wie er sich tarnte, tauchte er erst wieder auf, als er in einem jüdischen Supermarkt Geiseln nahm.

      Der ehemalige Leiter der GSG 9, der einmal die Geiselnahme in Mogadischu beendet hatte, sagte auch mehrmals zu den Qualitätsmedien, dass es ihm absolut unverständlich sei, wie dieser farbige Mann den Behörden die ganze Zeit nach seinem Mord an der Polizistin nicht in die Hände fallen konnte. Obwohl jeder normale Mensch am Bildschirm dachte, dass die Qualitätsjournalistin da einmal nachhakte, war es im Gegenteil so, dass man den Eindruck bekam, dass der alte Mann der GSG 9 doch nicht so einen Mist erzählen solle.

      Anscheinend schien der betagte Mann das aber nicht zu merken, denn er insistierte immer wieder auf den Punkt, wie es sein kann, dass jemand bei einer Mordaktion eine Polizistin tötet und dann frank und frei durch eine Stadt irrt, die mehr Polizei beherbergt als bei einem Krieg.

      Dieser Aspekt wurde nicht weiter gewürdigt, denn in der aktuellen Situation schossen Vermutungen ins Kraut, die der Dramatik der Ereignisse neues Futter gaben. Die Journalisten standen vor einer Halle, die angeblich als der letzte Zufluchtsort der Terroristen ausgemacht worden war.

      Es handelte sich um ein Verlagshaus, oder andere sagten, um eine Cateringfirma für Flugzeugverpflegung, andere sagten, dass man eben nicht weiß, was es ist. Das war wieder sehr merkwürdig. Es bedarf doch sicher auch für die Qualitätsjournalisten keines großen Aufwandes, wenn man da einmal Google bemüht, bevor man stundenlang darüber mutmaßt, was für eine Firma das eigentlich ist.

      Jedenfalls war diese Fabrikhalle der Ort, an dem Weltgeschichte geschrieben wurde.

      Der Zuschauer der Ereignisse sah nichts. Einmal sah er den Acker und einen Hubschrauber und dann sah er eine Kreuzung, an der Verkehrskontrollen erfolgten. Auffällig war, dass man den Eindruck erwecken wollte, dass die Fabrikhalle in der Nähe eines Flughafens wäre, den man nun hermetisch abgeschirmt hätte. Irgendwie war diese Information nicht ganz verständlich, denn es kann selbst einem James Bond doch nicht gelingen, aus einer, von tausenden Polizeikräften umzingelten Halle, noch zum Flughafen zu gelangen.

      Vielleicht wollte man aber auch verhindern, dass Terroristen mit Flugzeugen landeten, um die eingeschlossenen Dschihadisten zu befreien.

      Wie auch immer.

      Man sah ständig Reporter, die alles über die Vorgänge in der Halle wussten. Man musste aber, selbst bei wohlwollender Begutachtung konstatieren, dass alle Informationen, die die Qualitätsjournalisten kundtaten, direkt aus Quellen der Staatsanwaltschaft und der Polizei stammten. Eigentlich berichteten die Journalisten also nicht. Sie gaben einfach stoisch alles weiter, was gerade offiziell in Pressemitteilungen an sie herausgegeben wurde. Die Qualitätsjournalisten waren so dankbar dafür, dass man sie im Fernsehen reden ließ, dass sie nicht einmal auf die Idee kamen, sich vielleicht selbst ein Bild der Lage zu verschaffen.

      Unhinterfragt wurden die Informationen für bare Münze genommen, die man weder nachgeprüft hatte, noch die man hätte nachprüfen können. Da die Qualitätsmedien aber darin geschult zu sein scheinen, dass man als Journalist nicht übermäßig selbstständig recherchiert, sondern einfach vertrauensvoll nachbetet, was einem angetragen wird, erfüllten die Journalisten ihren Auftrag ohne Reue.

      Die Ereignisse schienen sich zuzuspitzen. Ständig kamen neue Eilmeldungen, die alle wieder den bekannten „Vielleicht-Möglicherweise-Aspekt“ innehatten.

      Als der farbige Mann einen Supermarkt überfiel, war das Drama an Spannung aufgeladen. Tausende von Polizisten wurden