Roger Reyab

Die verbotenen Bücher


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sein. Man sah nun eine Qualitätsjournalistin, die ständig von einer abgesperrten U-Bahnstation berichtete und neben sich absolut gelangweilte Polizisten hatte, die wohl keine Aufgabe erfüllten, als sich die Häuserkulisse einzuprägen. Ambulanzen wurden geordert und man wusste nicht, ob der islamische Täter 2 oder 10 oder 100 oder vielleicht auch gar keine Geiseln hatte.

      Bei den Terroristen in der Halle vernahm man merkwürdige Angaben über die Geiseln, die sich in deren Gewalt befanden. Mal war es ein 28-jähriger Mann, dann der Geschäftsführer, dann ganz andere Personen.

      Man stellte sich zwangsläufig die Frage, ob so eine große Halle an diesem Tag derart verwaist war, dass man nur eine Geisel hätte finden können. Schnell erfuhr man aber auch, dass die Dschihadisten eh nicht mehr leben wollten und als Märtyrer sterben wollten. Ein Zeuge soll angeblich, wie man später erfuhr, ständig in der Halle unbemerkt das Geschehen verfolgt haben und über Handy der Polizei Lageberichte gegeben haben. Woher hatte denn der Zeuge die Telefonnummer der Einsatzzentrale? Oder hat er 110 angerufen, oder was immer in Frankreich der Notruf ist. Hat man ihn dann auch erst gefragt, wo er wohnt, was er beruflich macht und wie er heißt? Hatte er Angst, als er diese heldenhafte Mission im Angesicht des Todes ausführte? Warum sieht man ihn nicht jeden Tag im Fernsehen, denn dieser Zeuge ist doch Gold wert?

      Ein Telefon spielte auch bei dem farbigen Mann eine Rolle. Er soll nämlich sein Handy die ganze Zeit auf Empfang gehabt haben. Ja, das ist natürlich schlecht. Während der professionelle Killer, der ganz Paris in Atem hält, seine Untaten minutiös und kaltblütig umsetzt, vergisst er, sein Handy auszuschalten.

      Was einen aber auch wundert, denn wenn ich in einer Situation bin, in der die ganze Welt mich jagt, telefoniere ich dann wirklich in der Gegend herum? Dann soll der farbige Dschihadist gefordert haben, dass man die zwei Männer in der Fabrikhalle freilässt. Er soll damit gedroht haben, dass er alle Geiseln tötet, wenn den beiden Brüdern in der Halle etwas geschieht.

      Man sagte den Zuschauern dieses Dramas manchmal, dass es noch lange dauern könnte, bis die Terroristen einen Zugriff erleben würden. Dennoch erfolgte dann ein Zugriff zur besten Sendezeit, zumindest internationaler Zeitrechnung, der eigentlich als ein komplettes Desaster beschrieben werden kann.

      Vier Geiseln tot. Alle Dschihadisten tot. Die Bilder vom Einsatz der Ordnungshüter wirkten auch verwirrend, wenn man die Theorie in Rechnung stellt, die dann behauptet wurde. Man sah Rauchblitze und Leuchtmunition über der Halle, behauptete aber, dass die Dschihadisten von allein aus der Halle gestürmt wären und dann erschossen worden wären. Warum es dann allerdings Rauchblitze gab, die angeblich die um sich schießenden Mörder blenden sollten, hielt auch der ehemalige Leiter der GSG 9 für eher unwahrscheinlich. Zumindest wurde angedeutet, dass es vielleicht auch nicht so war und die Kräfte das Gebäude gestürmt haben. Ganz genau wollte das aber auch kein Qualitätsjournalist wissen.

      Mit einem Gesicht der offensichtlichen Erleichterung schienen die Journalisten das Vorgehen der Polizei zu bewundern. Alle Dschihadisten tot. Das war eben gute Arbeit. Niemand sagte, dass man niemals den Tod eines Menschen, egal wie schuldbeladen er sein mag, dass man niemals so etwas beklatschen sollte. Es ist zwar verständlich, dass man die Opfer zunächst für wichtiger und erwähnenswerter befindet, aber dann auch nicht gelungen, wenn viele unschuldige Menschen gestorben waren. Im Gegensatz zu dem Einsatz der GSG 9 in Mogadischu, bei dem keine Geisel starb, hätte man das Vorgehen der Einsatzkräfte eigentlich als dilettantisch bezeichnen müssen.

      In dem Supermarkt sah man ein Vorgehen der Polizei, das irgendwie an einen Kamikazeeinsatz erinnerte. Angeblich griffen die Beamten dann zu, als der farbige Terrorist betete. Da sein Handy die ganze Zeit wie ein offenes Buch live aus dem Supermarkt berichtete, hatten die Einsatzkräfte diesen zeitnahen Zugriff zu der Fabrikstürmung gewählt.

      Entgegen der Annahme, dass nun hier Spezialkräfte einen chirurgischen Angriff versuchten, sah man Hunderte von Polizisten, die von zwei Seiten in den Supermarkt stürmten. Das sah etwas befremdlich aus.

      Das Ergebnis entsprach dem optischen Eindruck.

      Sofort nach Beendigung der beiden Geiselnahmen und den terroristischen Attacken in Paris, begannen alle wesentlichen Politiker damit, den Verlust der Menschen zu beklagen, die bei den schlimmen Anschlägen ums Leben gekommen waren.

      Reflexartig kam aus Deutschland der Vorschlag, die Datenspeicherung auf Vorrat endlich umzusetzen. Dies war ein naiver Vorschlag, da es sich bei den Terroristen in Paris durchaus um polizeibekannte Täter handelte, die aber dennoch nicht am Anschlag gehindert werden konnten.

      Über die Täter erfuhr man so gut wie nichts. Man sagte dann aber etwas, was einen schon fast am guten Glauben einiger Qualitätsjournalisten zweifeln ließ. Einige Journalisten brachten tatsächlich die vollkommen absurde These ins Gespräch, dass die Freundin des farbigen Mannes, der den Supermarkt überfallen hatte, dass diese Freundin tatsächlich beim Stürmen des Supermarktes, als Geisel getarnt, entkommen wäre. Dies war die Krönung der Absurdität. Während 88 000 Polizisten durch Paris streifen, entkommt eine bis dato unbekannte Freundin der berühmtesten Attentäter Frankreichs im Tumult der Ereignisse.

      Man sah dann auch ein Bild der Frau, die auf dem Foto wirkte, als hätte sie Drogen genommen. Zur Unterfütterung der These, dass diese junge Frau mindestens genauso gefährlich, wie die Haupttäter der Anschläge sei, wurden dann Bilder präsentiert, die jede Frau zeigen konnten. Man sah nämlich eine völlig verschleierte Frau mit einer Pistole in der Hand. Es konnte sich bei diesen Bildern um jede Frau des Erdballs handeln. Zudem verwunderte auf den Bildern, dass die Hand der vermeintlichen Frau sehr männliche Züge trug. Die Qualitätsmedien fanden diesen Beweis ausreichend, um nun zu behaupten, dass sich diese anonyme Frau in Syrien aufhalten würde. Das kann man natürlich glauben. Oder auch nicht. Bis heute hat niemand diese Frau gefunden.

      In der Konsequenz wurden Maßnahmen angekündigt, die die Bevölkerung in Zukunft vor solchen Anschlägen schützen sollen. Als Herr Hollande und Frau Merkel und die gesamte Politprominenz der Welt durch Paris einen Trauermarsch antraten, sah man von einer Terrorgefahr eigentlich nichts. Es nimmt Wunder, dass die logistisch derart begabten Superkriminellen, die angeblich diese Attentäter unterstützten, auf diesen Anlass nicht geradezu gewartet hätten. Nun hätten sie einen Anschlag verüben können, der sicher effektiver gewesen wäre, als der, bei dem unschuldige und nicht mit politischen Ämtern befasste Personen umkamen. Aber nichts geschah, denn die sich nun posthum bekennende Al- Kaida, hatte wohl kein Interesse, ein solches Ereignis durch weiteren Terror aufzuheizen.

      Der Finanzminister Herr Schäuble aus Deutschland hat einen Appell an die Deutschen gerichtet. Er verwies darauf, dass alles, was man Schlechtes den Geheimdiensten in der Welt andichtet, wie das ein Snowden oder andere tun, dass all dies eben zur Konsequenz hat, dass man so etwas wie in Paris nicht verhindern kann. Einige Polizeivertreter stießen in ein ähnliches Horn und sagten, dass man hier sehe, dass man mehr Polizei, mehr Geheimdienst und mehr Kontrolle und mehr Einschnitte in die Datensicherheit bräuchte.

      Andere betonten, dass man den Terror weiter offensiv in der Welt an allen Schauplätzen bekämpfen muss und es daher eher zu einer Ausweitung einiger Länder im Engagement für Freiheit und Demokratie kommen müsse.

      Für die Satirezeitschrift Charlie Hebdo waren die Terrorereignisse sicher traumatisch.

      Die Auflage von 5 Millionen Exemplaren der Mittwochsausgabe werden dem Verlag aber dennoch 15 Millionen Euro bescheren.

      In diesen Tagen wird viel von der Freiheit der Presse und der Verteidigung dieses Wertes gesprochen. Dem schließe ich mich an.

      Für mich ist aber die Freiheit der Presse dann gegeben, wenn man von Journalisten erwarten kann, dass sie Dinge gewissenhaft recherchieren, Widersprüchen nachgehen, offizielle Verlautbarungen kritisch hinterfragen und als Kontrollfunktion der Mächtigen fungieren. Erfüllt die Presse diese Aufgabe nicht, handelt es sich um Hofberichterstattung.

      Die Freiheit der Presse besteht für mich, mit Verlaub, auch nicht darin, dass man Religionen veralbert und auf die religiösen Gefühle anderer Menschen keine Rücksicht nimmt.

      Deshalb tut es mir leid. Aber ich bin nicht Charlie.