Roger Reyab

Die verbotenen Bücher


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      Politik ist die Kunst des Pragmatischen. Das haben viele berühmte Menschen gesagt und es ist sicher wahr, dass man in der Tagespolitik nicht immer alles im Voraus wissen kann.

      Manchmal ändern sich Paradigmen, die man nicht in voller Gänze vorhersehen kann und der politisch Handelnde muss sein Konzept neu gestalten.

      Dennoch ist Politik auch das Geschäft der Visionen. Wenn man in der Politik tätig ist und keine Vision besitzt, dann ist man eben Realpolitiker. Der Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt hat einmal gesagt:

       „Wer Visionen hat, sollte einen Arzt konsultieren.“

      Nun konnte der werte Herr Schmidt aber nicht wissen, dass es mal eine Bundesregierung geben wird, die dieses Sinneswort ernst nimmt.

      In Deutschland regiert seit gefühlten Jahrhunderten eine Dame, die visionsfrei ist. Zudem ist sie alternativlos. Das nie gewählte Unwort der letzten Legislaturperioden, ist zum zentralen Motiv einer Realpolitik geworden, die manchem Politikinteressierten die Freude am realen Tagesgeschäft der politischen Eliten entfremdet hat.

      Seit die werte Dame ihr Gesicht zum Markenzeichen einer Dekade politischen Stillstands, bei gleichzeitiger erhöhter Flexibilität, erhoben hat, ist die Politik austauschbar geworden. Es gibt keine Grundlage, kein Axiom, keine Grundsatzentscheidung und keine Ansicht, die nicht morgen auch genau das Gegenteil bedeuten kann.

      Die Kanzlerin ist extrem flexibel, was die Ausgestaltung von Realpolitik angeht. Die Ziehtochter eines Mannes namens Kohl, der auch gefühlte Jahrhunderte regierte, kennt sich in Alternativlosigkeiten aus. Es ist eine hohe Kunst des Pragmatischen, wenn man heute A proklamiert und morgen B verkündet. Das können nicht alle.

      Die Kunstform des Alternativlosen ist dennoch relativ einzigartig in der Historie der Demokratie. Die Alternativlosigkeit ist nicht nur Ausdruck einer flexiblen Geisteshaltung, sondern auch Ausdruck des Gegenteils von Flexibilität. Man ist im Leben meist dann ohne Alternative, wenn man sich in eine biblische Bredouille manövriert hat.

      Zum Beispiel beim Schachspiel hat man dann keinen Zug mehr zur Auswahl, wenn man derart schlecht gespielt hat, dass man kurz vor dem Schachmatt steht. Dann hat man keine Alternative und muss den König fallen lassen. Es bleibt einem dann möglicherweise nur ein Zug.

      Wenn man aber ein Spiel beginnt, um beim Beispiel Schach zu bleiben, hat man Millionen Möglichkeiten, die alle den Verlauf des Spiels bestimmen.

      Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Alternativlosigkeit fester Bestandteil der Realpolitik in Deutschland ist. Wir sind alternativlos, wenn wir Atomkraftwerke befürworten, und alternativlos, wenn wir sie dann ein paar Jahre später nicht mehr wollen.

      Wir sind alternativlos, wenn wir den Griechen Milliarden aus der EU zuführen, und genauso alternativlos, wenn wir das morgen nicht mehr tun. Alles ist im Fluss und alles ist immer ganz anders als gestern.

      Man könnte hinter diesem flexiblen Handeln auch ein Prinzip vermuten. Wer nicht starr und verbohrt an Prinzipien klebt, der kann auch viel besser reagieren. Oder man könnte meinen, dass nur der Realpolitiker versteht, dass es eigentlich gar nichts gibt, das wert ist, erhalten zu bleiben. Das hat dann schon fast faustische Ausmaße.

      Die Kanzlerin hat aber wenig mit Herrn Goethe gemein. Eher scheint es, als ob die Kanzlerin ideologischen Scheuklappen derart enthoben ist, dass sie die Welt wie eine Fliege sehen kann. Im Facettenblick. Sie scheint Dinge zu sehen, die andere nicht sehen können. Nur das könnte erklären, dass die Kanzlerin ein rotes Auto morgen als blau empfindet. Oder einen Baum morgen für ein Wiesel hält.

      Es gehört schon viel Mut zur Prinzipienlosigkeit dazu, jede politische Tat gänzlich neu zu bewerten. Man kann also der Kanzlerin nicht unterstellen, dass sie nicht das Potenzial für Revolution besitzt. Die werte Dame war auch schon einmal in der ehemaligen DDR aktiv in Propaganda. Heute ist sie das im kapitalistischen Gegenstück.

      Die politische Flexibilität der Realpolitikerin Merkel ist schon bei einigen humorlosen Zeitgenossen zu dem Kunstbegriff „Merkelanismus“ geworden. Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob dieser Begriff auch schon an politischen Universitäten als neue Staatsform gelehrt wird, bin mir aber sicher, dass, wenn dem so wäre, der Merkelanismus es verdient hat, neben dem Kommunismus, dem Dadaismus und dem Maoismus, eingehend betrachtet zu werden.

      Ich würde daher anregen, dass sich ambitionierte Soziologen dem Thema widmen und endlich den Merkelanismus untersuchen und analysieren. Was am Ende dabei herauskommen wird, kann man schlecht sagen.

      Es wird da verschiedene Ansätze der Analyse geben. Vielleicht werden die Soziologen, die von der CDU finanziert werden, die realpolitische Flexibilität in den Vordergrund rücken und die Soziologen, die eher der SPD nahestehen, den Ansatz einer Starrheit untersuchen, die sich aus dem flexiblen Merkelanismus ergibt.

      Allen Untersuchungen gemeinsam müsste aber sein, dass es sich bei dem Merkelanismus um eine eigenwillige Form des Staatswesens handelt.

      Während die meisten politischen Ideologien darauf beruhen, dass man aus einer Analyse heraus die Welt beeinflusst, ist es beim Merkelanismus so, dass die Welt die Analyse der Politik bestimmt.

      Kennen Sie noch Fukushima? Es gab mal eine Zeit, da sagte man, dass der atomare Super-Gau so wahrscheinlich ist, als ob man fünfmal hintereinander von einem Blitz getroffen würde. Da die Welt dann fünfmal hintereinander von einem Blitz getroffen wurde und sich somit eine Tragödie entwickelte, die das Unaussprechliche in Worte fasste, hört man von diesem Ereignis nicht mehr.

      Es ist auch nicht gerade prickelnd und anregend, wenn man über Dinge berichten würde, die eben schlicht unaussprechlich sind. Deshalb kennt auch kaum noch jemand Fukushima. Niemand berichtet noch über das japanische Unglück, das den Super-Gau hat Wirklichkeit werden lassen. Kaum jemand weiß, wie viel verseuchtes Wasser jeden Tag in die Weltmeere gelangt und niemand will das wissen. Man ahnt, dass es eben Dinge gibt, die man nicht ändern kann. In Fukushima scheint es keine Lösung für den Supergau zu geben, und da es keine Lösung gibt, übergeht man das Ereignis süffisant. Das lässt sich vergleichen, mit einem Menschen, der die Depression damit bekämpft, dass er sie ignoriert.

      Der Merkelanismus hat aber daraus Konsequenzen gezogen. Seit dem Super-Gau von Fukushima ist ein neues Wort entstanden.

      Die alternativlose Energiewende.

      Während Frau Merkel in ihrer politischen Laufbahn eine glühende Vertreterin der Atomkraft war, und die Atomkraftwerke für alternativlos hielt, ist sie seit Fukushima genau das Gegenteil geworden. Sie hat die Energiewende erfunden.

      Es bleibt sicher begabten Historikern überlassen, zu analysieren, warum Frau Merkel das getan hat. Die Ereignisse von Fukushima stehen in kausalem Zusammenhang zu der alternativlosen Wende. Der Normalbürger merkt das an seiner Stromrechnung. Während einige wenige Monopolisten die Preise immer mehr in die Höhe treiben, und damit das Bezahlen der Stromrechnung viele Menschen in die Hände von Kredithaien treibt, ist das nur der eine Aspekt der Wende. Im Merkelanismus ist die Realpolitik derart ausgeprägt, dass man Alleingänge versucht, die zwar sinnlos sind, weil keiner da mitmacht, die aber dennoch sehr gut klingen und jedem einleuchten. Während ganz Europa aufrüstet, was Atomkraftwerke angeht, steht Deutschland in dem Ruf, sich einen feuchten Kehricht um andere Länder zu sorgen.

      Es ist ein kaum verständlicher Vorgang, der ideologischen Parameter des Merkelanismus, dass es nicht zählt, ob eine Strategie sinnvoll ist, sondern das es vielmehr darauf ankommt, dass sie gut in die politische Landschaft passt.

      Die Energiewende passt in Deutschland sehr gut in die Landschaft. Die Grünen haben das schon immer gefordert. Dass man eben aussteigt, aus dem atomaren Quatsch. Und die SPD wollte das auch. Die FDP vielleicht. Und die Linken - vielleicht.

      Jedenfalls gab es sehr schnell Konsens unter den Parteien, dass man im Alleingang alle Atomkraftwerke abschafft. Da es aber dennoch nicht sehr sinnvoll ist, dass man so etwas im Alleingang macht, da eben ein in Frankreich explodierendes Kraftwerk für Deutschland genauso fatal wäre, wie ein Kraftwerk, das in Duisburg in die Luft geht, wurde dabei etwas ausgeblendet.